Seite:Die Gartenlaube (1897) 252.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Deutsche Originalcharaktere des achtzehnten Jahrhunderts.

Der Hamburger Kaufmannssohn Bielfeld.

Friedrich der Große war, trotz seiner Freigeisterei, nicht so bürgerlich gesinnt wie sein Vater; er bevorzugte den Adel in jeder Hinsicht und verlieh ihm ausschließlich die Offiziersstellen, außer in der Artillerie. Auf den Maskeraden des Opernhauses, die er gab, verwies er die Bürgerlichen hinter gezogene Schranken, und wenn er ihnen sonst alle Masken erlaubte, so waren doch die Rosadominos ausschließlich dem Adel vorbehalten. Hatte doch schon sein Vater von ihm, als er sechzehnjähriger Prinz war, gesagt, „daß er hoffärtig und recht bauernstolz sei … und nit popular und affabel war“.

Um so auffälliger ist es jedenfalls, daß er einen Bürgerlichen, der nicht einmal durch hervorragende geniale Leistungen sich auszeichnete, längere Zeit in seine nächsten Kreise zog und daß dieser selbst unter seinen Hofstaaten, besonders in Rheinsberg, eine dem Anschein nach gleichberechtigte Stellung einnahm. Bielfeld war kein Genie; aber er war so gewandt wie irgend ein Hofmann, ein feiner und geistreicher Kopf voll scharfer Beobachtungsgabe – und seinen Aufzeichnungen in den „freundschaftlichen Briefen“, welche zuerst in französischer Sprache 1763 erschienen, verdanken wir eine sehr willkommene Kenntnis vieler Vorgänge aus dem Leben des jungen Friedrich, welche, von den Geschichtsforschern nach dieser Quelle geschildert zu werden pflegen.

Bielfeld war in Hamburg geboren als Sohn eines reichen Siegellackfabrikanten; er hatte seine Bildung auf Schulen und Hochschulen unter der Leitung von Hofmeistern und Tanzmeistern erhalten; es war eine durchaus weltmännische Bildung. Als ein begeisterter Jünger Voltaires zeigte er in der Unterhaltung französischen Witz und Geist, der sich auch in seinen Briefen ausspricht. Darum gehört er zu den originellen Charakteren des vorigem Jahrhunderts, weil er beweist, daß auch das Bürgertum ausnahmsweise jenen französischen Geist in sich ausgenommen hatte und sich damit eine glänzende Laufbahn zu eröffnen verstand. Bielfeld war auch Freimaurer und hat in Hamburg jedenfalls in den Orden eine hervorragende Stelle eingenommen; gerade dadurch kam er mit dem jungen Prinzen Friedrich zuerst in nähere Berührung.

König Friedrich Wilhelm I. machte eine Reise nach Holland, um dort auf Schloß Loo seine Bekannten zu besuchen. Hier, wie Bielfeld berichtet, oder unterwegs auf einem Schlosse im Vlämischen, wie man nach Friedrichs eigenen Mitteilungen annehmen muß, kam das Gespräch beim Diner auf die Freimaurerei. Dieses war nicht nach dem Geschmacke des alten Königs, der sich sehr wegwerfend über sie aussprach. Da brach der Graf von der Lippe-Bückeburg, der selbst ein Freimaurer war, eine Lanze für den Orden mit einer warmen Beredsamkeit, die natürlich den König nicht zu bekehren vermochte, dafür aber beim Kronprinzen den lebhaften Wunsch erweckte, die Freimaurerei näher kennenzulernen und sich in den Orden aufnehmen zu lassen; man kam dahin überein, daß die Aufnahme in Braunschweig bei der Rückreise vor sich gehen solle, und zwar zur Zeit der Messe, wo bei dem Andrang zahlreicher Fremden die Ankunft von Freimaurern am besten verborgen bleiben könne. Graf Lippe lud sechs Mitglieder der Hamburger Loge ein, um den feierlichen Akt zu vollziehen; unter diesen befand sich auch Bielfeld. Mit Freuden ergriff er diesen Anlaß, dem jungen Prinzen näher zu treten; ihm schien’s, als könnte er durch diese Bekanntschaft den Grund zu seinem Glücke legen. „Sie wissen,“ schreibt er an einen Freund, „daß mir mein gegenwärtiger Zustand mißfällt und daß mir fast vor meiner Vaterstadt ekelt. Ich bin den Pflanzen gleich, welche zu Nichts taugen, wenn sie nicht versetzt werden. In Hamburg, wenn es hoch käme, würde ich nur in Samen schießen und dann verwelken.“

