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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Und wie er nun den jugendlich schönen Mann mit den tiefdunklen, geistsprühenden Augen und dem gewinnenden Lächeln in den Laubgang hereintreten und, das Barett in der Hand, auf den freudestrahlenden Jubilar zuschreiten sah, da überkam ihn die niederschmetternde Ueberzeugung, daß ein Kampf mit diesem Rivalen für ihn, den Sechsundvierzigjährigen, trotz aller Vorzüge, deren er sich bewußt war, ein vollständig aussichtsloses Beginnen sei. Haß, Neid und ohnmächtiger Zorn schnürten ihm fast die Gurgel zu. Aber sein Ingrimm wandte sich ungleich stürmischer gegen Hildegard als gegen den jungen Arzt. Doktor Ambrosius hatte vielleicht zu dieser Eroberung kaum einen Finger gerührt. Und wenn selbst, so war das sein gutes Recht. Hildegard aber, die schöne, gleißende Schlange, spielte hier doppeltes Spiel. Nach Doktor Ambrosius warf sie in ernsthafter Absicht die Netze aus, ohne es doch zu verschmähen auch ihn, Lotefend, heimlich schmachten zu lassen. Sie hatte sicher schon längst wahrgenommen, wie er in maßloser Glut sich verzehrte – und doch ihre lockende Freundlichkeit, ihre bethörende Huld nicht abgemindert. Es gewährte ihr eine teuflische Lust, sein zermartertes Herz grausam unter die Füße zu treten. Und daß nun gerade ihm diese klägliche Rolle zufiel, das empfand er wie eine Unthat Hildegards, wie eine strafwürdige Kränkung. Oder war das vielleicht schon der Fluch des beginnenden Greisentumes, das da dem Menschen zuruft: Schweig und dulde?

Mit übermenschlicher Kraft drängte Herr Lotefend alles zurück, was ihm bei diesen Qualgedanken wie ein Ausbruch der Raserei nach den Lippen stieg. Er leerte sein Glas, ohne es abzusetzen.

„Glück und Heil!“ sagte jetzt Doktor Ambrosius.

Magister Leuthold streckte ihm beide Hände entgegen. „Ihr seid spät, lieber Herr Doktor!“

„Mein Beruf hält sich an keine Stunde. Ich war noch in Anspruch genommen. Entschuldigt also! Wenn ich auch hier bei dieser fröhlichen Tafelrunde der letzte bin, so bin ich’s doch ganz gewiß nicht in der Verehrung und Liebe für Euch, mein hochwürdiger Freund! Und dess’ zum Zeichen hab’ ich Euch dies kleine Geschenk verfertigt, das um freundlichen Willkomm bittet.“

Er zog etwas aus der linken Brusttasche, was wie ein dünnes, in Leder gebundenes Büchlein aussah. Als er den Deckel zurückschlug, gewahrte man auf schwarzblauer Seide eine ovale Elfenbeinplatte. Diese Elfenbeinplatte trug in frisch leuchtenden Farben das wohlgetroffene Konterfei Hildegards.

„Was?“ rief der Magister. „Solche Talente besitzt Ihr? Aber Ihr seid ja ein Künstler!“

„Nicht so sehr wie Ihr glaubt. Seht doch genauer zu! Es ist kein Bild nach dem Original, sondern nur die verkleinerte Nachahmung des trefflichen Oelgemäldes, das bis vor kurzem in Eurem Studiergemach hing. Dort haben wir’s weggeholt, die Gertrud Hegreiner und ich, unter dem Vorwand, daß etwas am Rahmen zu bessern sei.“

„Fürwahr, ein frommer Betrug, der den Kranz verdient! Prächtig! Ganz allerliebst!“

„Dafür reicht meine Kunst noch allenfalls hin!“ meinte Doktor Ambrosius. „An die Natur würd’ ich mich kaum gewagt haben. Und auch so läßt’s ja vielleicht zu wünschen übrig. Gleichwohl erscheint’s mir nicht unähnlich. Und auf den Einfall thu’ ich mir wirklich etwas zu gute. Ihr könnt so das Liebste, was Ihr auf Erden habt, allezeit mit Euch führen wie ein glückbringendes Vademecum. Ich weiß ja doch, Herr Magister, was für ein zärtlicher Vater Ihr seid.“

Doktor Ambrosius verschwieg, daß er bei diesem frommen Betrug mit dem entschuldbaren Egoismus des Liebenden mehr noch an sich selber gedacht hatte als an Hildegards Vater. Ja, das Geburtstagsgeschenk war eigentlich nur der Vorwand, der die Wirtschafterin Gertrud Hegreiner für die Sache gewinnen sollte. Doktor Ambrosius hatte das liebe Bild zweimal kopiert und die größere der beiden Kopien heimlich für sich behalten.

Magister Leuthold war aufs tiefste gerührt.

„Da habt Ihr vollkommen recht,“ sagte er mit bewegter Stimme, während die guten ehrlichen Augen sich feuchteten. „Kein lieberes Festgeschenk hättet Ihr bringen können. Wenn’s eine Schwäche ist, sein eignes Töchterlein so feurig ins Herz zu schließen wie ich meine Hildegard, so bin ich ein schwacher Mann, das gesteh’ ich freimütig. Aber sie zahlt mir’s heim! Auch sie kennt ja auf Gottes Welt nichts Lieberes als ihren alten Vater.“

Voll inniger Dankbarkeit schaute er in das glühende Antlitz des jungen Mädchens, das ihm in holder Verwirrung zunickte.

