Seite:Die Gartenlaube (1897) 268.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Einen weiteren Beitrag zu dieser wichtigen Frage bildet eine Mitteilung über „Praktische Arbeit unter Alkoholwirkung“, die Dr. Gustav Aschaffenburg in der von Prof. Emil Kräpelin herausgegebenen Zeitschrift „Psychologische Arbeiten“ (Leipzig, Wilhelm Engelmann) veröffentlicht hat. Den Anstoß zu diesen Untersuchungen gab ein Diskussionsabend des Heidelberger Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, in dessen Verlauf die Erschwerung der Arbeit schon durch Einnehmen kleinerer Alkoholmengen besprochen wurde. Aschaffenburg stellte nun mit einigen Setzern eines Heidelberger Lokalblattes eine Reihe von Versuchen an, durch welche ihre Leistungsfähigkeit ohne und unter Genuß von Alkohol ermittelt wurde. Die Setzer arbeiteten unter Verhältnissen, an die sie gewöhnt waren. Um die Gefahr zu vermeiden, daß durch die größere oder geringere Lesbarkeit der Manuskripte Fehler entstanden, wurde in den Versuchsstunden nur nach gedrucktem Material gesetzt. An bestimmten Versuchstagen erhielten die Setzer nach der 1. Viertelstunde je 200 g eines etwa 18% Alkohol enthaltenden griechische Weines aus der Apotheke des Akademischen Krankenhauses. Das Ergebnis der Versuche war, daß durch die Wirkung jener mäßigen Alkoholgaben die Leistungsfähigkeit der Arbeiter herabgesetzt wurde. Diese Schädigung der Leistungsfähigkeit blieb unter 8 Versuchen nur einmal aus, sie betrug in den anderen Versuchen 10 bis 19 % der Leistung, welche ohne Ermüdung und ohne Uebungsverlust hätte erwartet werden können.

Wir ersehen also daraus, daß geistige Getränke selbst in mäßigen Gaben eine Arbeit nicht zu fordern imstande sind, bei der es weniger auf körperliche Anstrengung als vielmehr auf Anspannung der Aufmerksamkeit ankommt.

Seit langer Zeit sucht man, den Alkoholgenuß durch Anpreisung anderer anregender Genußmittel zu verdrängen. In dieser Hinsicht stehen Kaffee und Thee im Vordergrunde. Die Wirkung dieser Aufgüsse auf den menschlichen Organismus ist in letzter Zeit wiederholt der Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. In denselben sind verschiedene Stoffe enthalten, die besondere Wirkungen hervorrufen. Wir finden zunächst im Thee und im Kaffee ein Alkaloid, das Koffein, und ferner ätherische Oele, die den Getränken ihr Aroma verleihen. Man hat beide Stoffe voneinander getrennt und sie gesondert Versuchspersonen genießen lassen. Es hat sich dabei herausgestellt daß die ätherischen Oele auf das Gehirn und das Nervensystem zuerst anregend, dann aber in größeren Mengen namentlich narkotisch oder betäubend wirken. Das Koffein übt dagegen gerade auf die Muskeln einen entschiedenen Einfluß aus. Nach dem Genuß desselben wuchs die Leistung der Muskelarbeit zusehends und ihre Zunahme betrug in verschiedenen Fällen 10 bis 20 %. Somit wäre in dem Koffein wirklich ein Mittel geboten, das den erschöpften Körper mit neuer Kraft beleben kann. Wo es sich darum handelt, für kurze Zeit die Leistungsfähigkeit des Körpers zu steigern, wäre sein Genuß angebracht. Man darf aber dabei nicht vergessen, daß auch das Koffein ein Gift ist, daß sein übermäßiger Gebrauch Muskelzittern und Herzschwäche zur Folge hat.

Immerhin ist ein mäßiger Genuß von Kaffee und Thee nicht im entferntesten so schädlich wie der Gebrauch von Alkohol. Man kann darum Thee und Kaffee wohl als Stärkungsmittel empfehlen. Wer aber von ihnen Nutzen ziehen will, sollte in ihrer Verwendung mit der nötigen Vorsicht verfahren. Vor allen Dingen sollte er zu Zeiten, wo er einer Anregung nicht bedarf, auf den Genuß dieser Stärkungsmittel verzichten oder ihn wenigstens bedeutend einschränken, wenig und leichteren Thee oder Kaffee trinken.

Von den Negern Afrikas haben die Europäer in letzter Zeit ein neues Stärkungsmittel kennengelernt. In Westafrika werden die nuß- oder kastanienartigen Früchte des Kolabaumes von den Eingeborenen gekaut, und es wird ihnen nachgerühmt, daß sie die Müdigkeit verscheuchen. Diese Nüsse werden in Europa zu Pastille, Chokolade und dergl. verarbeitet und erlangen namentlich in Kreisen der Radfahrer, Bergsteiger und Sportleute immer weitere Verbreitung. Die Kolanüsse enthalten gleichfalls Koffein und haben darum eine anregende und stärkende Wirkung, vor ihrem Mißbrauch muß natürlich ebenso gewarnt werden wie vor dem von Kaffee und Thee.

