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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

umarmten, umschrieen und umtanzten sie die langersehnte, böse, liebe Tante in der alten lieben Wohnstube, in der es gleichwohl nicht die Spur weihnachtlich aussah. Auch Karoline lief herzu und freute sich. „Nee, endlich ’mal – endlich ’mal, Fräulein, und wie wird sich man bloß der Herr freuen, wenn er zurückkommt! Und Sie bleiben doch zum Karpfen? Ich hab’s immer noch nich ’raus mit die Meerrettichsauce.“

Aber die Kinder erklärten, sie ließen die Tante nicht in die Küche, und die Tante müsse helfen den Weihnachtsbaum putzen in der guten Stube, Agnes hätte das thun sollen, aber die Lichter purzelten immer wieder herunter. „Gelt, Tante?“ scholl es, „du bleibst hier?“ und dann umschlangen sie die sechs Aermchen und die glücklichen Kinderaugen lachten sie an, und was wurde ihr alles versprochen wenn sie bliebe!

„Das Schönste, was ich bekomme, gebe ich dir,“ versicherte der Junge, „zur Hälfte wenigstens,“ setzte er geschwind hinzu. Und klein Mariechen erklärte: „ich nehme Vater das Seifenfleckel wieder fort und schenke es dir, wenn du bleibst. Und ihr? Ihr liefen die dummen Rührungsthränen aus den Augen, und sie sagte nun: „Kommt rasch, ich putze den Baum, – dableiben kann ich aber nicht, denkt doch an den armen kleinen Heini!“ Im Salon zündete sie die Lampe an, auf welcher der Staub fingerdick lag, und schürte das Feuer, denn noch war es längst nicht warm, dann machte sie sich mit fieberhafter Eile über den Baum her. Die Kleinen standen mit glühenden Gesichtern und sahen zu, Agnes reichte das Konfekt und die Wachslichter. Als er hergerichtet war, holte Hedwig ein Tuch und wischte den Staub so hastig, als thäte sie etwas Verbotenes, bei dem sie sich um Gottes willen nicht abfassen lassen dürfte; in zitternder Hast legte sie dann ihre kleinen Geschenke unter den Baum, nachdem sie vorher die Kinder hinausgesperrt hatte, und wie ein Wirbelwind war sie plötzlich in der Küche und quirlte die Sahne zur Karpfensauce.

„Wann kommt der Herr zurück?“ fragte sie dabei.

„Ach, das kann spät werden,“ meinte der alte Knecht, „er wollte ins Buchroder Revier und ist hingeritten.“

Hede warf einen Blick auf die Uhr, es war noch nicht halb Sechs. „Ich muß um sechs Uhr fort, Karoline, muß noch in die Kirche,“ sagte sie. „Merk’ auf – vor dem Anrichten thust du den geriebenen Meerrettich in die Sahne, das ist alles.“

„Ach, Fräulein, warten Sie doch noch einen einzigen Augenblick. Ich hab’ so’n nötigen Gang,“ bettelte das Mädchen „nachher sind die Läden alle zu und ich möchte so gern noch einen Shawl kaufen für meinen Fritz und kann die Kinder doch nicht allein lassen!“

„Ja, aber, liebe Karoline, dann rasch!“ Und Hede setzte sich ganz nervös auf den Küchenstuhl „Bitte, rasch, Karoline!“ wiederholte sie.

„Aber wie ein Hase laufe ich,“ rief diese, nahm den flanellgefütterten Kattunmantel und stürzte hinaus, als ob es brennte.

Draußen sagte sie vor sich hin, indem sie ihre Eile mäßigte „Na, warten Se man een beten, bis der Herr Oberförster nach Hause kommt – ick hab’ kein’ Eil’ Und als sie nach einer längeren Weile zurückkehrte, saß Fräulein von Kerkow noch da und sah mit gefurchter Stirn vor sich hin und hatte gar nicht gemerkt, daß Karoline eine geschlagene halbe Stunde fortgewesen war.

„Es ist noch viel Zeit bis zur Kirche,“ sagte das Mädchen, „ich danke auch schön, Fräulein von Kerkow. Ein Paar Strümpfe habe ich auch noch rasch gekauft für den Fritz.“

Hede erhob sich. „Holen Sie mir Hut und Mantel, Karoline, ich will jetzt gehen, den Kindern sage ich nicht Gute Nacht, sie fangen sonst wieder an zu quälen.“

„Herrjeh! Ja, ja,“ meinte das Mädchen, „ich wundere mich überhaupt, daß sie so still sind. Sie werden wohl am Fenster stehen und auf den Vater passen. – Fräulein, ich gehe gleich und hole den Mantel, will nur erst ’mal nach dem Feuer sehen. Und sie ergriff einen Armvoll Holz und schob es bedächtig, Stück für Stück, unter den Herd.

