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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Fite war wieder in der Küche bei Liese,“ erzählte ich.

„Meinswegen!“ erwiderte Krischane kurz. „So ’n dummen Jungen und so’n Deern passen zusammen, da kommt doch nix nach! Abersten du mußt diesen Nachmittag ein büschen früh zu Gange, damit ich die Posttasche kriege und nich den alten Kanderdat, der ja eine ganz unchristliche Neugier for die Postsachen hat! Thu es mich zu Gefallen!“

Ich that ihr den Gefallen; aber die arme Krischane erhielt doch keinen Brief, weder an diesem noch an einem der andern Tage und allmählich fand sie sich in ihr Schicksal.

2.

Ich hatte inzwischen die Bekanntschaft von Friederikenruhe und von Perle gemacht. Die Friederikenruhe war ein mit etlichen Tannen und mit Gestrüpp bewachsener Erdhügel, der etwas abseits vom Fahrwege nach dem Hirschkrug lag. Irgend eine Friederike, die jetzt tot war, hatte auf diesem Hügel zwei Bänke und einen Tisch gestiftet, und wer müde war und sich ausruhen wollte, konnte dort sitzen und eine sehr bescheidene Aussicht bewundern. Für uns Kinder war die Aussicht gleichgültig, uns beschäftigte mehr ein Tagelöhnerhäuschen, das im Schutze des Hügels etwas versteckt lag und in dem ein Hund wohnte, der so heiser bellte, wie wir noch niemals einen Hund hatten bellen hören.

Er hieß Perle und hatte ein leicht erregbares Temperament, das durch geschickte Steinwürfe noch lebhafter wurde, so daß ein Gang auf die Friederikenruhe für uns stets ein kleines Scharmützel mit Perle bedeutete. Eines Nachmittags nahmen Jürgen, Milo und ich unseren Stallkater Banko mit nach der Friederikenruhe, damit auch er Perle bellen hören sollte. Banko war ein älterer streitbarer Herr, der vor keinem großen Hunde zurückschreckte, jetzt hatte er allerdings manchmal das Bedürfnis nach Ruhe und schlief die meiste Zeit des Tages. Als wir aber gegen die geschlossen Hausthür der Kate einen wohlgezielten Steinwurf fliegen ließen, der Perle sofort veranlaßte, aus seinem in der Hausmauer befindlichen Loch zu stürzen und rasend zu bellen, da wachte Banko aus seiner behaglichen Alterszufriedenheit auf. Jürgen hatte ihn auf dem Arm gehalten; er sprang aber in einem Satze auf Perle los, und als dieser, den unerwarteten Besuch erblickend, mit lautem Geschrei kehrt machte und eiligst wieder in die Kate kroch, da kroch Banko hinter ihm her.

Wir hörten nicht allein Bellen und Schreien, sondern auch Klirren, Poltern und lautes Schelten von Menschenstimmen, die vermutlich dem Tagelöhner Evers und seiner Frau gehörten. Es war ganz eigentümlich, und wenn wir auch mit anscheinend sorglosem Lachen der Aufregung im Innern der Kate lauschten, so sagte Milo doch, daß wir schnell nach Hause gehen wollten. Diesem Vorschlag stimmten Jürgen und ich ohne weiteres zu, und wir waren schon fast zu Hause angelangt, als Krischane hinter uns her kam. Sie trug einen Korb und mehrere Pakete, deren Inhalt sie im Hirschkruge eingekauft hatten; jetzt aber bemerkte sie, daß sie etliche Pfund grüner Seife im Kruge vergessen hatte, und forderte mich auf, mit ihr wieder umzukehren, während sie den Brüdern die andern Pakete auflud.

Eigentlich hatte ich keine Lust, ließ mich aber doch bewegen, den Weg noch einmal zurückzumachen und Krischane zu begleiten, die mich zur Belohnung für meine Willfährigkeit eifrig unterhielt. Als wir im Kruge gewesen waren und heimgingen, bot sie mir an, ob wir uns nicht ein wenig auf der Friederikenruhe hinsetzen und die Aussicht genießen wollten; ich lehnte indessen hastig ab und sie sah mich etwas erstaunt an.

„Magst nich die Aussicht sehen? Ich nehm’ auch gern ein Mund voll Snack mit Everschen, die ein Casine von den Mann is, der mir einmal wollte und nachher ein Frau hatte. O jemineh! Sie blieb stehen und seufzte. „Ich hab’ Unglück gehabt mit die Mannspersonen! Einer hatt’ ein Frau, wo ich fest glaubte, er wär’ ein Wittmann, und einer schenkt mich ein Ring und sagt nachher, da hätt’ er sich nix bei gedacht! Und von die Zeitung krieg’ ich auch kein’ Antwort!

Sie ging weiter und wischte sich die Augen, während ich nach der Friederikenruhe hinhorchte, an der wir gerade vorübergangen. Aber es war alles still dort, und es schien, als wenn Perle noch lebte, denn der Tagelöhner Evers, der von seinem Hause kam, sah gleichmütig aus und trug Hacke und Spaten über der Schulter, mit demselben unbeweglichen Gesicht, mit dem er diese Gerätschaften immer trug.