Als ein gutes Stärkungsmittel auf anstrengenden Märschen und bei Bergbesteigungen wird neuerdings der Zucker gerühmt. In den Alpenländern ist er als ein solches längst bekannt. Jäger pflegen dort für ihre weiten Touren Zucker und Speck mitzunehmen. Die Wirkung des Zuckers ist leicht erklärlich: bei schwerer Muskelarbeit verbrennt der in Körpersäften aufgespeicherte Zucker und durch Einverleibung neuer Mengen wird dem Körper sozusagen neuer Brennstoff zugeführt. Der Zuckergenuß verhütet also die Erschöpfung aus Mangel an Nährstoff.

Aber die Ermüdung wird nicht allein durch Aufzehren der Nährstoffe herbeigeführt. Während der Arbeit erzeugen Muskeln und Gehirn neue Stoffe, die für den Körper unnütz sind, da sie eine bereits verbrauchte Substanz sind. Ja, diese Stoffe wirken auf den Körper giftig, lähmend. Sie rufen die Ermüdung hervor und müssen ausgeschieden werden, wenn Muskel und Nerven zu neuer Thätigkeit befähigt werden sollen. Endlich muß der Muskel- und Nervenzelle Zeit gegönnt werden, die während der Arbeit aufgezehrten Bestandteile aus den Nahrungsstoffen wieder aufzubauen Das alles kann sie aber nur während völliger Ruhe besorgen. Eine wirkliche Stärkung, Neubelebung der ermüdeten Nerven-oder Gehirnzelle kann vollends nur im Schlaf erfolgen. Darum sind entsprechende Ruhepausen in der Arbeit und genügender Schlaf bei zweckmäßiger Nahrungsaufnahme die natürlichen und besten Stärkungsmittel. Nur in der äußersten Zwangslage, wenn wirklich Wichtiges und Großes auf dem Spiele steht und die Arbeit unaufschiebbar drängt, sollte man ausnahmsweise zu den künstlichen Stärkungsmitteln greifen. Wer aber sonst im gewöhnlichen Laufe des Lebens die gebotenen Ruhepausen, Sonntage und Ferien zur wirklichen Erholung weise ausnutzt und den Nachtschlaf nicht unnötigerweise verkürzt wird ohne Stärkungsmittel arbeitsfrisch und leistungsfähig bleiben und mehr leisten als die anderen, die durch planlose Ueberanstrengung und allerlei Gifte ihren Körper zerrütten. M. Hagenau.     


Die Hundertjahrfeier in Berlin.

Von G. Klitscher. Mit Illustrationen von W. Pape.

Der Festjubel ist verrauscht. Die deutschen Fürsten haben die Reichshauptstadt wieder verlassen und die Hunderttausende, welche fröhlich und feiernd durch die Straßen zogen, sind zu ihrem Alltagswerk zurückgekehrt. Die letzten Fahnen hat man wieder eingezogen, die Obelisken und Guirlanden und all der andere glänzende Schmuck sind verschwunden. Berlin zeigt wieder sein gewohntes Aussehen. Aber gegenüber dem alten Königsschloß an der Spree ragt, für Zeit und Ewigkeit errichtet, das Denkmal des ersten Deutschen Kaisers auf, zu dessen Gedächtnis die glänzenden Feste veranstaltet wurden. Es waren schöne Tage und all die Verehrung, die der greise Held im Herzen seines Volkes erweckt hatte, brach noch einmal bei jung und alt, bei arm und reich, bei niedrig und hoch in lauter, froher Begeisterung hervor. Es ist ein köstlich Ding um die Liebe, die nimmer aufhört und auch über das Grab hinaus noch Treue hält!

Der Anfang der Feier fiel auf einen Sonntag – fast genau neun Jahre waren vergangen seit jenem Morgen da man den toten Kaiser, der keine Zeit gehabt hatte müde zu sein, zur letzten wohlverdienten Ruhe unter den alten schwarzen Tannen im Mausoleum des Charlottenburger Schloßgartens beigesetzt hatte. Damals hatte noch bitterkalter Winter sein Recht behauptet, jetzt wehten feuchte, nebelschwere Frühlingswinde durch das Land, ohne freilich den Festen allzusehr Abbruch thun zu können. Die Auffahrt der Fürstlichkeiten in den alten historischen Karossen unter Entfaltung des höchsten höfischen Prunks zum Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche bot ein eigenartiges, farbenprächtiges Schauspiel. Nach der kirchlichen Feier folgte ein Akt sinniger Pietät. Der kaiserliche Enkel ließ unter seiner eigenen Führung die Fahnen der Berliner Garnison für die Dauer der Feste in jenes Zimmer des großväterlichen Palais bringen, wo sie zu

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_268.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)