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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

sein bis auf das letzte Jota. Augenblicks schreib’ ich dem Vorsitzer. Oder noch besser, ich gehe selbst hin. Das mit der Wedekindin läßt sich ja besser mündlich erklären. Ich will’s ihm schon dringend machen. Ja, und das übrige … Ihr werdet ja sehn! Ihr sollt mich loben, Herr Doktor.“

„Das thu’ ich schon jetzt,“ sagte Ambrosius, der mit Genugthuung wahrnahm, daß er die Nichte fast noch stärker beeinflußte als den erkrankten Oheim. „Ich seh’ es mit Freuden, Ihr seid die geborene Pflegerin.“

Er bot ihr die Hand und ging. Bertha Xylander beugte sich aus dem Fenster, ihm nachzuschauen. Wie stolz und hoheitsvoll er die Gasse durchschritt, das schwarze Barett über dem tiefbraunen Haar, den Kopf in den Nacken gelegt wie einer, der am taufrischen Morgen hinauswandert in die knospende Frühlingswelt. Der armen verblühten Bertha ward es mit einem Male ganz eigen ums Herz. Sie hätte laut aufweinen und doch wieder jubeln und jauchzen mögen. Welch ein Glück für den Oheim, daß sie ihrer Eingebung gefolgt war und zu diesem vorzüglichen Meister geschickt hatte, obgleich er ja leider Gottes im Hause der Wedekinds wohnte! Adam Xylander wußte das nicht! Er lebte in vollster Unkenntnis aller Verhältnisse, die ihn nicht unmittelbar berührten. Und vorläufig brauchte er’s auch nicht zu erfahren. Bei seiner Ueberempfindlichkeit konnte man nicht voraussehen, ob er das nicht etwa als ungünstiges Omen betrachten und sich deshalb erregen würde. Wenn er erst wieder gesund war, gut, so lagen die Dinge anders. Dann würde er nicht mehr nach bloßen Eindrücken und Stimmungen urteilen. Ja, Doktor Ambrosius hatte, wie überall, so auch in diesem Punkt vollständig recht!

Sie setzte das Laufmädchen ins Wohnzimmer für den Fall, daß der Patient etwas benötigen sollte, und machte sich auf, den Vorsitzer des Malefikantengerichts, Herrn Balthasar Noß, der von Eins bis halb Vier speiste und ruhte, in seiner Privatwohnung aufzusuchen.

(Fortsetzung folgt.)


Aus stillen Thälern.

Skizzen aus dem Kreise Biedenkopf. Von Carl Liebrich.
Mit Illustrationen nach photographischen Aufnahmen von Max Stephani in Biedenkopf.

Es ist einer der unbekanntesten und doch in mancher Beziehung interessantesten Landstriche unseres Vaterlandes, in den einen Blick zu werfen wir den Leser hiermit einladen. Bis vor kurzem lag der Kreis Biedenkopf – das „Hinterland“, wie es seit alters an der Lahn und in ganz Hessen genannt wird – abseits von allem Verkehr, und wer aus dem Strom der Welt zum erstenmal in seine Thäler kam, den beschlich ein Gefühl fernster Abgeschiedenheit; seit aber eine Eisenbahn in das Gebiet der oberen Lahn führt, ist das Herz der Landschaft, einerseits von Marburg, anderseits von dem Siegener Land aus, leicht zu erreichen, und niemand wird einen Aufenthalt in diesem uralt fränkischen Gau, darin uns die Schatten Karl Martells und Karls des Großen begegnen, zu bereuen haben. Vor allem der Freund urdeutschen Volkstums, deutschen Waldes und deutschen Wanderns wird sich hier traulich angemutet fühlen.

Im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung war die Gegend an der oberen Lahn und der oberen Eder ein Centralpunkt der kattisch-fränkischen Stämme und – bis ins 12. Jahrhundert hinein – der Sitz mächtiger Geschlechter, unter denen durch Macht und Ansehen die Grafen von Battenberg hervorragten. Sie hatten bei dem über der Eder gelegenen, heute etwa 1000 Einwohner zählenden Städtchen dieses Namens zwei Burgen, wovon eine noch in Turm und Mauerresten sichtbar ist. Der letzte der alten Grafen von Battenberg, Gerhard, starb im Jahre 1342 als Domherr zu Mainz. Der Name dieses Geschlechtes ist, wie bekannt, seit einigen Jahrzehnten wieder aufgelebt, indem Prinz Alexander von Hessen seiner unebenbürtigen Gemahlin und seinen Kindern diesen Namen durch den Großherzog von Hessen hat beilegen lassen. Von einem zweiten berühmten Geschlecht, das ununterbrochen bis heute in Blüte geblieben ist, reden die bei dem Städtchen Hatzfeld (vgl. Abbildung S. 397) an der Eder auf bewaldeter Höhe gelegenen Ueberbleibsel des alten Stammsitzes der Grafen und Fürsten von Hatzfeldt. Die Reste sind zu unbedeutend, als daß sie auf der Abbildung sichtbar würden. Für die Kriegsgerichte der kattisch-fränkischen Epoche ist die Gegend höchst bedeutungsvoll. Hier kämpfte, wie die Chroniken uns erzählen, Wolf, der Feldherr des fränkischen Königs Siegbert, hier lag Karl Martell mit seiner Heerschar, bis er den wichtigsten festen Platz der Katten, die Kesterburg, eroberte, hier fiel die Entscheidungsschlacht zwischen Franken und Sachsen die im Jahre 778 unter Karl dem Großen bei Laisa und Battenfeld an der Eder geschlagen wurde. Auch aus späterer Zeit, bis ins 17. und 18. Jahrhundert, klingt in diesen Thälern dem Geschichtsfreund der Nachhall kriegerischer Ereignisse in die lauschende Seele.

Landschaftlich zeichnet sich das obere Ederthal, insbesondere auf der Strecke von Battenberg aufwärts bis zu dem westfälischen Raumland, durch seine Schönheit aus. Die Lahn, die in ihrem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_394.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)