„Der will sein Land umhacken!“ bemerkte Krischane. „Ja, was das rechte Arbeiten is, das macht Spaß. Morgen hab’ ich groß Reinmachen das is auch gut gegen die Gedankens. Die Zimmers haben alle Reinisierung nötig, am meisten Herr Nottebohm sein Stube. Was smeißt der mit die Papierens herum! Er hat den ganzen Ofen voll von Briefens gesteckt, wie Liese sagt. Gott mag wissen, wo er all die Briefens hergekriegt hat. Abers das kommt ja woll von die Gelehrsamkeit, daß die Leute an einen schreiben. Nu, morgen will ich mich das mal ankucken, weil ich den Ofen doch leer machen muß!“

„Hast du die Posttasche mitgebracht?“ rief ich plötzlich und Krischane schüttelte den Kopf.

„Nein Kind, die Posttasche geht mir gar nix an, denn ich lauer’ nich mehr auf Briefens. Das is was for die Gelehrtens, nich for unsereinen, wo man sein Lebtag kein Brief kriegt!“

„Hast du eigentlich gar keine Verwandte, die dir schreiben können?“ erkundigte ich mich weiter und sie wiederholte ihre vorige Bewegung.

„Nee, Kind, Vater und Mutter sind tot. Ich hatt’ mal einen Bruder, abers der is klein gestorben, und was Onkel Detlev is, so kümmer ich mir nich um den. Erstlich darum nich, weil er gar nix von mich wissen will, wo ich doch sein leibliche Swestertochter bin, und denn darum nich, weil ich ihn mal ein Brief geschrieben hab’, wo er mich gar kein Antwort auf gegeben hat! Das war dazumalen, vor ein paar Jahrens, wo ich kein’ Stelle hatt’ und so viel Reißen in den Kopp, daß ich auch gar nich arbeiten konnte. Da sagt der Dokter, daß ich mir verholen soll, und weil ich kein Platz hatt’, wo ich das konnt’, da dacht’ ich an mein Onkel Detlev in Krempe. Denn in Krempe wohnt er, mit Verlaubnis zu sagen, was ja eine Stadt bei Intzehoe in Holsten is, und ein Fuhrgeschäft hat er, wo er denn woll sein Brot bei gefunden hat. Na, ich schreib’ ihm denn, ob ich mir nich ein büschen bei ihm verholen könnte, abers ich krieg’ kein Antwort. Das war ins Frühjahr gewesen, und als der Sommer kam, kriegt ich ein leichten Platz bein alte Dame in Kappeln, wo ich es gut hatte und meine Smerzen auch los wurde. Und so um den Oktobermonat, als mein altes Fräulein grad’ das Nervenfieber hatt’ und ich ihr pflegen mußt’, da kommt da ein Kerl bei mich an, der Fuhrknecht bei Stamer-Johann war und der auf Kiel fuhr. Ich kannt’ ihm ein büschen von die Straße her und sonsten gar nich, und der bringt mich en Bestellung von Fuhrmann Knorr aus Kiel. Der is auf Elmshorn gefahren und is mein Onkel Detlev auf die Schasee nach Wrist begegnet, und Onkel Detlev hat gesagt, wenn Fuhrmann Knorr mal nach Kappeln käme, denn sollt’ er man am Krischane Timmermann sagen, for ihr wär’ er nich zu Hause und sie braucht ihn nich zu besuchen, weil daß er sich aus das Weibervolk nich das Geringste machte. Nu, Knorr sagt es denn an Stamerjohann, der nach Kappeln fuhr, und der sagt es an seinen Knecht. So kriegt’ ich die Botschaft ja noch ganzen snell, abers ich kann doch nich sagen, daß ich das forn Antwort auf meinen Brief rechne!“

„Das war aber gar nicht nett von deinem Onkel,“ meinte ich, als Krischane aufatmend innehielt und an ihren Hutbändern knotete. Denn wir hatten Friederikenruhe verlassen und waren ungefähr zu Hause angekommen.

„Sag’ ich auch!“ meinte sie ruhig. „Damalen ärgerte ich mir so über ihm, daß ich ihn noch einen Brief schrieb. Da stand im ,Lieber Onkel Detlev! Du kannst mich in den Mondenschein begegnen! Deine Swestertochter Krischane!’ Und auf die Adresse schrieb ich: An den Keerl Detlev Piepgras. Mit Verlaubnis zu sagen in Krempe. Denn du weißt doch, daß es heißt: Ein Herr aus Intzehoe, ein Mann aus Glückstadt und ein Keerl ut de Kremp! Abers wie die alten ekligen Dänens denn sind – in Kappeln war ein alten Major Postmeister, der wollt’ mich warrhaftigen Gott den Brief nich abnehmen, wo ich doch mein gutes Geld for bezahlen wollt’, und er hat mich noch ausgescholten und hat gesagt, Krempe wär gerad’ so gut wie Kappeln, was nu doch bloß ein Däne sagen kann! Nu, mein Brief is nu abers nich abgegangen, und ich hab ihn lang in mein Kommode gehabt, bis ich ihm einmal nich wieder finden konnte. Abers nu laß mir man for das Abendbrot sorgen, Kind!“

Sie war ins Haus gegangen und ich lief auf den Hof, wo

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_404.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)