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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

rohen starkgebauten „Marterkasten“ rücksichtslos über gefallene Stämme und Steine, und es gehört eine nicht geringe Unempfindlichkeit gegen Stöße und Püffe dazu, um die tolle Fahrt glücklich zu bestehen, zumal wenn man auf dem vielbegehrten Bock thront, wo es gilt, sich mit aller Kraft anzuklammern, um nicht herabgeschleudert zu werden.

Allerdings führt die Eisenbahn schon ziemlich tief ins Land hinein, doch erreicht sie erst wenige der älteren, südlicheren Goldfelder. Die neueren aber und die weit nach Norden hinausreichenden „Diggings“ liegen sämtlich recht mitten in der Wüste, nicht in kahler, sandiger oder steiniger Ebene, vielmehr inmitten jenes einförmigen und eintönigen Buschwaldes, der aus vereinzelten, meist niedrigen und immergrünen Baumbeständen sich zusammensetzt und mit seinen schmalen Blättern, die stets ihren Rand der Sonne zuwenden, den Charakter fast absoluter Schattenlosigkeit trägt. Dabei wechseln die Bäume statt der Blätter die Rinde, die in langen bandartigen Fetzen von Stamm und Aesten herabhängt. Dazwischen stehen überall abgestorbene Baumleichen, die nackten Totenarme zu dem erbarmungslos glühenden Himmel emporreckend, bis auch sie zu den Gefährten niedersteigen, die in allen Stadien der Verwesung den ausgedörrten Boden bedecken!

Und ringsum in trauriger Harmonie mit dem öden Gesamtbild tiefes, bedrückendes Schweigen! Hier erfreuen keine Laute gefiederter Sänger das lauschende Ohr; das tierische Leben erscheint völlig ausgestorben, selten einmal erfaßt unser Auge ein Känguruh, wie es mit weiten Sprüngen vor uns durch den Buschwald eilt.

Doch ein Tier fehlt nirgends, das ist die Fliege. Entsetzlich ist die australische Fliegenplage!

Da hilft kein Schleier, kein Netz, die zudringlichen Quälgeister finden auch durch sie ihren Weg, um in Augen, Nase, Mund und Ohren hineinzukriechen. Setzt man sich zum bescheidenen Mahle nieder, so versuchen sie in zudringlichster Weise, daran teilzunehmen, und verleiden uns durch ihre rücksichtslose Art, die eigene Existenz daran zu setzen, den einfachsten Genuß. Sie machen Schwimmversuche in den Getränken, in und aus den Speisen krabbeln sie bald zu Hunderten.

Und dabei eine Hitze, die in den Nachmittagsstunden zuweilen bis zu 46° C steigt! Wo aber kann man unter den schattenlosen Bäumen, in den heißen Zelten oder gar in den glühenden Wellblechhäusern – die meisten Unterkunftsplätze sind solcher Art – während der Mittagsstunden irgendwelche Ruhe finden! Denn in der Zeit von 10 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags ist bei derartigen Hitzegraden an ein Reisen nicht zu denken.

Erst der Untergang der Sonne bringt Erlösung. Gott sei Dank fehlt es in diesen Wüsteneien an den noch schlimmeren Plagegeistern Australiens, den blutdürstigen Moskitos. In jenem Himmelsstrich bricht die Nacht schnell herein, erquickende Kühle tritt an Stelle erschlaffender Hitze. Das unter den Horizont herabsinkende Tagesgestirn hüllt den Himmel in wundervolle, zart sich abtönende Farbenpracht, und bald spannt sich über die stille, düstere Waldlandschaft, aus der zahlreiche Lagerfeuer emporleuchten, der wundervolle Sternenhimmel, an welchem Mond, Milchstraße und Südliches Kreuz mit überraschendem Glanze leuchten, dem entzückten Wanderer ein Bild ergreifender Pracht und Ruhe.

Wer vermöchte je einen solchen Abend zu vergessen! Zumal wenn mit dem Nahen des Frühlings die Wolken ihren wenn auch kargen Segen gespendet haben und das bislang grau in grau gefärbte Erdreich mit einem reizenden grünen Teppich von erquickender Frische sich bedeckt, in den überall zartduftende Blümchen, rote, weiße, blaue, gelbe, wie eingewirkt erscheinen. Leider hält das liebliche Bild vor der brennenden Sonne nicht stand; schon nach wenigen Wochen liegt die ausgedörrte Landschaft öde und farblos da wie zuvor.

Das ist die Natur des Dorado Westaustraliens, an die sich die Zukunft der Kolonie klammert. Weithin zerstreut über das weite öde Gebiet sind die vielen Niederlassungen der Goldgräber, einige schon zu achtunggebietender Größe emporgewachsen, die meisten nur aus Wellblech- und Kanevashäusern bestehend, aber doch, selbst wenn sie nur wenige zerfetzte Zelte zählen, stolzen Namen Stadt führend.

Reges Leben herrscht überall in diesen „goldenen Städten“. Am lautesten läßt sich dasselbe vernehmen am Sonnabendabend, wenn der Digger nach saurer Woche ein frohes Fest nach seinem Geschmack in den hellerleuchteten Schenken bei Gin und Brandy feiert. Das ist ja fast die einzige Zeit, um im Austausch gegensseitiger Erfahrungen sich auszusprechen, denn der stille Sonntag ist der gründlichen Reinigung des äußeren Menschen und seiner ihn umgebenden Hüllen sowie der Ausbesserung derselben gewidmet. Glücklich der, dem dann die selten sich einstellende Post eine Botschaft aus der Heimat gebracht hat. Sie versetzt den das frugale Mahl bereitenden Digger für kurze Augenblicke aus der öden Umgebung in den trauten Kreis seiner Lieben!

Der Mittelpunkt aller „Goldstädte“ ist Coolgardie, 589 Kilometer östlich von Perth, der Hauptstadt Westaustraliens. Noch vor drei Jahren suchte man es vergeblich auf der Landkarte; aber als hier ein unternehmender Digger in kürzester Zeit gegen 20 kg Gold zusammenraffte, strömte von allen Seiten golddurstiges Volk herbei, und heute zählt die Stadt bereits 10 000 Einwohner. Die Eisenbahn ist von der Küste bis hierher, ja schön erheblich weiter geführt. Natürlich ist auch diesem Diggingscentrum das Charakteristische des australischen Stadtemporkömmlings aufgeprägt. Die zahlreichen Kirchen wie die noch viel zahlreicheren Wirtshäuser und Schenken sind meist aus Wellblech erbaut, Steinbauten sieht man selten, das Krankenhaus, die an den kleinen Seitenstraßen liegenden Geschäftshäuser, wie die in der Umgebung verstreuten „Villen“ sind einfache Zelte oder mit Kanevas bedeckte Holzgerüste. Angehörige der verschiedensten Nationen, Vertreter aller möglichen Berufsstände haben sich hier zusammengefunden, teils um in harter Arbeit an der Hebung der goldenen Schätze sich zu beteiligen, teils um in müheloser Spekulation mit Bergwerkswerten ein Vermögen zu erwerben. Denn wie überall, wo Gold entdeckt wurde, ist auch hier die Spekulation und mit ihr Betrug und Schwindel thätig. Auch in Westaustralien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_250.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)