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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

fängt die große Oede und Einsamkeit an. Sie würde dann hier Gesangstunden geben, den Töchtern der Oekonomen aus der untern Stadt und von den umliegenden Gütern, die wollen dann Lieder von Abt singen und werden Brahms scheußlich finden und wenn’s Glück gut ist, darf sie bei ein paar Konzerten in der Kreisstadt mitwirken.

Tante Emilie trat zu ihr. „Verliere den Mut nicht, Kind! Man ißt nichts so heiß, wie es gekocht wird.“

Aenne nickte. „Ich hab’ ’s dem Vater versprochen, Tante, und Mutter kann auch nicht immer allein sein, ich dachte nur, sie hätte mich so lieb, daß sie – – aber es ist wahr, es ist ein unbilliges Verlangen von mir gewesen.“

„Laß nur,“ tröstete die Tante, „ich bin alt und bleibe bei ihr, und du bist ein verständiges Kind, du gehst allein ins Leben hinaus. Sie werden sich das alles noch überlegen, die Mutter und die dummen Jungen dazu, die haben’s doch gern genommen, wenn du ihnen was schicktest, und werden’s vermissen.

Aenne schüttelte den Kopf. Nein, Tante, ich will der Mutter den Lebensabend nicht verbittern, es war ja nie nach ihrem Sinn, daß ich hinausging, sie hat immer Kummer um mich gehabt.

„Natürlich, du solltest heiraten und thatest es nicht.“

Aenne seufzte. „Reden wir nicht mehr davon, Tante!“ bat sie.

Nun hörten sie, wie die Stubenthür ging und wie die Mutter den Gast hinausbegleitete. Nach einem Weilchen trat sie in die Küche, es lag auf ihrem Gesicht zum erstenmal wieder ein Ausdruck, der an die thätige wirtschaftliche Frau von früher gemahnte.

„Ich habe die Zimmer vom Vater vermietet,“ sagte sie, „Neujahr zieht er ein, natürlich – vorbehaltlich der Genehmigung der Herzoglichen Kammer.

Aenne erbleichte. „Vaters Zimmer – vermietet?“ stotterte sie, „Vaters Zimmer?“

„Mit den Möbeln – was soll man machen, um durchzukommen?“

Keine der beiden Ueberraschten antwortete; Aenne verstand ihre Mutter nicht. Eben noch der Kampf um ihr Dasein, jetzt das schnelle Preisgeben der Wohnräume des Verstorbenen an einen Fremden – –

„Es ist doch besser, ich habe einen Schutz im Hause,“ fuhr die Rätin fort,„als wenn wir Frauensleute so allein wohnen – und sie schalt zum erstenmal wieder auf das kleine Dienstmädchen, weil der Wasserkessel beinahe leer auf dem Feuer stand. In ihrem Herzen war wieder eine Hoffnung aufgegangen – der Doktor hatte Aenne so bewundernd nachgeblickt, als sie hinausging.

Aenne aber stieg hinauf in ihr Stübchen; sie lehnte die Stirn an die Scheibe und Thränen flossen ihr aus den Augen, so daß das einsame Licht in dem Erkerfenster des Schlosses droben zu allerlei Gestalten verschwamm vor ihren Blicken. Und der dort bei dem Lichte saß – der war noch unglücklicher als sie.

Und auf einmal erfaßte sie ein thörichtes, riesengroßes Verlangen, neben ihm zu sitzen, den Kopf gegen seine Schulter zu legen und unter Thränen zu sagen: „Ach, wir beide, Heinz, wir beide – was ist aus uns geworden!“ Aber dann würde er sie ansehen, so gleichgültig und kalt und fremd wie am Begräbnistage.

Es fror sie plötzlich, die kleine Aenne May, und sie schlich hinunter in die Wohnstube zu Mutter und Geschwistern und saß da mit wehem Kopf und hörte, wie die Brüder es sehr vernünftig fanden, daß Mutter den Doktor als Mieter angenommen hatte.

Und in dieser Nacht weinte die alte Frau nicht, zum erstenmal nicht seit dem Tode ihres Mannes, sie schlief.

(Fortsetzung folgt.)




Stärkungsmittel.
Ein Beitrag zur Hygieine der Arbeit.

Gar viele seufzen im Leben unter einer Arbeitslast, die zu schwer ist für ihre Schultern. Die einen zwingt die Not und Ungunst der Zeiten zu einer übermäßigen Anstrengung, andere bürden sich aus Ehrgeiz oder der Sucht, reich zu werden, mehr auf, als sie tragen können, andere wieder mühen sich zu ihrem Vergnügen ab, irgend ein Ziel zu erreichen. In diesem notgedrungenen oder freiwilligen Hasten und Jagen ermatten täglich Millionen Menschen und schauen sich nach einem Stärkungsmittel um, das die schwindenden Kräfte neu beleben soll.

