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Blätter und Blüten.

Die heilige Elisabeth. (Zu dem Bilde S. 489.) Von den heilig gesprochenen deutschen Frauen ist Elisabeth von Thüringen wohl die volkstümlichste, da sie sich durch Werte der Mildthätigkeit und Barmherzigkeit, bei denen sie dem armen Volk persönlich näher getreten ist, ein schönes Andenken gesichert hat. Elisabeth war im Jahre 1207 geboren, eine Königstochter aus Ungarn, ihr Vater war Andreas II., ihre Mutter Gertrud von Meran. Schon 1211 wurde sie dem Sohn des Landgrafen Hermann von Thüringen, Ludwig, der damals ein elfjähriger Knabe war, zur Gattin bestimmt und auf die Wartburg gebracht, wo sie ihre Erziehung fand, den dort gepflegten Künsten brachte sie indes geringere Neigung entgegen als religiösen Uebungen und kirchlicher Andacht. Nach dem Tode des Landgrafen Hermann bestieg Ludwig im Jahre 1217 den Thron und vermählte sich 1221 mit der ihm bestimmten Braut. Die junge Landgräfin ging gänzlich auf in der menschenfreundlichen Fürsorge für die Armut, sie spann und nähte Kleider für die Armen und verteilte selbst Speisen an dieselben; als eine Hungersnot ausgebrochen war, soll sie täglich gegen 900 Notleidende gespeist haben. Auf unserem Bilde sehen wir am Fuße der Burgmauer die gütige Landgräfin mit dem Madonnengesicht Brote an das hungrige Volk verteilen. Kinder nehmen die Spende in Empfang, ein altes Mütterlein segnet die Gnadenreiche, daneben aber blickt eine von Not und Hunger Ermattete sehnsüchtig nach der rettenden Nahrung und im Vordergrunde kauert ein elendes Mädchen, das mit wilder Gier in das gespendete Brot beißt. Als Elisabeths Gatte 1227 auf dem Kreuzzuge des Hohenstaufenkaisers Friedrich II. gestorben war, wurde Heinrich Raspe Thronfolger, welcher die fromme Witwe seines Vorgängers mit ihrem Sohn und ihren zwei Töchtern vertrieb, so daß sie, durch die Straßen Eisenachs irrend, vergeblich im Winter ein Obdach suchten. Zuletzt gewährte ihr Onkel, der Bischof von Bamberg, ihr und den Kindern eine Zuflucht auf seinem Schlosse Bottenstein. Heinrich Raspe söhnte sich zwar wieder mit ihr aus und rief sie auf die Wartburg zurück, doch in den Tagen des Unglücks und der Verfolgung hatte ihr religiöser Sinn sich so gefestigt und gesteigert, daß sie hinfort in vollständiger Weltabgeschiedenheit allein ihren geistlichen Betrachtungen und Uebungen leben wollte. Sie starb 1231 in einem von ihr errichteten Hospital in Marburg. †      

Die Goethe-Palme in Padua. (Mit Abbildung.) Am 27. September 1786 besuchte Goethe den berühmten, bereits im Jahre 1545 gegründeten Botanischen Garten in Padua, Orto botanico und als er dort eine Fächerpalme betrachtete, wurde in ihm der Gedanke immer lebendiger, „daß man sich alle Pflanzengestalten vielleicht aus einer entwickeln könne“. Diese Betrachtung bildete den Ausgangspunkt, die den großen Dichter und Denker zu seiner berühmten Lehre von der „Metamorphose der Pflanzen“ führte. Der Baum steht noch heute da; er ist halb überglast, und eine vorn angebrachte Tafel enthält in italienischer Sprache folgende Inschrift: „Johann Wolfgang Goethe, Dichter und Naturforscher entnahm hieraus den Gedanken und die Beweise seiner Metamorphose der Pflanzen. Roberto de Visiani stellte, damit der Nachwelt die Palme, die ihn inspirierte, nicht fehle, diese 1854 in ihrem alten Glanze wieder her.“ Nach Mitteilungen von Geheimrat Professor Friedel gehört der berühmte Baum der Gattung und Art Chamaerops humilis L. (niedrige Zwergpalme) an, die noch in Europa einheimisch vorkommt. In botanischen Handbüchern wird gelehrt, daß sie fast ohne Stamm ist und nur bis 6 m hoch wird. Und was sehen unsere entzückten Augen in dem Orto botanico von Padua? Eine stolze Palme, die bereits vor einigen Jahren bei 0,65 m Stammumfang 9,25 m Höhe hatte und seitdem immer weiter gewachsen ist. Freilich ist das Exemplar bereits fünf Jahre nach Eröffnung des Gartens, also um 1550, gepflanzt worden. Die nahezu 350 Jahre alte Pflege erklärt den ansehnlichen Wuchs des Baumes. Die Palma di Goethe ist in Saccardos „L’orto botanico di Padua nel 1895“ (Verlag von Fratelli Drucker in Padua) abgebildet, und diese Vorlage haben wir bei der Herstellung unserer untenstehenden Illustration benutzt.

