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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Der neue Justizpalast in München. (Zu dem Bilde S. 241.) Lange hat die an Kunstdenkmälern so reiche bayrische Residenz den eigentlichen Großstadtcharakter entbehrt; sie gewinnt ihn neuerdings durch eine Reihe monumentaler Prachtbauten, unter welchen der Justizpalast des Architekten Professor Friedrich Thiersch eine hervorragende Stelle einnimmt. Die reichgegliederte Renaissancefassade des aus grünlichem Donausandstein erbauten Gebäudes am Karlsthor macht in ihrem guten Verhältnis der Länge zur Höhe, den stattlichen Vorsprüngen und der schön geführten Haupttreppe, mit den großen Fensteröffnungen zwischen den Wandsäulen, den Eindruck der Würde und künstlerischen Schönheit. Ueber ihren figurengeschmückten Giebeln erhebt sich die Kuppel des Mittelbaues. Sie überdacht die große Marmorwandelhalle und das Treppenhaus, dessen Amorettengruppen von dem Bildhauer Professor Eberle herrühren; die Wandmalereien im Repräsentations- und Schwurgerichtssaal hat Professor Thiersch in Verbindung mit jungen Künstlern geschaffen. Die Stückarbeiten des ornamentalen und figürlichen Schmuckes machte Bildhauer Pfeifer. Der nun so prächtig vollendete Palast hat seinem Erbauer nicht wenig Sorgen gemacht wegen der Schwierigkeiten, mit der vom Landtag verwilligten Summe von nur 6½ Millionen (ziemlich der gleiche Preis wie der des Reichsgerichtes in Leipzig, das um die Hälfte kleiner ist) den äußeren Schmuck des Gebäudes noch herauszubringen. Seiner Energie und Sparsamkeit ist das Werk trotzdem gelungen und so steht nun der stolze Bau, den weiten Karlsplatz mit seinen Anlagen und schönen Architekturbilderu überragend, der Münchener Kunst zur Ehre als eine neue große Zierde der so mächtig aufblühenden Isarstadt. Bn.     

In Gedanken.
Nach einer Originalzeichnung von V. Thomas.

Johanna I., Königin von Neapel. (Zu dem Bilde S. 245.) Das 14. Jahrhundert brachte schlimme Zeiten über das herrliche Neapel. Das Haus Anjou war durch innere Zwistigkeiten zerrissen, und während Erbfolgekriege das Land verwüsteten, herrschte an dem Hofe maßlose Sittenlosigkeit. In dieser unruhigen Zeit erblickte Johanna im Jahre 1326 als Tochter des Herzogs von Kalabrien das Licht der Welt; mit regem Geiste begabt, war sie eine Schülerin Petrarcas und zeichnete sich durch Sinn für Künste und Wissenschaften aus. Ihre äußere Erscheinung war von liebreizender Anmut und so kam es, daß die Fürstin viele Herzen bestrickte und von so manchem Dichter und Geschichtschreiber mit warmem Lob gepriesen wurde. Leider war sie nur zu sehr das Kind eines verdorbenen Zeitalters und hinter ihrem Engelsangesicht lauerten die düsteren Dämonen des Verbrechens! Schon als sechsjähriges Kind wurde Johanna dem siebenjährigen Prinzen Andreas von Ungarn vermählt – ein Werk der Politik, denn dieser Prinz hatte Ansprüche auf die Krone von Neapel. Als ihr Großvater Robert gestorben war, bestieg Johanna 1343 den Thron von Neapel; ihr Gatte Andreas wollte sich ebenfalls krönen lassen; er hatte die einflußreiche ungarische Partei hinter sich, den Papst für sich; aber die siebzehnjährige Königin wollte ihre Herrschaft nicht teilen und faßte den Plan, ihn zu ermorden. Es wird berichtet, ihr Gatte habe sie einmal angetroffen, wie sie mit einer seidenen mit Gold durchwirkten Schnur spielte; er habe sie gefragt, wozu sie dieselbe brauche. Da soll Johanna erwidert hohen: „Dich zu erdrosseln, mein Freund“, und in der That soll sie diese ruchlose That wenige Augenblicke darauf vollbracht haben. Diese Ueberlieferung benutzte Laura Le Roux zum Vorwurf des Bildes, das unser Holzschnitt wiedergiebt. Nach einer anderen Lesart ließ Johanna ihren Gatten durch ihre Helfershelfer im Kloster Aversa erdrosseln. Da erhoben sich die Großen des Reichs, an ihrer Spitze Karl von Durazzo; sie aber, die inzwischen ihren Geliebten, Ludwig von Tarent, geheiratet hatte, suchte sich von der Schuld des Gattenmordes zu entlasten, indem sie ihre früheren Genossen grausam hinrichten ließ. Die Strafe für dieses Verbrechen blieb nicht aus. Johanna konnte sich zwar lange auf dem Throne behaupten. Da aber Ehrgeiz, Herrschsucht und Liebesleidenschaft die wechselnden Entschlüsse der schönen Königin bestimmten, wurde sie in ein Wirrsal von Intriguen und Erbansprüchen verwickelt, die das Land verheerten und ihren Untergang herbeiführten. Im Jahre 1382 wurde sie endgültig von ihren Gegnern besiegt und Karl von Durazzo ließ die Königin auf dem Schloß Muro in Basilicata erdrosseln. So starb sie desselben Todes, den sie ihrem ersten Gemahl meuchelmörderisch bereitet hatte.

