Seite:Die Gartenlaube (1897) 211.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

und am oberen Teile derselben, unter dem nächsthöheren Blattknoten, eine deutliche Vertiefung in derselben. An etwas älteren, weiter unten gelegenen Stammgliedern findet sich an Stelle dieser Vertiefung eine etwa elliptische Oeffnung, deren größter Durchmesser in der Längsrichtung des Stammes liegt und etwa 1,5 bis 2 mm beträgt. Kommt man dem Baume vorsichtig nahe, so sieht man die Ameisen in nicht besonders großer Anzahl am Stamme und auf den Blättern emsig umherlaufen und durch die Oeffnung geschäftig aus- und einwandern. Wie anders aber wird das Bild, wenn der Stamm erschüttert oder gar umgeschlagen wird. Aus allen Oeffnungen stürzen zahllose Scharen der Tierchen in größter Wut heraus, werfen sich auf den Störenfried und belästigen ihn durch äußerst schmerzhafte Bisse. Wunderbar ist die Art, in welcher die Besiedelung jüngerer Pflanzen und die Neueinrichtung der Wohnstätten vor sich geht. Ein trächtiges Ameisenweibchen dringt in der oben erwähnten Rinne oberhalb des Blattgrundes bis zu der genannten kleinen Vertiefung vor, durchbeißt diese Stelle und begiebt sich in das Innere des hohlen Stammgliedes, wo es seine Eier ablegt. Durch den Reiz, welcher bei der Verletzung und Trennung der Zellen auf das Gewebe ausgeübt wird, entsteht an den Wundrändern eine lebhafte Wucherung. Dieselbe verschließt die Oeffnung, setzt sich auch nach innen energisch fort und bringt hier saftige, blumenkohlähnliche Bildungen hervor, welche der eingesperrten Ameisenmutter und ihrer Nachkommenschaft geeignete Nahrung zur Genüge bieten. Nachdem die jungen Tierchen den Eiern entschlüpft und soweit herangewachsen sind, daß sie sich draußen ihre Nahrung zu suchen vermögen, durchbeißen sie den Hohlraum, der sie bisher gefangen hält, an derselben Stelle, an der das Muttertier eindrang.

Fig. 1. Grammatophyllum speciosum (nach Huth). Fig. 2. Duroia hirsuta. Fig. 3. Duroia saccifera (nach Schumann, Ameisenpflanze).

Welchen Vorteil hat nun die Anwesenheit der kleinen Kerfe für die Cecropia-Bäume? Bevor wir diese Frage beantworten, müssen wir ein paar Worte sagen über die empfindlichsten Feinde der Pflanzenwelt in den wärmeren Himmelsstrichen des neuen Kontinents, die Blattschneiderameisen, welche zur Gattung Oecidoma oder Atta gehören. Diese Insekten besteigen die Pflanzen und beißen mit ihren scherenartig wirkenden Freßwerkzeugen mehr oder minder runde Stücke von der Größe eines Zehnpfennigstückes aus Laub- und Blumenblättern heraus. Alsdann fassen sie die Ausschnitte senkrecht zwischen die Kiefern und tragen sie in ihre großen, unterirdischen Baue, wo sie dieselben zur Anlage von Pilzkulturen verwenden. Gerade die Cecropia-Bäume sind nun den Angriffen dieser das Gedeihen der Gewächse im höchsten Maße bedrohenden Tiere ausgesetzt, und diejenigen unter ihnen, zu denen diese Blatträuber ungehinderten Zugang haben, werden nicht selten derart ihrer Blattflächen beraubt, daß sie wie skelettiert erscheinen.

Werden die Cecropien jedoch von den kleinen Azteka-Ameisen bewohnt, so greifen diese die Blattschneider energisch an und treiben sie in die Flucht, wodurch der Pflanze die Möglichkeit, sich genügend zu ernähren, die ihr bei dem Mangel der Laubblätter genommen sein würde, und damit die Existenz gesichert ist. Ja, es scheint sogar, als ob die Pflanze wüßte, daß sie der kleinen Beschützer bedarf, denn außer der Unterkunft, welche sie den Tierchen in ihren hohlen Stammgliedern bietet, sorgt sie auch für das leibliche Wohl ihrer Gäste. An den kräftigen Polstern, mit denen die Blattstiele dem Stamme ansitzen, finden sich nämlich scharf abgegrenzte, behaarte Felder, die kleine Drüsen tragen. Bei gewisser Vergrößerung erkennt man in ihnen kleine halbkugelige Gebilde, die nach und nach zu ei- oder birnförmigen Körperchen anschwellen, sich vom Grunde ablösen und durch die Haare an die Oberfläche des Feldes gedrängt werden. Schimper, der sich der Untersuchung der Cecropien ganz besonders widmete, fand, daß der Inhalt dieser Körperchen aus stickstoffhaltigen Substanzen und Oel besteht, diese beiden Stoffe aber sind für die Ernährung jedes tierischen Körpers höchst geeignet, und so erkennen wir in ihnen einen Tribut, den die Pflanze ihrer Schutztruppe zum Lebensunterhalt gewährt. Ja, sie erreicht dadurch noch einen weiteren Vorteil, sie erzieht die Ameisen zu einem seßhaften Volke, denn vagierende Schwärmer würden ihr gegen die Angriffe der Blattschneider wohl kaum genügenden Schutz leisten.

Fig. 4. Hydnophytum formicarum. a. Ganze Knolle. b. dieselbe im Längsschnitt (nach der Natur). Fig. 5. Acacia spadicigera (nach der Natur). Fig. 6. Tococa lancifolia. Blattunterseite, a. Eingangsöffnung.

Namentlich das Gebiet des südamerikanischen Riesenstromes, des Amazonas, ist die Heimat der meisten Gewächse, die ihre hohlen Stamm- oder Zweigglieder zu Ameisenheimen umgebildet haben. Ein anderes sehr bemerkenswertes Beispiel derselben ist Duroia hirsuta, von welcher Fig.2 unserer Abbildungen einen Laubzweig darstellt. Bei dieser Pflanze sind an den blühenden Aesten die einzelnen Glieder von ungleicher Länge, das unterste erreicht mehr als 10 cm, während die oberen so verkürzt sind, daß die Blätter auf dem langen unteren Zweiggliede eine Rosette bilden, die von einem Blütenstande gekrönt wird. Unterhalb der Rosette ist der Zweig auf eine Entfernung von 4 bis 5 cm stark

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_211.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)