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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

das es mit gleich jubelndem Ruf zuträgt, fast immer von gleich freudigen Beifallstönen des sie begleitenden Männchens ermuntert!

Der Buchfink mit seinem reizenden Nestchen lockt besonders die Aufmerksamkeit an, und ich fühle mich gedrungen, deshalb folgendes über ihn anzufügen. Vor wohl dreißig Jahren war ich auf ein Finkennest aufmerksam gemacht worden, das in Bezug auf die Wahl des Platzes höchst auffallend erschien. Das Nest des Buchfinken pflegt auf Bäume oder Bäumchen gebaut zu werden. Jenes aber saß am Eingang eines Gartenthürchens, an dem ein vielbegangener Fußweg vorüberführte, innerhalb, hart an der Klinke des Thürchens auf einer äußerst dürftig bewachsenen altersschwachen Staude der Jerichorose, kaum drei Fuß hoch vom Boden, so nahe gegen die Klinke, daß, wer diese öffnete, das Nestchen nahezu streifen mußte. Katzen und Hunde liefen und schlüpften tagtäglich durch den Zaun aus und ein, und das Nestchen muß unbemerkt geblieben sein, denn eine Katze wenigstens hätte ihm gar bald den Garaus gemacht. Es enthielt halb befiederte Junge, als mir’s gezeigt wurde, und ich besuchte es fast täglich, vom Gartenbesitzer dazu eingeladen. Ich that es jedesmal in der Angst, jetzt sei ihm ein Leid geschehen. Aber nein! So laut die Finken sonst Lärm schlagen, wenn sie Bedrohliches, namentlich eine Katze, in der Nähe ihres Nestes gewahren, hier hatte ein seltenes Glück das der Gefahr so seht ausgesetzte Nestchen auffallend behütet. Die Jungen kamen ungeschädigt zum Ausfliegen, das ich leider nicht selbst gesehen habe. Aber der Gartenbesitzer, der für Wahrnehmungen solcher Art auch ein aufmerksames Auge besaß, hat mir erzählt, daß der Ausflug von großem Geschrei der Alten begleitet gewesen sei (wie vielfach bei Vögeln, wenn die Jungen das Nest verlassen) und daß dieses Geschrei sich verdoppelt habe beim Ansichtigwerden einer aufmerksam gewordenen Katze, die nun das Nachsehen hatte.

Noch auffallender erschien mir folgendes. Eine Finkin hatte ihr Nest neben dem obern Ende der aus dem Freien zur Empore der Kirche in E. bei Ulm führenden Stiege in eine kleine Mauervertiefung gebaut. Man konnte ganz bequem in das Nest sehen und greifen. Es scheint außer mir von niemand bemerkt worden zu sein. Die Jungen waren schon mehrere Tage alt, als ein gegen die Mauer schlagender Gewitterregen sie ertränkte; ich fand das Nest ganz durchnäßt und die Jungen erstarrt.

Einer Amsel muß ich noch gedenken, welche im Jahre 1895 ihr Nest ein Dutzend Schritte vom Eingang des Stuttgarter Museumsgartens („Silberburg“) in ein etwa 5 Fuß hohes Buchsbüschchen hart am Wege gebaut hatte, und zwar so leicht sichtbar, daß jeder von den vielen täglich vorübergehenden Besuchern hineinsehen konnte. Die Amsel legte vier Eier, bebrütete sie etwa eine Woche lang und blieb trotz aller Vorübergehenden ruhig darauf sitzen. Auf einmal fehlte sie und die Eier lagen tagelang bloß, bis auch sie verschwunden waren. – Der Gartenaufseher, der mein Interesse an solchen Vorgängen kannte, sagte zu mir: „Wer wird denn aber auch sein Nest so hundsdumm hinbauen?“ Und ich antwortete ihm: „Ja, die Vögel machen auch dummes Zeug.“

Ueber den Ort der Nestanbringung habe ich folgende Wahrnehmungen mit eigenen Augen gemacht. Diese Wahl des Ortes scheint oft schwierig zu sein. Daher kommt es, daß die Nestform sich ganz bedeutsam ändert, daß z. B. das Nest der Wasseramsel bald einem Beutel, bald einer Kugel, bald einer Retorte ähnlich ist, weil durch die veränderte Form die Mängel des Nistplatzes ausgeglichen werden müssen. Ich habe mir ein leeres Nest dieses Vogels erworben, das äußerlich einem sogenannten Fußsack ähnlich sieht.

Von der Fürsorge der Eltern zeugt noch folgendes Beispiel. In einer regenkalten Woche des Frühjahres 1841 fand ich auf einem niedrigen horizontalen Birnbaumast ein Buchfinkennest, dessen Rand mit kleinen Flaumfedern umsteckt war. Diese aufrechte Umstellung des Nestes war gewiß nicht schon vor der Bebrütung der Eier geschehen, sondern die naßkalte Zeit hatte die intelligente Mutter bewogen, ihren Kindern zur Zeit der Not eine Schutzvorrichtung zu ersinnen.

Solche Beispiele der Ueberlegung und Elternliebe sollten jedem die gefiederten Sänger lieb und wert machen und uns Anregung geben zu aufmerksamster Beobachtung und zur Schonung dieser herrlichen Geschöpfe. Aber immer wieder ergehen Notrufe gegen die Verfolgung selbst nützlicher Vögel, namentlich aber gegen die entsetzliche Vögelmörderei in Italien.