In der Kuhflucht. (Zu dem Bilde S. 253.) Partenkirchen und Garmisch am Fuße der Zugspitz sind seit Jahren beliebte und vielbesuchte Standorte der Touristen. Das grüne breite Loisachthal, umrahmt von gewaltigen Bergmassen, bildet den Ausgangspunkt zu den lohnendsten Ausflügen; denn der massige Kalkalpenstock birgt in seinen Thälern und Schluchten Schaustücke von großartiger Wirkung. Das Höllenthal und die Partnachklamm, der Bader- und der Eibsee gewähren neben der Zugspitz, dem höchsten deutschen Berge, selbst dem verwöhnten Alpenwanderer volle Befriedigung. Reich an landschaftlichen Schönheiten ist auch der Fricken, ein wild zerklüfteter mit dichtem Wald bewachsener Berg, der bei den Jägern in gutem Rufe steht, da er schwere Berghirsche beherbergt und einen sehr regen Gemswechsel bildet. Eine Sehenswürdigkeit dieser Gegend ist vor allem die „Kuhflucht“, eine wildromantische Schlucht, die vom Hohen Fricken sich in das Loisachthal hinabzieht. In ihr entspringt aus einem großen höhlenartigen Loch in einer gewaltigen nackten Felswand ein Bach, der in sieben schäumenden Wasserfällen zu Thal stürzt. Unsere Abbildung zeigt uns den dritten Wasserfall, der auch Kaskadenfall genannt wird. Der Maler des Bildes, Ferdinand Feldhütter, hat in meisterhafter Weise die wildromantische, durch ihren schönen Pflanzenwuchs ausgezeichnete Kuhflucht wiedergegeben. Zu dem Kaskadenfall gelangt man von Farchant aus über Mühldörfl in dreiviertel Stunden auf einem bequemen und malerischen Wege, der bei klarem Wetter wundervolle Ausblicke bietet.*      

Ohne Schatz. (Zu dem Bilde S. 257.) Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich, das Liesle und das Gretle, sind beides brave frische Mädeln, fleißig bei der Arbeit und flink beim Tanzen – warum hat jetzt also das Gretle einen Schatz und das Liesle keinen? Ist sie zu ernsthaft mit den jungen Burschen oder denkt sie vielleicht im stillen an Einen, der nicht an sie denkt? … Jedenfalls, mag dies sich verhalten, wie es will; ihre augenblickliche Lage rechtfertigt durchaus die tragische Haltung, mit der sie sich dem interessanten Geschäft des Bohnenschnitzelns hingiebt und nicht aufsehen mag nach den beiden dort am Fenster, die sich auch noch einbilden, wunder wie zurückhaltend zu sein, und doch so vieles thun und sagen, was dem armen Liesle wie ein feuriger Pfeil durchs Herz geht! Hoffen wir, daß dieser traurige Sachverhalt sich in Bälde zum Bessern wendet! Vom Bohnenherbst bis zur Kirchweih’ ist’s nicht mehr lange hin, und vermutlich wird ein paar Wochen nach dieser die zweite Bank hier am Tisch bedeutend weniger leeren Platz haben, als ihr heute der Maler des hübschen Bildchens vorsorglich gelassen hat! Bn.     


Inhalt:



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_260.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)