Bei der Ankunft in Braunschweig drohte die erste Gefahr von der Accise. Die Reisenden hatten alle zur Loge gehörigen Gerätschaften und Instrumente bei sich. Wenn der Beamte sich hartnäckig gezeigt und auf Eröffnung des großen Koffers bestanden hätte, so wäre ihnen nichts übrig geblieben, als sich für Goldmacher oder Marktschreier auszugeben. Doch der Beamte ließ sich durch einen Dukaten zu der Einsicht bringen, daß er es mit Standespersonen zu thun habe, welche unmöglich den Zoll unterschlagen könnten. Friedrich Wilhelm aber hätte leicht von der Aufnahme des Prinzen, seines Sohnes, in den Orden Nachricht erhalten und in einer bösen Stunde gewiß die Achtung vor den verehrungswürdigen Brüdern beiseite setzen können. Es galt also die größte Vorsicht. Der Prinz bestimmte die Nacht zwischen dem 14. und 15. August (1738) für die Feierlichkeit; sie sollte in dem Kronschen Gasthofe stattfinden, in welchem die Freimaurer alle abgestiegen waren; sie hatten dort einen großen Saal zur Verfügung, der sich vortrefflich zu diesem Zweck eignete. – Er hatte nur eine Unbequemlichkeit; an der Seite desselben beim Eingang befand sich ein nur durch eine Bretterwand geschiedenes Zimmer, und dies Zimmer hatte ein hannoverscher Edelmann inne, der alles anhören und ausplaudern konnte. Er war indes einigen der Herren bekannt und sie wußten, daß er dem Trunke sehr ergeben war. Diese Schwäche machten sie sich zu nutze. Nach der Mahlzeit drang einer nach dem andern in sein Zimmer und trank ihm so tapfer zu, daß er in tiefen Schlaf verfiel und nicht aufgewacht sein würde, wenn nebenan eine Kanone abgebrannt worden wäre. Das Gepäck war inzwischen ausgepackt worden; ein dienender Bruder, der Bediente des einen Edelmannes, hielt Wache mit gezücktem Schwert. Bald nach Mitternacht schlich sich Prinz Friedrich ein, in Begleitung des Hauptmanns von Wartensleben, der ebenfalls aufgenommen zu werden wünschte. Der Prinz verlangte, daß bei seiner Aufnahme auch nicht eine einzige der üblichen strengen Ceremonien ihm erlassen, daß er bloß als eine Privatperson angesehen werden solle. Und so geschah’s – er wurde nach allen Regeln aufgenommen. Bielfeld hielt eine Anrede, über welche der Prinz ihm seine Zufriedenheit bezeigte; seit dieser Zeit gehörte der Hamburger zu seinen Lieblingen. Aber auch Bielfeld konnte das Benehmen des Prinzen, seine Unerschrockenheit, sein gesetztes Wesen, das artige Betragen, welches er auch in den bedenklichsten Augenblicken zeigte, nicht genug bewundern. „Er ist nicht groß von Statur,“ schreibt er, „und Gott würde ihn statt des Königs Saul nicht leicht zur Regierung erwählt haben. Aber was die Schönheit und Größe seines Genies betrifft, verdient er zum Heil der Völker den preußischen Thron zu besteigen. Sein Wesen ist einnehmend, seine Miene geistreich, seine Haltung edel. Ein süßes Herrchen aus Paris würde zwar seine Frisur nicht ganz nach der Ordnung finden; doch seine Haare haben ein schönes Braun, passen sehr gut zu seiner Gesichtsbildung und sind ganz ungezwungen in Locken gelegt. Seine großen blauen Augen haben zugleich etwas Ernsthaftes, aber Angenehmes und Gütiges. Jedes seiner Worte zeigt unendlich vielen Verstand und große Güte.“

Es war vorauszusehen, daß es bei dieser ersten Begegnung zwischen dem Prinzen und dem jungen Hamburger Kaufmann nicht bleiben würde. Schon im nächsten Jahr erschien im Auftrage des Prinzen, der Graf von Truchseß-Waldburg bei Bielfeld, um sich zu erkundigen, ob er Lust hätte, in die Dienste desselben zu treten. Bielfeld, auf den dieser Antrag einen großen Eindruck machte, benahm sich als echter Diplomat: er kenne das Hofleben und dessen verführerische Reize nicht aus eigener Anschauung; er würde sich glücklich preisen, wenn ihm zunächst Gelegenheit geboten würde, es kennenzulernen, und zwar an dem Hofe, wo er einst sein Glück zu machen gedenke. So kam man überein, daß er nach Rheinsberg kommen solle, um sich dort dem Prinzen zur Verfilzung zu stellen. Inzwischen fragte er seinen früheren Lehrer, einen schlesischen Edelmann, der jetzt Erzieher eines mecklenburgischen Prinzen geworden war, ob derselbe meine, daß sein Schüler sich für das Hofleben eigne und ob er in der Lage sein werde, sich einem solchen Prinzen, der alle Fähigkeiten eines Cäsars besitze, nützlich zu machen. Bielfeld befürchtete, er würde möglicherweise auf diesem Schauplatze sich schlecht ausnehmen und unter dem Zischen der Zuschauer wieder von ihm abtreten müssen. Doch scheint die Antwort beruhigend gelautet zu haben, sehen wir ihn doch bald danach auf dem Wege nach Rheinsberg.

Hier trat Bielfeld in einen Kreis, in welchem die Musen und Grazien herrschten. Trotz seiner nach damaligen Begriffen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_252.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2018)