Deutschland, Oesterreich, Frankreich u. s. w. werden seit lange und in wachsendem Maße bedroht und beraubt durch diese schändliche Barbarei. Giebt es kein internationales Gesetz dagegen, oder will man es in Italien nicht anwenden? Neulich brachten die Zeitungen die Nachricht, zwei italienische Jäger hätten so und so viel Gewichtsmengen Schwalben erbeutet, die dann in Frankreich unter der Bezeichnung „kleine Vögel“ als Delikatesse in Gasthöfen verspeist worden seien. So werden jetzt Massen dieser zarten Gefchöpfe „erjagt“ (welche weidmännische Tapferkeit!) und wandern dann im die vornehmen Küchen; aber Strafen giebt es keine dafür, nur Geld in die Tasche und Leckerei in den Gaumen.

Noch vor 50 und 60 Jahren konnte man in Schwaben durch kein ausgedehnteres Getreidefeld gehen, ohne den prächtigen Wachtelschlag zu vernehmen; wo sind unsere Wachteln heute? Höchst selten noch eine einzelne in einem Käfig. Aber in Italien und von Italien aus, längs dessen Küsten sie leider auf ihrer Wanderung ziehen müssen, sind sie den Weg des Gaumens von geistlichen und weltlichen Herrschaften zu vielen Tausenden gewandert.

Aehnlich mit den Lerchen! Auch diese haben ganz bedenklich abgenommen. Früher hat leider ihr Fang auch in einzelnen Gegenden Deutschlands geblüht; das deutsche Gesetz hat seine Gegenwirkung gethan; aber Italien! Was von Vögeln für wissenschaftliche Zwecke zu dienen hat, ist ja verschwindend gegen jene Massenmorde.

Damit wir jedoch gerecht seien und die Schuld nicht einzig dem Auslande zuschieben, sei noch folgendes mitgeteilt: Vor kurzer Zeit (Winter 1896 auf 1897) las man in den Zeitungen den Siegesbericht, daß im deutschen Norden viele, viele Tausende von „Krähen“ (es war eine ungeheuere Zahl angegeben) geschossen worden seien. Als Grund war ihre große Schädlichkeit angeführt. Gewiß können die Krähen, wie viele andere Tiere, durch massenhaftes Auftreten schädlich werden. Die Krähe liebt ja junge Hasen, nimmt auch wohl junge Vögel aus dem Nest, haut sogar je und je in Maisfeldern die noch weichen, in der „Milch“ befindlichen Fruchtkolben an. Aber wie viel mehr und wie regelmäßig ist sie die Verfolgerin der Mäuse! Man braucht nur Felder pflügen zu sehen, um zu beobachten, wie sie hier den ausgeackerten Mäusen zusetzt, oder wie sie in Mäusejahren überhaupt Jagd macht. Man sehe weiter, wie sie auf Rasenplätzen, die von der Unterwühlung durch Engerlinge gelb und grau geworden sind, diesen Wurzelzerstörern so gründlich zu Leibe geht! Nun kommt aber der Jägersmann und sucht den Tod der Krähen, die seine Hasen stehlen – dieser Eingriff in sein Recht muß Rache haben. Hasen sind freilich ein vortrefflicher Braten; aber Mäusefraß, zerstört er nicht Massen mühsam gebauter Gewächse, die auch vortreffliche Nahrung gewesen wären? – Und warum sieht der Landmann die Feinde der Hasen so gern? Also gegen schädliche Ueberzahl, welches Tier, welcher Vogel es sei, einschreiten, ist vernünftig; man thut’s ja selbst gegen Pirole, Schwarzdrosseln, wo sie z. B. in Kirschpflanzungen zu stark einfallen; doch setze man nicht eine Tierart, die schädlich werden kann, aber sonst höchst nützlich, und willkommen ist, mit egoistischem Eifer auf die Liste der Verfolgungswerten, um nicht jenem Protzen zu gleichen, der gesagt hat: „Was geht mich der Amselgesang an? Ich zahle jedem, der mir eine Amsel schießt, drei Batzen; die Luder fressen mir meine Trauben!“ – Und was für Trauben besaß der Edle!

Der Reiz der Sittenbeobachtung der Vögel hat mich veranlaßt, an einigen gefangenen ihr Verhalten zu studieren. Ich wußte aus Naturgeschichten – (höchst lehrreich fand ich insbesondere „Die Vögel Deutschlands“ von den Brüdern Naumann) – daß unsere „Rotschwänze“, der Haus- wie der Gartenrötling, in Gefangenschaft ziemlich ihre natürliche Wildheit beibehalten. Ich erwarb mir einen männlichen Gartenrötling, also einen Vertreter der Art, die weniger scheu sein soll. Das Tierchen, mit dem schönen weißen Querstreif über der Stirne und der schwarzen Brust, nahm zwar bald die gewöhnliche Kost der Gefangenen: Ameisenpuppen und sogenannte Mehlwürmer (Larven des Schattenkäfers); aber, und ich hatte es bis ins fünfte Jahr, niemals, auch wenn ich es hungern ließ, nahm es mir aus der Hand einen Bissen, so hastig es auf denselben losfuhr, sobald er in den Käfig gestellt oder geworfen wurde. Bei jeder Annäherung, solange ich’s hatte, sträubte es die Federn und fuhr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_386.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)