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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

einen neuen Hut und alles, was eine Dame braucht. Du darfst es mir nicht übelnehmen, aber es kommt mir so vor, als wärest du ganz altmodisch angezogen.“

„Papa wollte es so. Er sah mich gerne gerade so wie meine Mutter gekleidet.“

„Auch dein Haar, Hedwig! Ginge es nicht, daß du es dir von einem Friseur anders ordnen ließest? Es ist ja recht rücksichtslos von mir, daß ich erst jetzt auf diese Dinge Wert lege. Aber siehst du – der Leute wegen. So lange ich nur an den Tod dachte, schien mir alles so nebensächlich, so nichtig. Nun möchte ich doch, daß du dich wie andere Frauen trügest. Kaufe dir nur etwas Hübsches, nicht wahr, Kind?“

Sie war durchaus nicht beleidigt, im Gegenteil, es schien ihr Freude zu machen, daß er sich um ihren Anzug kümmerte. Zum erstenmal in ihrem Leben sollte sie sich nach dem eigenen Geschmack kleiden, nicht alte Kleider ihrer Mutter herrichten, sondern etwas Neues auswählen dürfen. Sie hätte kein Weib sein müssen, wenn dieser Weg ins Modemagazin ihr nicht vergnüglich erschienen wäre. Mit eifriger Miene brachte sie dem Genesenden die Stoffmuster, frug ihn um Rat, und er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als er ein Modejournal in Händen hielt und unter Kleider- und Hütformen wählen half.

Wer ihm das vor einem Jahr gesagt hätte!

Und der Doktor hatte recht gehabt! Sein Befinden hob sich von Tag zu Tag. Seit er in die Luft kam, pulste förmlich ein neuer Lebensstrom durch seine Adern. Der Ekel vor den Speisen war verschwunden mit seiner Todeserwartung. Für Hedwig war es ein heiteres Schauspiel, ihm zuzusehen, wie er nun Gabel und Messer zur Hand nahm; sie freute sich kindisch, daß er einen feinen Bratengeruch wieder schätzte mit frischem Genesungshunger.

Sie mochte es auch gar nicht der Köchin überlassen, ihm sein liebevoll ausgesuchtes Frühstück zu bringen. Mit der Platte in der Hand trat sie auch an diesem Vormittage in sein Zimmer.

Er hörte sie eintreten, doch als sie vor ihm stand, sprang er lebhaft auf wie vor einer Fremden. „Ja, Kind! Ich kenne dich ja kaum mehr,“ rief er dann freudig überrascht.

Die Klosterschwester war aus ihrem entstellenden schwarzen Gewande geschlüpft und eine schlanke junge Dame geworden.

„Merkwürdig! Wie solch ein Anzug euch verändern kann!“

Er vermochte sich von seinem Staunen kaum zu erholen. Armselig, engbrüstig hatte sie ausgesehen in ihren schlecht geschnittenen knappen Taillen, der Hals zu lang, die Bewegungen eckig. Mit den bauschigen Aermeln, der faltigen Bluse und dem hohen Kragen hatte sie eine reizende jugendliche Gestalt und ihre zarten Farben wirkten frisch und rosig über dem glänzenden Grau des Stoffes. Aber es war nicht das Kleid allein – die Frisur hatte sie vor allem entstellt. Mit dem emporgekämmten Haar erschien ihr Gesicht runder, voller, und es kamen die kleinen Ohren, die weichen Linien an den Schläfen zum Vorschein.

Er ward ganz verlegen, je mehr er dies hübsche Geschöpf, das sich so plötzlich vor ihm entpuppt hatte, anblickte, und er begriff es kaum, daß er sich seit Monaten von dieser selben jungen Dame hatte bedienen lassen. Sie genoß die Bewunderung, die jeder seiner Blicke ausdrückte, mit freudiger Erregung.

„Ich bin wohl recht garstig gewesen?“ sagte sie treuherzig.

„Nein, nein! Aber ich möchte dich immer so angezogen sehen, auch zu Hause! Nicht mehr die alten Kleider! Bitte!“

So ging er denn wirklich wieder durch den Hofgarten, seinen alten Weg, und nun am Arm einer Frau, der die Vorübergehenden wohlgefällige Blicke zuwarfen. Wie wunderlich ihm das alles erschien! Seine Kollegen, seine Bekannten, die sich seit Monaten damit begnügt hatten, ab und zu durch das Dienstmädchen nachfragen zu lassen, wie es dem Herrn Regierungsrat gehe, machten nun Besuch bei ihm, zum erstenmal mit ihren Frauen, da er jetzt ein verheirateter Mann war. Forstner bemerkte, daß Hedwig trotz ihrer Schüchternheit neben den meist etwas allzurundlichen Ehehälften seiner Bekannten sehr anmutig wirkte, und er lächelte ganz beschämt, wenn man ihm zu seiner reizenden Frau gratulierte; er wußte ja, daß er das nur einem blinden Glückszufall verdankte, denn er hatte sich ja ein Vierteljahr nach der Trauung überhaupt erst besonnen, wie seine Frau eigentlich aussehe.

