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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Grellert, mit dreitägiger Urlaubsbewilligung nach Bremen. Der Unteroffizier meldete es dem Herrn Schloßhauptmann, und auch, daß er vorläufig das Kommando übernommen habe. Heinz nickte stumm – was ging ihn die Reise des Lieutenant Grellert an, was das düpierte Regiment!

Als Heini nach Tische schlief, verschloß er selbst die Läden und die Thüren der Zimmer, die Toni bewohnt hatte, und legte die Schlüssel in seinen Schreibtisch, dann saß er am Fenster und schaute über die kleine Stadt hinweg, die noch nichts ahnte von dem neuen prächtigen Klatschstoff. Welche Lust! Er sah sie bereits zusammensitzen, die Bierphilister am Stammtisch, sah das Stubenmädchen der Frau Oberamtmann in wehender, weißgestärkter Schürze mit Kaffee-Einladungen von Haus zu Haus eilen – so was mußte ja ausführlich besprochen, mußte gefeiert werden! Etwas Interessanteres hatte es seit Menschengedenken nicht gegeben in Breitenfels: dem Schloßhauptmann von Kerkow war die Frau durchgebrannt mit dem Lieutenant der Schloßwache! – Geschieht ihm recht! Geschieht ihm recht!

Er lächelte vor sich hin. Was war aus ihm geworden? Und plötzlich, ohne daß er es selbst wollte, flogen seine Blicke zu dem kleinen Hause hinunter, in dem Aenne May jetzt weilte, und das Lächeln verschwand. Würde auch sie lachen? Er schüttelte den Kopf. Ach, und wenn auch – er brauchte es ja nicht zu sehen, nur den Frieden sollten sie ihm lassen!

Mochten sie alle lachen, mochte die Eine weinen über ihn, ihm war es recht, nur den müden Frieden sollten sie ihm lassen, der ihn in seiner einsamen Stube, in dem leeren Schlosse so wohlig überkam angesichts des schlummernden Kindes – den müden Frieden, der sich wie ein linder Balsam über seine wunde Seele senkte.

(Fortsetzung folgt.)




Emil Rittershaus.
Ein Nachruf.

Es ist nur wenig über ein Jahr vergangen, da widmete Emil Rittershaus dem Gedächtnis seiner über alles geliebten Frau, die ihm der Tod jäh von der Seite gerissen hatte, ein tiefergreifendes Gedicht an dieser Stelle. Er pries darin die sonnige Gemütsart der Verblichenen, die seines Dichtens Muse, seines Lebens und Strebens treuester Kamerad gewesen war, und schloß mit dem Gelöbnis, in ihrem Sinn und Geist weiterleben zu wollen – trotz Trauer und Trennungsweh:

„So lang’ des Lebens Flamme in mir kreist,
Will leben ich, mein Weib, in deinem Geist,
Will wirken ich, mein Weib, in deinem Sinn,
Du meine Sonne, Sonnenschwärmerin!
Wo sich die Kummerwolke drohend ballt,
Will bringen ich der Liebe Lenzgewalt –
Wo Trübsinn häuft die schweren Nebel dicht,
Will bringen ich des Frohsinns Sonnenlicht …“

Er hat das Gelöbnis treu gehalten – noch die letzte Weihnachtsnummer der „Gartenlaube“ brachte davon einen rührenden Beweis, aber er hat es nicht lange halten dürfen, bald, viel zu bald für die Vielen, die seine Dichtung sich zu Freunden gewonnen, ist er der Betrauerten ins Grab gefolgt. Die zehrende Macht des Schmerzes war stärker als sein guter Wille. Ein schweres Herzleiden untergrub seine einst so kräftige Gesundheit – die „Sonne seines Lebens“ war untergegangen, die Sehnsucht nach ihr trieb seine Seele von hinnen. Aber auch er war von sonniger Art, und Sonnenglanz umleuchtet die Spur seines Scheidens. Wie hat aus den Augen, die sich nun für immer geschlossen, diese sonnige Gemütsart geleuchtet, bald hellaufblitzend im Funkensprühn des Humors, bald heiß aufwallend, wenn dichterische Begeisterung sein Herz bewegte! Und was er am Grabe der Gattin sich für den Rest seines Lebens damals gelobt, ist die Mission seiner ganzen Dichterlaufbahn gewesen: der „Liebe“ Lenzgewalt zu offenbaren, wenn „Kummerwolken sich türmten“, die „Nebel des Trübsinns“ mit „des Frohsinns Sonnenlicht“ zu verjagen!

