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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Und was nun? Was nun? Hineinstürzen in dieses unselige Versteck? Den Buben ins Gesicht schlagen, das Weib am Arm packen und jenem vor die Füße schleudern? –

Er hielt sich an dem Stamme der Weißbuche, neben der er stand – ihm schwindelte, er keuchte und ein Stöhnen rang sich von seinen Lippen. Mit Aufbietung aller Kräfte setzte er einen Fuß vor den andern, und am Pavillon angekommen, lehnte er sich, wieder schwankend, an den roh behauenen Eingangspfosten.

Eine Gestalt trat ihm entgegen. „Grellert!“ stieß er hervor.

„Sie hier, Kerkow?“ fragte die wohlbekannte näselnde Stimme zurück. „Famoser Abend – wollen Sie nicht Platz nehmen?“ Und gleichzeitig strich er ein Zündhölzchen an, das für ein paar Sekunden den kleinen Raum völlig erhellte.

Er war leer, die in der Rückseite befindliche Thür offen.

„Grellert“, sagte Heinz fast heiser, „Sie sind ein Schurke!“

„Herr!“

„Ein Schurke – sage ich!“ – wiederholte Heinz fast schreiend.

„Sie werden von mir hören, Herr Schloßhauptmann!“

Heinz lachte laut und höhnisch und wandte ihm den Rücken.

Er wußte später nie mehr, wie er sich nach Hause gefunden, er erinnerte sich nur, daß er gegen Morgengrauen noch immer in seinen Kleidern neben dem Bettchen des Kindes gesessen und immerfort den Gedanken in seinem Kopfe umhergewälzt hatte, was wird aus ihm, wenn es für mich schlecht ausgeht? Hede ist ja da – natürlich! Aber das arme, in abhängiger Stellung befindliche Mädchen noch mit der Sorge für das Krüppelchen belasten zu wollen das hieße grausam handeln. – Die Mutter würde es einfach vernachlässigen, und als Frau dieses gewissenlosen Bengels? – – Es schüttelte ihn – – nur das nicht! Das an Liebe so gewöhnte Kind durfte nicht verkümmern. Hinterlassen konnte er ihm natürlich nichts, gar nichts, und unter solchen Umständen einen Zweikampf ausfechten, einen mit geschärften Bedingungen? Die Ehre will’s freilich so, ja, ja – ach diese alberne unverständliche Welt! Das beste wäre, er nähme den Revolver und schösse zuerst das jammervolle kleine Geschöpf da und hinterher sich selbst tot. Aber nein, das wäre feige, und außerdem, es geht nicht, denn er hat kein Recht dazu!

Er erhob sich schwerfällig und ging ins Nebenzimmer an seinen Schreibtisch. Dort warf er ein paar Worte auf eine Karte, steckte sie in ein Couvert und adressierte es. Er wollte klingeln und sah auf die Uhr – es war noch viel zu früh, die erste graue Morgendämmerung drang eben durch die Fenster. Ihn fröstelte, er trat an den Liqueurschrank und nahm eine Flasche Cognak und ein Glas heraus, trank und streckte sich dann auf das Ruhebett neben dem Schreibtisch.

Ein paarmal glaubte er, im Nebenzimmer leise Tritte zu hören, aber es mußte Täuschung sein; Toni stand nicht vor zehn Uhr auf, auch konnte sie ja noch keine Ahnung haben. Dann kam eine bleierne Müdigkeit über ihn und er schlief ein.

Mit heftig schmerzendem Kopf erwachte er, taumelte empor und blickte ins Nebenzimmer nach dem Bettchen des Kindes, die großen Augen lugten wach aus dem geduldigen blassen Antlitz verwundert zu ihm herüber. „Papa“ sagte der Kleine, „es ist schon so spät und ich bin hungrig, aber wenn du müde bist, warte ich noch.“

„Nein, mein Herz, nur das Gesicht mit kaltem Wasser waschen, dann öffne ich die Fenster und klingele um dein Frühstück. „Kommst du dann mit mir in den Garten?“

„Ja, das heißt, heute nicht, mein Junge, ich habe nämlich – ich erwarte einen Besuch, aber dann, dann werde ich dich sogar in den Wald fahren, und dort wollen wir den ganzen Tag zusammenbleiben.

Das Kind nickte befriedigt. Als Heinz die Schelle zog, die das Mädchen herbeirufen sollte, fiel sein Blick auf die Uhr, er erschrak – halb elf Uhr vorüber! Grellerts Kartellträger hätte längst da sein müssen.

„Ist niemand hier gewesen, der nach mir fragte?“ forschte er das Mädchen aus.

„Niemand, Herr Schloßhauptmann. Soll ich das Frühstück für Herrn Schloßhauptmann auch hierher bringen?“

„Nein“, ich gehe hinüber. Bedienen Sie Heini heute!“

„Gnä’ Frau sind aber nicht zu Hause.