„Freilich,“ fuhr er dann, halb wie im Selbstgespräch, fort, „das gilt nur einstweilen … Ueber kurz oder lang wird wohl die Zeit kommen, wo sich das ändert. Der alte Vater rückt bescheidentlich an die zweite Stelle …“

„Das ist der Lauf der Welt,“ sagte Frau Melchers, die lustige Ehewirtin des Stadtpfarrers, während sie das reizende Miniaturbild über den Tisch weiter gab.

„Von Adam und Eva her!“ meinte der purpurnasige Bürgermeister Georg Kunhardt. „Die Kinder wachsen heran und eh’ sich’s der Mensch versieht, legt Gott Amor den Pfeil auf. Wir haben’s nicht besser gemacht, nicht wahr, Leuthold? So in der ersten Blütezeit, wenn uns der ganze Himmel voll Geigen hängt … Gotts Donner, es ist eine schöne Sache! Und daraufhin thu’ ich jetzt einen tüchtigen Mannesschluck. Möge die tugendsame und liebliche Jungfrau Hildegard Leuthold ihrem Herrn Vater – der, wie es scheint, zu grimmiger Eifersucht neigt – recht bald einen schätzbaren Eidam vorstellen und ihm so zu Gemüt führen, daß diese Welt der glückhoffenden Jugend gehört, während wir Alten nur die Rolle der Beifallsklatscher zu spielen haben. Und da wir nun vollzählig sind, so benutze ich die schöne Gelegenheit zu einem donnernden Trinkspruch auf unser teures Geburtstagskind. Der hochgelahrte Magister Franz Engelbert Leuthold blühe noch manches Jahr in Kraft und Gesundheit! Er wiege Enkel und Urenkel im Schoß! Er halte sich frisch bis zuletzt und bewahr’ uns auch künftighin seine wertvolle Freundschaft! Franz Engelbert Leuthold vivat, vivat, vivat!“

Er war aufgestanden. Sein joviales und trotz der geröteten Nase nicht unedles Antlitz strahlte von urwüchsiger Herzlichkeit.

Inzwischen hatte der Gärtnerbursche, der hier den Dienst als Mundschenk versah, dem Doktor Ambrosius gleichfalls ein Glas gereicht. Doktor Ambrosius stand noch immer neben dem Jubilar. Nun stieß er mit dem Gefeierten an und grüßte ihn ehrfurchtsvoll.

Jetzt trank auch der schalkhafte Bürgermeister dem jungen Arzte vertraulich zu. „Glück auf, mein trefflicher Aeskulap!“ rief er mit vielsagendem Augenzwinkern. „Ihr versteht’s! Ihr seid mir ein schlauer Fuchs! Wohl bekomm’s Euch!“

Georg Kunhardt schlug ein derbes Gelächter an, das Doktor Ambrosius nicht weiter beachtete. Er war von dem Bürgermeister nicht sehr erbaut, trotz dessen liebenswürdig sympathischer Biederkeit. Die Art und Weise, wie der sonst so verständige Mann die kulturfeindlichen Elemente im Glaustädter Rat ohne jedweden Versuch der Abwehr schalten und walten ließ – besonders auch in der Frage des Malefikantengerichts – wirkte auf Doktor Ambrosius ernüchternd. Er konnte nicht glauben, daß dieser feinsinnige Kopf die Anschauungen, zu denen er schwieg, teilte.

Der Gärtner schleppte jetzt einen Stuhl heran und stellte ihn zwischen den Jubilar und das weinfrohe Stadtoberhaupt. Franz Engelbert Leuthold aber wies den Burschen zurück.

„Ich bitt’ Euch, Herr Doktor, setzt Euch dort zu der Jugend!“ sagte er wohlwollend und drückte dem Arzte nochmals innig die Hand. „So lange man noch von Rechts wegen zu ihr gehört, soll man ihr nicht mutwillig aus dem Weg gehen.“

„Hier, Gustav!“ klang es vom Munde des Ratsbaumeisters. „Ich mache dir Platz neben dem Original deines Bildes! Nur keine Umstände! Dir vor allen geziemt diese reizvolle Nachbarschaft, schon zum Lohn für dein Meisterwerk. Nicht wahr, mein verehrtes Fräulein? Uebrigens habt Ihr ja zwei Seiten, und zur Linken sitzt Euch verwerflicherweise ein Mägdlein. Erlaubt mir, daß ich als Trennungsmauer dazwischen fahre.“

Er schob den Stuhl, den der Gärtnerbursche jetzt wieder heruntergeschleppt hatte, scheinbar zögernd zwischen Hildegard Leuthold und Margret Melchers, die Tochter des Stadtpfarrers. Die Gesellschaft rückte ein wenig zusammen. Margret Melchers freute sich unverkennbar. Der Ratsbaumeister sah ihr verständnisvoll in die Augen. Nun konnte er nach Herzenslust mit dem kleinen, übermütigen Dämon schwatzen und streiten, ohne daß ihn Hildegard Leuthold gestört hätte. Sein Zweck war erreicht.

Als Doktor Ambrosius neben ihr Platz nahm, hatte die heimlich bebende Hildegard Leuthold die Selbstbeherrschung, die ihr während der letzten Minuten beinah’ abhanden gekommen war, völlig zurückgewonnen. Sie fühlte, auch ohne ihn anzuschauen,

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