Das warmblütige genußfrohe Naturell des Rheinländers hat in Emil Rittershaus eine ganz besonders anziehende dichterische Verkörperung gefunden. „Am Rhein und beim Wein“ – wie er einen Band seiner Gedichte genannt hat – ist sein poetisches Wesen heran gediehen zu schnellem Wachstum und blütenreicher Entfaltung. Wohl ist seine Vaterstadt, in der er am 11. März nun auch sein Grab gefunden, das industriereiche Barmen im Wupperthal, etwas abseits von dem herrlichen Strom gelegen, in dem sich Deutschlands schönste Rebenberge spiegeln. Doch das hinderte ihn nicht, in frischer Jugend an den Ufern rheinab, rheinauf heimisch zu werden und die ganze rheinische Schönheitswelt als seine Heimat zu empfinden. Dem daseinsfrohen Naturell war aber auch ein ernster Zug beigemischt, den er selbst auf seine westfälische Abstammung zurückführte. Ernste Jugendeindrücke, der Zwang, der ihn zum Handelsstand bestimmte, wo er lieber Naturwissenschaften studiert hätte, der frühe Verlust der innig geliebten Mutter vertieften diesen Zug, und anderes kam hinzu, das ihn bald gewöhnte, dem Ernst der Zeit teilnehmend ins Antlitz zu schauen.

Es war das Jahr 1849, als er die Schule verließ. Hoch gingen die Wogen des politischen Lebens auch in den an sozialen Gegensätzen so reichen Industriestädten des Wupperthals. Als hochgefeiert umklangen das Ohr des Jünglings die Namen von Kinkel und Freiligrath, den rheinischen Dichtern auf deren Lippen das Lied zur Waffe geworden war im Kampf für die Sache des Volks gegen Unrecht und Unterdrückung, die das Schicksal zu Märtyrern ihres kühnen Bekennermutes gemacht hatte. Ihr Beispiel wirkte mächtig anfeuernd auf den jungen poetischem Landsmann, dessen Muse bisher am liebsten geselliger Lust gedient hatte, den Becher mit Rosen bekränzend, und der sich nun auch der politischen Zeitdichtung zuwandte, namentlich das Vorbild Freiligraths wurde für ihn auf lange hinaus bestimmend. Aber der heiße Zornesmut des westfälischen Leuen fehlte dem Sänger eines jüngeren Geschlechts. Wohl fand auch Rittershaus kraftvolle Töne als Kämpfer für Freiheit und Recht, aber die Volkserhebung war für ihn kein unmittelbares Erlebnis gewesen, die Zeit der fünfziger Jahre in der er zum Manne reifte, war keine Epoche der Revolution mehr, sondern der Reaktion. Da kam unter dem Druck derselben eine neue Volksbewegung in Fluß. Diese revolutionierte zwar nicht, aber sie manifestierte – und zwar vernehmbar genug für das unvergessene Ideal eines in Freiheit geeinten Deutschlands, sie manifestierte auf den großen Bundesversammlungen der geeinten deutschen Sänger, Turner und Schützen. Und diese Bewegung, deren Verdienste um die Neugestaltung des Reichs erst neuerdings auch von Bismarck anerkannt worden, fand in Emil Rittershaus den berufenen Dichter. Hier fand er sich vor Aufgaben gestellt, an denen sich sein ernster Anteil am politischen Leben und seine Lust an frohem Festbehagen, seine patriotische Begeisterung und freiheitliche Gesinnung, sein fröhlicher Humor und seine markige Sprachkraft in vollster Harmonie bethätigen konnten. Hier durfte er seinen politischen Idealen als Dichter dienen im reinen Einklang mit dem Grundzug seines Wesens, den das Wort der Antigone wohl am besten bezeichnet. „Nicht mitzuhassen – mitzulieben bin ich da!“ Diese Begrüßungs- und Weihegedichte, oft von ihm selbst mit seinem volltönigen sympathischen Organ im Tone heiliger Ueberzeugung und mit dem Ausdruck augenblicklicher Eingebung vorgetragen, wirkten auf die gewaltigen Volksversammlungen mit geradezu hinreißender Macht. Und wenn wir sie heute – in so veränderter Zeit – lesen, müssen wir immer noch seine Kunst und Kraft bewundern, einen begeisternden Gedanken, der Tausende erfüllt, in poetischer Fassung zu echt volkstümlichem, stets edlem und kräftig zündendem Ausdruck zu bringen.

In jener Zeit erschien auch sein erster Beitrag in der „Gartenlaube“. Es war der Festgruß für das große deutsche Bundesschützenfest in Bremen. Seitdem ist kaum ein Jahr vergangen, in welchem die „Gartenlaube“ nicht wenigstens ein Gedicht von Rittershaus gebracht hätte, das in besonderem Maße

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_226.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)