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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Haus un Hof is besser als Korallens,“ erklärte Lorensen.

Peretti lachte. „Haus! Hof! Gut für Land mit acht Monat Winter, mit berghoch Schnee. Bei uns Haus der ganz Himmel. Hof ein Gebüsch von Kamelias all in Blüten, ein Wald von Oliven –“

„Hören Sie auf,“ sagte der Holsteiner. „Eine einzige richtige Ostseebuche is mich lieber als zehn so ’n krümperige Olivenstümpe.“ Er hatte Oliven nie mit Augen geschaut, sein gekränkter Nationalstolz machte ihn hellsehend.

Aber Doris war nachdenklich geworden. „Das sagen Sie nich, Lorensen. Wenn der Oelbaum so hoch aus die Sündflut hervorstechen that, daß die Taube da ein Blatt von abpicken konnt, dann muß ihm doch ein gansen ansehnlichen Baum sein.“

„Ich begreife man bloß nich“, stichelte Lorensen, „warum die Italieners in so’n wunderschönes Land gar nich in bleiben.“

„Ein Sach’ aber hab’ die Deutsche so gut wie wir,“ fuhr Peretti fort, „die Frauen. Nein, besser! Frauen mit Haare wie reife Aehren, Frauen wie Mondschein, wie die klaren Bäche in Deutschland! Die italienische Frauen sind zu wild, zu hart, und hart zu hart giebt schlechte Musik – Aber die deutsche Frau, ah! sanft und klug und besonnen. Ich verehr’ die deutsche Frauen. – –“

Lorensen fing wütend an, den Dessauer Marsch zu pfeifen.

„Lorensen! Kamerad“, sagte der Italiener zu dem Pfeifenden, „wenn ich dich langweil’, du weißt, wir brauchen dir nix – die Signora und ich – eh? nich wahr?“

Doris machte eine Bewegung. „Lorensen will doch zu mein Kaptän. Wie können wir ihn das woll wehren? – Un kuck ’mal! Da sind wir ja all’. Gar nich lang is mich der Weg vorgekommen. Adjüs auch, Herr Perdü.“ Sie sah den Italiener lächelnd an. „Un weil Sie so bannig schön snaken können – da!“ Sie nahm die Ringelblume aus dem Mund und reichte sie ihm. „Aus gutem Herzen! Ich hab’ nix Besseres. Myrten un Chamäleons wachsen ja nich in unsern Boden.“

Vor den Dreien lag der Schleusenkrug auf hoher Warft, eng zusammengekauert über dem Wasserarm. Das neue Kanalbett schnitt ihm einen Teil seines Grund und Bodens weg, nur ein schmales Dreieck blieb, Platz für das Haus mit seinen blank glänzenden Fenstern und drei eng zusammenstehende Buchen, unter denen Tische und Bänke sich zusammendrängten wie eine Schafherde beim Gewitter. Ein ehemaliger Schiffskapitän hielt hier Ausschank und machte gute Geschäfte.

Während der Italiener unter einer Flut von Beteuerungen in seiner Muttersprache die Blume mit Küssen bedeckte, traten Doris und Lorensen in den schmalen Hausgang. Dem Burschen saß der Zorn würgend in der Kehle und zitterte in seinen geballten Fäusten. Er stampfte über die sandbestreuten Fliesen hin, stumm, ohne aufzusehen immer weiter, der Thür zu, die auf der Rückseite des Gebäudes wieder ins Freie führte.

„Je, Lorensen“, erkundigte sich Doris, „willst denn nich zu mein Kaptän?“

Er biß die Zähne zusammen „Ich will fort.“

„Fort?“

„Ja, von dir, du slechte Dirn’.“

Doris stieß das Tablett auf einen Tisch und ging dem Vorauschreitenden nach.

„Worüm bist mit eins so falsch, Lorensen? Weil ich den Musje Perdü hab’ snaken lassen?“

„Wenn du den swarzen Tater leiden magst, denn brauchst du das man bloß zu sagen. Es giebt noch Deerns genug im Lande. Da is kein Mangel an.“

Sie standen in dem engbrüstigen Gärtchen unter den drei Buchen. Doris betrachtete ihn kopfschüttelnd.