Der Handarbeiter, der vorwiegend seine Muskeln anstrengt, und der geistige Arbeiter, der sein Gehirn und seine Nerven in rastloser Thätigkeit erhält, befinden sich in gleicher Lage, wie verschieden ihre Arbeit erscheint, beide werden in gleichem Maße müde, oft ehe sie ihr Tagewerk vollbracht, und die wenigsten mögen ausspannen, um in der Erholung die naturgemäße Neubelebung der Kräfte zu finden.

Darum sind Stärkungsmittel vielbegehrt und in manchen Lebenslagen auch wertvoll und notwendig. Dem Müden werden sie in Hülle und Fülle geboten aber wie nicht alles Gold ist, was da glänzt, so verdient nicht alles als Stärkungsmittel geschätzt zu werden, was unter diesem Name segelt. Schon das verbreitetste und bekannteste aller Stärkungsmittel, der Alkohol, der in Bier, Wein oder Branntwein genossen wird, ist in seiner Wirkung auf die Arbeitsleistung des Menschen wenig ersprießlich. Sein mäßiger Genuß nach vollbrachtem Tagewerk mag diesem und jenem förderlich sein, indem dadurch die Thätigkeit des Herzens und der Verdauung angeregt wird, inmitten einer schwierigen Arbeit aber erweist er sich nicht als ein Mittel, das die Kräfte derart belebt, daß mit ihnen eine erhöhte Leistung vollbracht werden kann. Im Gegenteil, die Erfahrung hat vielfach gelehrt, daß unter solchen Umständen der Genuß geistiger Getränke verderblich zu wirken vermag.

Wahrnehmungen dieser Art gaben den Anlaß, den Alkohol aus der Feldflasche des Soldaten bei anstrengenden Märschen zu verbannen. Leider aber wird diese Lehre in der breite Masse des Volkes wenig gewürdigt, nach wie vor suchen die meisten Arbeiter ihre Kräfte durch einen stärkenden Schluck zu beleben. Darum ist eine stets erneute Belehrung über die Wirkung des Alkohols bei praktischer Arbeit dringend notwendig.

In jüngster Zeit sind interessante Erhebungen nach dieser Richtung hin veranstaltet worden, und von diesen wollen wir nur zwei mitteilen. Die eine betrifft den Einfluß des Alkohols auf die Verrichtung rein physischen die andere die Beeinflussung einer mehr geistige Anstrengung erfordernden Arbeit.

In der Zeitschrift Mitteilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins hat Ende vorigen Jahres Dr. Otto Snell eine Aufforderung an die Bergsteiger gerichtet, sie möchten ihm die gemachten Erfahrungen über den Nutzen und Schaden des Alkoholgenusses bei anstrengenden Bergbesteigungen mitteilen. Infolgedessen sind bei dem Fragesteller 60 Erklärungen eingegangen, die auf praktischer, oft langjähriger Erfahrung beruhen und darum von besonderem Wert sein dürfte.

Wie nun Dr. Otto Snell in Nr. 3 des laufenden Jahrgangs der genannten Zeitschrift mitteilt, haben sich 38 Zuschriften, also 62%, oder die überwiegende Mehrheit, dahin ausgesprochen, daß alle geistigen Getränke während anstrengender Bergbesteigungen gänzlich vermieden werden sollen. Einige gehen so weit, daß sie nicht nur am Tage einer anstrengenden Tour sondern auch schon am Abend vorher die größte Mäßigkeit empfehlen; andere halten Mitnahme von Bier und Schnaps für ein Verbrechen, das Mitschleifen von leichtem Wein immerhin noch für ein Vergehen. Zwölf Stimmen haben sich für den mäßigen Genuß von Wein während der Wanderung erklärt, verwerfen aber Branntwein und Bier. Drei andere Zuschriften sprechen sich dahin aus, daß man Cognac oder eine andere Branntweinart mitnehmen, aber sie nur unter besonderen Verhältnissen, gewissermaßen als Arznei, genießen solle. Nur fünf Bergsteiger halten den Genuß verschiedener geistiger Getränke in mäßiger Menge während der Tour für empfehlenswert oder unschädlich.

Diese Erhebungen zeigen unzweideutig, daß der Genuß von Alkohol bei einer mit starker körperlicher Anstrengung verbundenen Arbeit, wie die der Bergsteiger, sich als zuverlässiges Stärkungsmittel nicht bewährt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_267.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)