„Meine Frau? Wo –“

„Wir haben gnä’ Frau schon überall gesucht, und Frau von Gruber schickte schon um acht Uhr nach oben; sie ist kränker geworden, aber gnä’ Frau war nirgends zu finden.

Er war mit ein paar Schritten durch das Nebenzimmer geeilt und hatte die Thüre nach dem Salon aufgerissen. Die ganze Schwüle des gestrigen Tages, gemischt mit dem Geruch, der aus Blumenvasen quillt, die nicht täglich mit frischem Wasser gefüllt wurden, schlug ihm entgegen. Er durchmaß auch dieses Zimmer, gelangte von dort in die Eßstube und musterte den unberührten Frühstückstisch, und dann trat er in Tonis Schlafzimmer. Das Bett war unberührt; in der roten Ampel unter dem Plafond brannte trübe ein Oellämpchen, dem Verlöschen nahe. Vor dem Toilettentisch lagen einzelne zusammengeknüllte Papierballen, die Schübe waren aufgezogen und in demjenigen, welchem die junge Frau ihren Schmuck anzuvertrauen pflegte, steckte der Sicherheitsschlüssel. Er trat näher und öffnete: die roten Juchtenetuis mit dem Namenszug der Besitzerin und der siebenzackigen Krone darüber waren verschwunden, statt dessen lag ein Brief da, an ihn adressiert. Mit der flüchtigen charakterlosen Schrift Tonis war geschrieben:

„Du wirst zugeben, daß es ein Blödsinn wäre, wenn Ihr Euch duelliertet. Ich habe daher Grellert gebeten, mit mir heute bereits abzureisen; in einigen Wochen wäre es ohnehin geschehen, denn so konnte ich nicht weiterleben! Grellerts Onkel ist ein sehr reicher Mann, wir gehen zu ihm nach New York. Er hat keine Kinder und seinen Neffen schon seit längerer Zeit inständig gebeten, herüberzukommen. – Für uns ist gesorgt, und Dir ist auch geholfen. Du bist frei. Ich scheide mit dem beruhigenden Bewußtsein, daß weder Du noch Heini mich vermissen werden. Nach gewisser Zeit werden wir geschieden sein, und dann wirst Du vielleicht auch noch glücklich – ich gönne es Dir.

So leb’ wohl, der Vorhang ist gefallen, das Trauerspiel unserer Ehe zu Ende. Daß es ein wenig plötzlich schloß, ist Schuld des Zufalls, der Dich gestern in den Park führte. Mache keine Thorheiten und versuche nicht, den Vorhang wieder aufzuziehen, dies meine letzte Bitte. Toni.“

Mit dem Briefe in der Hand trat er eine Stunde später an das Bett der alten pensionierten Hofdame. Sie lag mit starren Augen und hochroten Wangen und wand das spitzenbesetzte Tüchlein in den mageren Händen.

„Ach Heinz, Heinz,“ stotterte sie, „ich hätte dich früher warnen sollen! Ich hab’s ja schon längere Zeit gemerkt, aber man will doch so ungern zwischen Eheleute reden.“

„Beruhige dich nur, Tante,“ sagte er beschwichtigend.

„Ich bitte dich, Heinz – was hast du unternommen? Hast du telegraphiert? Sie muß doch wiederkommen, und du mußt dich mit ihm schlagen!“

„Ein fahnenflüchtiger Offizier ist nicht mehr satisfaktionsfähig,“ sagte er hart, „und ein davongelaufenes Weib nehme ich nicht wieder.“

„Du bist verrückt, Heinz – so urteilt der Spießbürger, aber kein Edelmann! Du mußt ihn fordern!“

„Nein – er mich!“ Ich nannte ihn einen Schurken, als solcher geht er nun hinüber. – Es fällt mir nicht ein, einen trojanischen Krieg anzufangen um diese Frau, ich wünsche glückliche Fahrt!“

„Man wird alle Schuld auf dich wälzen!“ schrie sie, „man wird ’sagen –“

„Mögen sie! Was geht übrigens die Menschen an, ob dem Kerkow die Frau davonläuft?“ fuhr er bitter fort. „Es wird schließlich ein jeder begreiflich finden – der Kerl ist ja halb verdreht, nächstens reif für das Irrenhaus! Ein Teil menschenscheuer noch, ein Teil empfindlicher und mutloser wird er wohl noch werden, und wenn das Kind die Augen zuthut – dann –“ er hatte sehr leise gesprochen – „Na, aber bis dahin hält man es aus, muß es aushalten. Guten Morgen, Tante!“

Sie sah ihm nach mit großen angstvollen Augen, wie er in der Thür verschwand, ein Mann, ohne einen Funken Energie, zu nichts mehr fähig!

„Meine Frau ist auf mehrere Woche verreist,“ sagte Heinz Kerkow zu den Dienstleuten.

Um Mittag kam eine Depesche vom Regiment an Lieutenant

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_224.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)