Die Goethe-Palme in Padua.


Auf der Flucht. (Zu dem Bilde S. 497.) Auf der Flucht befindet sich das Rudel Hirschziegen-Antilopen auf unserm Bilde. Die Hast der Tiere hat der Maler trefflich wiedergegeben, die Geschwindigkeit selbst ist zwar keine Hexerei, aber zeichnen läßt sie sich nicht. So müssen wir denn mit Worten nachhelfen und etwas über die Hurtigkeit der schönen Tiere mitteilen.

Die Hirschziegen-Antilope ist eine Indierin. Sie bewohnt namentlich Bengalen, schließt sich zu Herden zusammen und zieht offenes Gelände dem bedeckten vor. Die Herden, geführt von einem Bocke, sind äußerst vorsichtig und pflegen Wachtposten auszustellen. Zeigt sich irgendwo Gefahr, so sausen sie wie der Wind davon. Die Hirschziegen-Antilopen dürften die schnellsten Renner der Welt sein, denn sie sollen bei einzelnen Sprüngen sich mehr als drei Meter über den Boden erheben und sechs bis zehn Meter lange Sätze machen. Sicher steht aber das eine fest, daß eine Parforcejagd auf diese Antilopen einfach unmöglich ist: Windhunde und Pferde müssen beschämt hinter ihnen zurückbleiben.

Aber gejagt werden sie trotzdem. Der schlaue Asiate läßt sie von oben durch den Falken beizen oder durch den Jagdleoparden beschleichen. Hurtig und wachsam sind die Sassis, wie sie von den Indiern genannt werden, und doch werden sie außerordentlich zahm, wenn man sie jung einfängt, und es ergeht ihnen nicht schlecht in der indischen Gefangenschaft, denn sie werden dann als heilige Tiere gehalten, schöne Frauen tränken sie mit Milch, und Musikanten spielen ihnen Tonstücke vor. *

Wikingerfahrt. (Zu unserer Kunstbeilage.) Von der Poesie der nordischen Heldensage verklärt, ist uns die Kunde von den kühnen Seezügen der Wikinger überliefert, die von Skandinavien und Dänemark aus übers Meer zogen und im Norden wie im Süden Europas mächtige Reiche sich unterwarfen. Der Name „Wiking“ bedeutet eigentlich „Krieger“; so nannten sich mit Stolz diese verwegenen germanischen Seefahrer, für welche in Deutschland, dessen Küsten sie auch bedrohten, der Name Normannen üblich ward. Der verwegene Mut, der ihnen eigen war, wird um so bewunderungswerter, wenn wir die einfache Ausrüstung der kleinen Kriegsschiffe in Betracht ziehen, mit denen sie die klippenreichen Gestade der Küsten von England und Frankreich anliefen und bis hinunter ins Südmeer fuhren, um auch in Apulien und auf Sicilien ihre Herrschaft zu begründen. Diese Schiffe hatten nur einen Mast und dieser war auch nur mit einem Segel und sehr einfachem Takelwerk ausgestattet. Das eine Segel war freilich groß und von viereckiger Gestalt. Die Steuerung wurde ebenso wie die Vorwärtsbewegung durch Schaufelruder bewirkt. Besonderer Ausschmuck war dem hochgewölbten Vorderteile des Schiffes zugewendet, hier bäumte sich ein geschnitzter Drachenkopf drohend empor, bestimmt, die Feinde zu schrecken und deren Schutzgeister zu verscheuchen. Nach diesem Ausschmuck wurden die Schiffe von den Wikingern selbst „Drachen“ genannt. Auf einem solchen Seedrachen kleinerer Art läßt der Maler unseres Bildes einen Wiking durch die sturmbewegte Meerflut einer Bucht entgegentreiben, an deren mächtigem Felsgeklipp hochaufschäumend die Wogen branden. Die gewaltige Natur des nordischen Meeres gelangt in dem Bilde mit ergreifender Wucht zum Ausdruck und gerade hierdurch macht uns H. Hendrich gleichzeitig den kühnen Sinn und die Kraft der nordischen Seehelden deutlich, die diese Natur mit nervigem Arm zu meistern verstanden.


manicula      Hierzu Kunstbeilage XVI: „Wikingerfahrt.“ Von H. Hendrich.


Inhalt: [ Inhalt der Wochen-Nr. 29/1897 ]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_500.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)