„Lorensen, du bist wirklich zu dumm!“

„Aber blind bin ich nich, entgegnete er. „Hast du den ungewaschenen Kerl nich angeklappert mit deine Augens den ganzen Weg lang un dich ’was vorklönen lassen von Korallens un ein Haus mit den freien Himmel als Dach! Un am Ende hast ihm gar die Blume geschenkt, dem Hanswurst! Du!- du! –“

„Un warum hab’ ich all’das gethan?“ verteidigte sich Doris, vor Lorensen hintretend. „Warum mußt’ ich all’ das thun? – Doch man bloß, weil du gegen ihn wie so ’n rechten Bullrian un Dreschflegel losgezogen bist. Wenn die Jalousie dir packt, Lorensen, denn is das gerad’ wie wenn ein kalkuttschen Hahn auf ’nen roten Tuch losgeht, denn hörst un siehst nix.“

„Da brauchst du dich nich um zu kümmern, ob ich so ’n Kunden grob oder fein traktier’.“

Doris hob die Augen anklagend ob solcher Einfalt zum Himmel.

„So? Das soll mich denn woll auch egal sein, ob sie dir mit ’n Messerstich in ’n Rücken hinter ’n Knick auflesen? Die Italieners sind ’ne slimme Sorte, sagt mein Kaptän. Un ein slimmen Hund wirft man ein extra großen Brocken hin.“

„Ja snaken kannst gut,“ erwiderte Lorensen grimmig. „Den Svensen, den armen Narren, hast auch den Kopf verdreht.

Doris mußte lächeln. „Gott bewahr’ mich! Bist auf Svensen auch jalou?“

„Alle Mannsleut führst am Narrenband,“ beschuldigte er heftig weiter.

„Ja, freundlich bin ich mit sie alle,“ gestand Doris zu. „Adjüs also! –“

„Aber“ – ihre Augen, blau und feucht wie die Wellen draußen, blitzten ihn schelmisch an – „aber – lieb hab’ ich man Ein.“ –

Er wollte gekränkt vorüberschreiten, aber sein Empfinden überwältigte ihn. Es war immer der gleiche Kreislauf, erst eifersüchtige Wut, dann weiche Schwermut.

„Doris, ein einfachen Menschen bin ich man, un – Korallens kann ich dich kein kaufen, aber ich hatt’ mich das so schön gedacht, wenn du un ich – un ich un du – Ich mein’, nachdem sie mit ’n Kanal zu Gange sind, so in ein, zwei Jahren – nee, ich hatt’ mich das wunderschön gedacht.“

„Ich auch, Lorensen – Un um Korallens, weißt, da geb ich nix um.“

„Wirklich nich?“ Er packte ihre Schultern, er sah ihr fest in die Augen. Die Gewalt der Neigung, die in ihm rang und kämpfte, machte seine Lippen zittern. „Un süh – snaken kann ich auch nich. Ich kann nich, Deern! un wenn mich’s inwendig alles um und um reißt. Wie so ’n richtigen Klotz liegt mich die Zung’ in ’n Munde.

„Um ’s Snaken geb’ ich auch nix, Lorensen. Das is wie Musje Perdü sein Haus von Luft mit ’n Himmel als Dach drauf. Für ’n fixe holsteinsche Deern is das ’n zu windigen Aufenthalt.“

„Du glaubst ihn also nich?“ jauchzte er. „Du magst ihm nich leiden?“

„Den gelbswarzen Lügenbüdel? – Der is ja wie so ’n richtigen Giftschwamm!“

„Deern! Deern!“

Lorensen riß sie in seine Arme, preßte sie leidenschaftlich an sich.

„Bist nu zufrieden?“ fragte sie.

„Ja, gansen zufrieden.“

„Denn segel’ man fix ab, du große, dumme Jung’ du“

„Doris! Doris! soll ich denn nich ’n Augenblick – man ein kleinen Augenblick –“

„Nee, nee, ich hab’ zu thun. Un denn, was sollt’ woll der Perdü denken, wenn er uns was aufpaßt?“

„Doris – wenn du es doch ehrlich mit mich meinst –“

„Denn brauch’ ich das noch lang’ nich an die große Glocke zu hängen, damit daß all die slechten Kerls dich aufsässig werden. Mach, daß du aus ’n Haus kommst!“

Er zögerte noch.

„Wenn du abers magst, kannst nach Schummern ’mal hintern neuen Leuchtturm gucken.“

„Hintern Leuchtturm?“

„Kann sein, der Kaptän schickt mir nach Friedrichsort.“

„So spät am Abend?“

„Kann sein, ich mach’ den Weg gans gern. Es is man einmal schön un still hinterm Leuchtturm.“

„Ich komm’, Doris! Ich komm’ gewiß!“

Der Weg zu den Baracken schien völlig menschenleer, als Lorensen aus der Krugthür trat. Aber hinter Stein- und Kohlengerümpel am Kanal verborgen lauerte Peretti, sah seinen Rivalen mit hochgehobenem Kopf, mit blitzenden Augen, über den Sand schreiten. Und er ballte die Fäuste und knirschte einen Fluch. –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_274.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)