Er dankte ihr nun, seitdem sie seinen Augen so wohlgefiel, mit größerer Wärme für jede kleinste Dienstleistung und hatte ordentlich den Wunsch, galant gegen sie zu werden. Wenn ihm diese späte Wandlung nur nicht immer ein wenig komisch erschienen wäre, so daß er fürchtete, sich lächerlich zu machen! Wie gerne hätte er ihr manchmal die Hand geküßt!

Ende Mai war Hedwigs Geburtstag. An diesem Tage wollte er seiner ganzen Dankbarkeit, dem vollen Jubel seines Genesungsgefühls Ausdruck geben, sie einmal beschenken nach Herzenslust, ihr durch eine Zeichensprache es sagen, wie erkenntlich er ihr war für ihre Güte, ihre Aufopferung. Er fuhr allein aus, ging in die verschiedensten Läden und genoß ein neues, recht reizvolles Vergnügen, als er den Tisch mit all seinen hübschen Einkäufen belud und mit einer Fülle von Maiblumen schmückte.

„Komm einmal, Kind!“ rief er an der Thür in freudiger Erregung.

Und als sie dann, neugierig, was seine Heimlichkeit bedeutet habe, eintrat, zog er sie fast schüchtern zu dem Tisch heran und sagte: „Meinen Glückwunsch, liebe Hedwig! Meine paar Gaben mußt du als schwachen Ausdruck meines Dankes betrachten.“

Sie schaute erst ganz sprachlos auf all die schönen Dinge, die er liebevoll neben den Blumen geordnet hatte, begriff nur allmählich, daß der reizende Schmuck, das Opernglas, das Spitzentuch, der Fächer, das feine Briefpapier und all die netten Kleinigkeiten, die er in seiner Gebelaune zusammengesucht, ihr gehören sollten, wirklich ihr, und rief dann wie berauscht:

„Nein! nein! Ist das alles schön! Ist das alles lieb! Das ist ja wie ein Märchen! Und mir kommt’s auch wirklich vor, als wär’ ich verzaubert, als träumte mir es nur, daß jemand so gut mit mir ist, so gut!“

So staunend, so glücksverwirrt schaute sie zu ihm auf, als sie die Hand ausstreckte, um ihm zu danken, daß all seine Scheu und sein zagendes Besinnen von einer mächtigen heißen Empfindung verdrängt wurden. Er nahm ihren Kopf in seine beiden Hände und küßte zum erstenmal die Lippen seiner Frau.

Sie wendete sich verwirrt von ihm ab und beugte sich auf die Blumen nieder; doch als er nun den Arm um sie schlang und ihr glutüberstrahltes Gesicht emporhob, sah er, daß sie nasse Augen hatte.

„Du weinst, Hedwig? Ja, was hast du denn, Kind?“

„Ach Gott,“ schluchzte sie und um ihren Mund glitt trotz der Thränen ein Lächeln. „In meinem Leben ist doch bis jetzt alles so traurig gewesen. Und nun kommt so viel Schönes, Liebes auf einmal, in einem solchen Uebermaß! Ich meine, ich könnte das gar nicht ertragen! Mir ist’s, als müßte es mir die Brust zersprengen, wenn du so lieb zu mir bist!“

Ihn hatte der Kuß auf den frischen jungen Mund sehr übermütig gemacht. „Wir haben so viel nachzuholen, Hedwig! So viel versäumte Küsse!“ sagte er, ihr zärtlich über das Haar streichend und seine Wange an die ihre schmiegend. Erst war sie so scheu, als müßte sein Bart ihr das Gesicht versengen. Aber sie lernte rasch, wie süß es ist, den Druck zärtlicher Lippen zu fühlen und zu erwiedern.

So standen sie vor dem Geburtstagstisch, vor den Maiglöckchen, die das Zimmer mit Frühlingsduft erfüllten, und küßten sich wie große Kinder, die eben erst das Geheimnis der Liebe entdeckt haben.

Bei Tische wurde Hedwig ganz ausgelassen, weil sie sich ein Gläschen von dem starken Wein, den er trank, hatte aufnötigen lassen, um mit ihm anzustoßen auf ihr eigenes Wohl. Mitten in ihrer Lustigkeit staunte sie über ihr eigenes Lachen.

„Ich meine, das bin gar nicht mehr ich!“ sagte sie. „Die ganze Welt könnt’ ich umarmen!“

„Bitte mich!“ rief er und zog sie an sich.

Von einem Klopfen emporgeschreckt, sprang sie hastig auf.

„Nun, Herr Regierungsrat, Sie sehen ja prächtig aus!“ rief der eintretende Doktor. „Um Jahre verjüngt seit den paar Tagen! Nun kann ich Ihnen bald meine Abschiedsvisite machen!“

Der Anblick des Arztes und die paar noch zu besprechenden leichten Verordnungen wandelten bald die übermütig Glückliche wieder in die gewissenhafte Pflegerin, die den Rest des Tages einzig darauf bedacht war, ihren Genesenen in ruhiger froher Stimmung zu erhalten. Sorgsam wie früher bereitete sie sein Zimmer, rüstete alles, wie er es gewohnt war, und schien gar nicht zu bemerken, mit welch’ unverwandtem Blick der glückliche Mann ihr stilles, zierliches Walten verfolgte.

Am andern Morgen, als sie beim Frühstück saßen, sagte er:

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