Da klingelte es. Hede Kerkow aber verharrte noch regungslos auf dem nämlichen Flecke. Natürlich war er es. Der Knecht hinkte über den Flur ihm entgegen, Karoline aber begann eine vorwurfsvolle Rede:

„Und das wäre doch ’mal ’ne Upmunterung gewesen vor den armen Mann, der so wie so nichts nich auf der Welt hat. Bleiben Sie doch man dies einzige Mal da, Fräulein, es ist ja doch Weihnachten und die Bälger sind doch rein vom Bändel los vor Vergnügen!“

Hede Kerkow stand da, wie wenn man sie beim Stehlen ertappt hätte, und wartete auf den Augenblick, wo die Thür zu des Oberförsters Zimmer gehen sollte, um dann unbemerkt zu entwischen. Aber da drangen schon die Stimmen der Kinder aus dem Hausflur herüber die den Vater mit der Jubelbotschaft empfingen: „Die Tante ist da, Vater! Um fünf Uhr ist sie gekommen! Sie will nicht hier bleiben, aber du läßt sie nicht fort – gelt, Vater?“ Und dann lief Karoline zur Küchenthür, riß sie auf und schrie „Hier ist die Tante!“

Hede Kerkow sah ein, daß sie gefangen war. Sie wollte wenigstens einen ehrenvollen Rückzug antreten, und deshalb ging sie ruhig dem Oberförster entgegen, der da inmitten seiner Kinder noch in Flausch und Mütze stand, auf denen die Schneeflocken lagen wie auf den Weihnachtsmännern in den Spielwarenläden der Eisflimmer.

„Ich will nicht lange stören,“ sagte sie freundlich, „ich möchte zur Kirche gehen. Es freut mich, daß ich Ihnen noch ein frohes Fest wünschen kann.“

„Danke, Fräulein von Kerkow! Es thut mir nur leid, daß Sie mir nicht die Freude machen wollen, den Heiligen Abend mit uns zu verleben. Er nahm die Mütze ab und setzte sie seinem Jungen auf, dann zog er den Flausch aus und warf ihn Agnes über den Arm. „Einen Augenblick aber treten Sie doch wohl ein!“ bat er, „sonst muß ich wahrlich denken, daß Sie gehen, weil ich komme.“ Und als die Kinder eilfertig die Sachen fortschleppten, wandte er sich der Wohnstube zu.

Da rief Agnes zurück: „Dort darfst du nicht ’rein, Vater, dort liegen ja unsere Geschenke für dich!“

Nun machte er gehorsam kehrt und schritt nach seiner Stube. „Ich bitte, hier vorlieb zu nehmen,“ sagte er.

Einen Augenblick zögerte sie, dann folgte sie ihm. Er ging zum Schränkchen, auf dem die Lampe stand, zündete sie an, trug sie auf den Tisch und bat Hede, auf dem Sofa Platz zu nehmen.

„Es ist noch ebenso hier, wie Sie sehen,“ sagte er und lächelte ein wenig melancholisch. Und dann saß er ihr gegenüber, starrte auf die verblichene Tischdecke, mit deren Fransen er spielte, und schwieg. Und Hede schwieg auch, und beiden klopfte laut das Herz. Von draußen schollen noch einmal die Stimmen der Kinder herein, dann ward es ganz still.

Karoline hatte sie in die Küche gerufen „die Bälger,“ wie sie sich ausdrückte, und da sagte sie: „Nu hört ’mal zu! Wir gehen alle in die Kirche – den großen Christbaum am Altar, den müssen wir sehen. Unterdes baut Vater auf und Tante hilft ihm. Karoline war auf einmal Diplomatin geworden. Jetzt oder nie! dachte sie. Und im Umsehen war sie fertig mit ihrer Schar und zog zur Hausthür hinaus, nachdem sie über die „ollen Karpen“, die noch lustig im Faß plätscherten, ein Brett gedeckt hatte. „Und achten Sie aufs Feuer, David,“ sagte sie zu dem alten Knecht, „und wenn der Herr uns sucht – wir sind man bloß ein bißchen in die Schloßkirche gegangen.“

Unter dem Geläut der Glocken stiegen sie den Schloßberg hinan und traten in das Gotteshaus, in dem es heute so feierlich war wie nie. Die großen Kronleuchter brannten und die Jungen aus der Realschule sangen

„O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!“

Es hatten sich viele Leute dort versammelt, nur Tante Hedes Platz im Nachbargestühl, der dem Herrn Schloßhauptmann zugehörte, just unter der herzoglichen Empore, war leer. Karoline verwandte kein Auge von dem kleinen Thürchen, das in dieses Betstübchen führte, aber es blieb geschlossen, kein Fräulein von Kerkow kam über die Schwelle, und auch der Herr Schloßhauptmann fehlte.

Der Prediger trat auf die Kanzel, und die drei Blondköpfe vor Karoline lauschten mit großen gläubigen Kinderaugen, und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_278.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)