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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 24.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.

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Die Hexe von Glaustädt.

Roman von Ernst Eckstein.
(4. Fortsetzung.)
6.

Das Glaustädter Malefikantengericht war bis auf den Vorsitzer nur eine Abzweigung des schon vorher auf diesem Gebiet kompetent gewesenen Stadtgerichts. Balthasar Noß, vom Landgrafen mit der Konstituierung beauftragt, hatte die Beisitzer und Schöffen selbst ausgewählt und hier, wie in so vielen Maßnahmen seines Berufs, keinen alltäglichen Scharfblick gezeigt. Der eine Beisitzer, Wolfgang Holzheuer, und die drei Schöffen waren gefügige Werkzeuge in der Hand ihres Meisters und beugten sich stets ohne Widerspruch seiner geistigen Ueberlegenheit. Auch mochte bei ihnen die Furcht vor dem Schreckensmanne, der mit so unbeschränkten Vollmachten ausgerüstet war und frei über sämtliche Rutenknechte und Stadtsoldaten verfügte, alle Skrupel ersticken, zumal sie so von dem wüsten Treiben des Noß ihrerseits klingenden Vorteil zogen. Der andere Beisitzer, Doktor Adam Xylander, hatte zwar keinerlei Scheu, selbst mit Balthasar Noß in Meinungsverschiedenheit zu geraten, wo es die Sache verlangt hätte, aber er war das Urbild eines beschränkten Fanatikers, tief durchdrungen von der Notwendigkeit, das gottverhaßte, seelenmordende Hexen- und Zauberwesen mit Feuer und Schwert auszurotten um jeden Preis. Der „Hexenhammer“, dieses berüchtigte Denkmal traurigster Geistes- und Herzensverirrung, stand ihm an zwingender Logik turmhoch über jedem anderen Gesetzbuch. Während Balthasar Noß aller Wahrscheinlichkeit nach lediglich aus gemeinstem Eigennutz handelte, hielt Herr Adam Xylander in diesem Punkt seine Hand vollständig rein und verschmähte alle Gebühren und Anteile, die ihm nach der Gepflogenheit der Malefikantengerichte aus dem Verfahren erwachsen wären. Seine Besoldung dünkte ihm ausreichend.

Doktor Adam Xylander führte im Gegensatz zu dem schwelgerischen und ausschweifenden Balthasar Noß ein fleißiges, schlichtes, untadeliges Privatleben. Er war unter sämtlichen Blutrichtern der einzige, der die Prozeßakten oft bis spät in die Nacht hinein mit gewissenhaftester Gründlichkeit studierte und sich in seiner beschränkten Art redlich abmühte, die Wahrheit herauszufinden. So vollständig aber steckte er in seinen gräßlichen Vorurteilen, daß er jeder Thatsache, die zu entlasten schien, gleich von vornherein mißtrauisch gegenüberstand.

Sommernacht im Walde.
Nach einem Gemälde von Anton Schmitz.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_389.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2018)