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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Linien einen Esel darstellte, wurde auf ein Brett aufgezogen und dieses dem unachtsamen Schüler um den Hals gehängt. Das Germanische Museum in Nürnberg ist im Besitze eines solchen Blattes, das noch mit Spottversen versehen ist, sie beginnen:

„Schaut, hier ist der Eselmann,
Der die Ohren spitzen kann.
Kommt her und sehet zu,
Er ist hurtig wie eine Kuh.
Wenn man ihm giebt Futterweck,
Flieget er, gleich wie ein Schneck.
Sein Kopf ist so wohl gestalt
Wie die Eule in dem Wald.“

So geht diese Beschreibung noch lange fort, am Schlusse aber kommt die Moral von der Geschichte in Versen, die lebhaft an Wilhelm Busch erinnern:

„Eben also, wenn die Jugend
Nicht will lernen Kunst und Tugend
Traget sie vor ihren Lohn
Einen Eselskopf davon.
Für den Heller und den Weck
Kriegen sie jetzt Rut und Steck
Für die Ehre Schand und Spott,
Daß es heißt: Erbarm es Gott!“

Denkzettel am Grenzpfahl.

In manchen Schulen mußte der faule Junge sich außerdem rittlings auf einen hölzernen Esel setzen.

Herrschte schon bezüglich des Schulbesuches der Knaben keinerlei Zwang, so war natürlich bei den Mädchen ein solcher noch viel weniger vorhanden. Es sind indessen so viele Geist und Gemüt, mütterliche Sorgfalt, frommen Sinn, gesunden Humor verratende Briefe von Frauen und Jungfrauen aus vergangenen Jahrhunderten auf uns gekommen, daß nicht zu bezweifeln ist, es seien auch die Mädchen fleißig in die Schule gegangen und nicht umsonst.

Doch mag es manchmal, namentlich in kleineren Städtlein, mit den Mädchenschulen nicht zum Besten bestellt, das Los der Lehrerin kein beneidenswertes gewesen sein. Ein Bild davon giebt uns eine Ueberlieferung aus dem thüringischen Städtchen Arnstadt. Dort verklagte die Schulmagd die Mädchenschulmeisterin, eine Predigerswitwe, bei den Vätern der Stadt, daß sie viel unnütze Worte mache, den Kindlein mehr schreibe und sage als vorgesehen – was aber doch eigentlich kein Fehler gewesen wäre –, daß sie nicht recht beten lehre und sie so übel ziehe, daß sie unter der Kirche aus- und einzulaufen nicht Scheu und Scham trügen. Das Schullokal gab zu besonderen Klagen Veranlassung, es war so beschränkt, daß ein Mägdlein häufig dem andern auf dem Schoß sitzen mußte, und so verwahrlost, daß Kröten „und andre Würmer“ ungehindert ihren Ein- und Ausgang in der Schule hatten, so daß die Kinder jedesmal in einen argen Schrecken gerieten und ein groß Geschrei machten. Und wie unsicher war der Lohn der Lehrerin! Der Schneider Christoffel hatte schon in das dritte Jahr zwei, auch drei Mädchen in die Schule geschickt, ohne nur einen Pfennig zu bezahlen. Wenn das Vierteljahr bis auf 14 Tage um war, behielt er die Kinder daheim; wenn aber wieder ein Vierteljahr angefangen hatte, so stellten sich die Mädel wieder ein. „Wenn er mir nur wenigstens meinen Mantel dafür gemacht hätte!“ ruft klagend die arme Mädchenschullehrerin aus.

Selbstverständlich fehlte es in alter Zeit nicht an heiteren Stunden und Tagen, an welchen die frohe Kinderlust sich nach Belieben tummeln durfte. An Spielzeug mangelte es den Kleinen nicht. Klapper und Puppe sind ehrwürdige Spielsachen, die man bereits in ältesten Zeiten kannte – hat man sie doch in Heidengräbern gefunden! Die Knaben ritten auf Steckenpferden, führten hölzerne Waffen und vergnügten sich mit Reistreiben und Reifschlagen. Wie unsre heutige Jugend, belustigte sich auch die des Mittelalters mit Kreiselschlagen und dem Schusserspiel mittels „Triebkugeln oder Schneller“. Kam der Lenz, da lockte er auch die Kinder auf die blumige Au und den grünen Rasen. Hier wurden die uralten Kinderspiele geübt, deren Reiz auch heute das Kindergemüt entzückt, Blindekuh oder Blindemaus, Gerad und ungerad, Schaf- und Wolfsspiel, Helfen und Geben, Verstecken und Suchen, Platzwechseln u. a. Für Bewegung im Freien war mehr Gelegenheit als in unsrer Zeit geboten, da ja auch die Alten an solchen Spielen Gefallen fanden, und so liefen auch die Kinder um die Wette, gingen auf Stelzen, schlugen Ball und Reifen. Das erste Veilchen wurde umtanzt, der erste Storch und der erste Maikäfer mit Spiel begrüßt. Und wie groß war nicht der Anteil der Kinder an den Jahresfesten, an all den Bräuchen durch die das Volk, die Weihe von Ostern und Pfingsten, von Sommer- und Wintersonnenwende erhöhte! Die Spiele und Umzüge, die jetzt hier und dort nur kümmerlich fortleben, waren damals überall üblich.

Es gab auch besondere Veranlassungen zu Freudenfesten der Kleinen. Bei christlichen Einzügen des Reichsoberhauptes oder des Landesfürsten spielten die Kinder eine wichtige Rolle. Sie durften in den Prozessionen nicht fehlen. Als Kaiser Friedrich 1471 feierlich in Nürnberg einzog, trug jeder der Schüler ein mit dem Wappen des Kaisers bemaltes Pannerlein. Friedensschlüsse wurden festlich in den Schulen begangen. Als im Jahre 1660 der Friede von Oliva geschlossen worden war, wurde in der Markgrafschaft Ansbach ein öffentliches Friedensfest gehalten, bei dem die Kinder tanzten und mit Wecken beschenkt wurden. Und was wäre die Legung eines Grundsteines, die Setzung eines Grenzsteines, ein Flurumgang ohne Kinder gewesen? Die Knaben wurden bei solchen Anlässen unversehens an den Ohren oder Haaren gerissen oder erhielten eine Ohrfeige, damit der Vorgang besser in ihrem Gedächtnisse lebendig bleibe und sie darüber auch noch in späteren Jahren Zeugnis ablegen könnten. Dabei empfingen sie aber auch kleine Geschenke Brezeln, Wecken, Bratwürste oder kleine Geldstücke, und recht vergnügt und durchdrungen von ihrer Wichtigkeit mag die Schar der Kleinen an solchen Tagen nach Hause gekehrt sein. So flossen die Tage der goldenen Kindheit dahin, wenn nicht kriegerische Wirren, die in damaligen Zeiten so häufig waren und so oft die Bevölkerung von Haus und Hof trieben, ihre düsteren Schatten auch in die jungen Gemüter warfen. Bald kam der Tag, wo die Kinderschuhe abgelegt wurden und der Jüngling und die Jungfrau sich der ernsten Berufsarbeit zuwandten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_238.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)