Seite:Die Gartenlaube (1897) 312.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Aber, Mama?“ sagte Aenne peinlich erregt, „warum denn das?“

„Nimm es nur, dann ist zwischen uns alles erledigt! Du kannst nun thun und lassen, was du willst, und bist keiner Seele eine Verantwortung schuldig, ich möchte sie auch nicht tragen, diese Verantwortlichkeit – du hast es so gewollt! Ich kann nur noch den lieben Gott bitten, daß er dich’s nie bereuen läßt, den Weg gegangen zu sein, der dir der rechte schien.“

Am folgenden Vormittage reiste Aenne ab, unversöhnt mit der alten, nach deren Meinung so schwer gekränkten Frau. Die Thränen rannen über ihr blasses Gesichtchen – die Augen der Mutter blieben trocken. Sie würde sich hüten, dem trotzigen Ding zu zeigen, daß ihr das Herz beinahe brach! – Der Doktor war vor Tau und Tag schon über Land gefahren. Abschiednehmen galt ihm im allgemeinen schon für etwas Schreckliches, in diesem Falle dünkte es ihm unmöglich.

Der Wagen rollte an dem Schloßgarten vorüber. Aenne schaute noch einmal hinauf zu dem Erker, unwillkürlich, obgleich nichts dort zu sehen war als herabgelassene Vorhänge. Das Licht würde dort oben nicht mehr flimmern abends, der Schloßhauptmann von Breitenfels war gestern, gleich nach dem Begräbnis, zum Herzog gereist, um seine Entlassung zu erbitten.

Tante Emilie wußte es. „Was er wohl anfangen wird?“ fragte sie, zu Aenne gewendet.

„Ich habe keine Ahnung, Tante.“

„Es sind doch alle Berufsklassen so überfüllt, und er ist so gar nicht mehr gewohnt, zu arbeiten –“

Aennes aufleuchtende Augen trafen sie plötzlich, und ein stolzes Lächeln ließen einen Augenblick ihre Zähne aufblitzen. „Der Heinz Kerkow? Um den ist mir nicht bange Tante Emilie.“

„Was sagst du?“ stotterte die alte Frau.

Aber Aenne schwieg und sah ernst in die Ferne hinaus, in deren Dunst die Türme der Stadt schimmerten, von welcher aus die Eisenbahn sie entführen sollte, der Arbeit, der ungewissen Zukunft entgegen. Barg diese Zukunft auch ein Glück für sie? Ach, hoffentlich! Hoffentlich!

(Schluß folgt.)




Große Industriehalle, Seitenansicht.
[Abbildung vermutlich von Alfred Friedrich Liebing und daher ( gemeinfrei ab 2028)]

Die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung in Leipzig.

Von Max Hartung. Mit Abbildungen von A. Liebing und E. Kiesling.

Die Ausstellungen, die ihren Ursprung den Museen verdanken, traten das erste Mal in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in die Erscheinung. Sie haben sich seitdem zu einer Institution herausgebildet, die uns jetzt ein geradezu unentbehrliches Bedürfnis dünkt und unserer Zeit ihren eigenartigen Stempel unverkennbar aufdrückt, so daß wir das neunzehnte Jahrhundert das Zeitalter der Ausstellungen nennen könnten. Nachdem das Ausstellungstreiben vergangenes Jahr im Norden und Süden seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, pulsiert es heuer besonders lebhaft mitten im Herzen Deutschlands – in Leipzig. Die Pleißestadt ist durch ihre Bedeutung als alte Handelsempore und durch die centrale Lage im Reiche wie kein anderer Platz geeignet, den Industrie- und Gewerbefleiß der arbeitsamen Bevölkerung Mitteldeutschlands in einem großartigen Gesamtbilde der Welt vorzuführen und der Aufruf Leipzigs zur Veranstaltung eines friedlichen Wettbewerbs innerhalb seiner Mauern verhallte denn auch nicht ungehört. Das ursprünglich in beschränkterem Rahmen schon für das Jahr 1895 geplante Unternehmen wurde aufgeschoben, wuchs sich aus und gestaltete sich nun zu einer weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Ausstellung, an der nicht allein das Königreich Sachsen und die Thüringischen Staaten, sondern auch das Herzogtum Anhalt, die preußischen Provinzen Sachsen Brandenburg (mit Ausnahme Berlins), der Regierungsbezirk Liegnitz von Schlesien und die drei fränkischen Kreise Bayerns beteiligt sind.

Wie die Ausstellungen von jeher gern an ein geschichtlich wichtiges Ereignis anknüpfen so ist auch die Leipziger Ausstellung in Erinnerung an das Jahr 1497, in dem die bedeutungsvolle Errichtung der Leipziger Messen von Kaiser Maximilian I. bestätigt und konfirmiert wurde, ins Leben gerufen worden. Die Ausstellung, welche am 24. April dieses Jahres in Anwesenheit des Königs Albert von Sachsen feierlichst eröffnet

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_312.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)