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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

nach Berlin erfolgen. Drohender war ja in letzter Zeit die Kriegsgefahr an des Vaterlands Grenzen herangerückt, eine starke Kriegspartei drängte zur Entscheidung, Preußens Ehre und Selbständigkeit standen auf dem Spiel, selbst die friedliebende Königin hatte sich allmählich davon überzeugt, daß nur der Waffen Gewalt die Entscheidung bringen könnte. In Zagen und Zweifeln verging der Winter, in unentschlossenem Harren der Frühling und in bald freudiger, bald banger Erregung der Sommer des Jahres 1806. Für die jungen Prinzen war es eine interessante, buntbelebte Zeit, es gab viel zu hören und zu schauen, in Berlin herrschte ein reges, militärisches Leben, vermehrt durch die durchziehenden Regimenter, die sich an die Grenzen begaben. In freudig begeisterter Wallung befand sich die Bevölkerung der Hauptstadt und brachte dem Königspaare stürmische Huldigungen dar, so anläßlich seines im Verein mit den Kindern unternommenen Besuches des Stralauer Fischzuges, bei welcher Gelegenheit der König froh erstaunt über die Begeisterung der Menge zu seiner Gemahlin äußerte. „Es scheint ja so, als ob sie dich heute zum erstenmal sähen!“

Friedrich Wilhelm III. stellt der Königin Luise den Kronprinzen
und den Prinzen Wilhelm in ihren ersten Uniformen vor.

Dann kamen im folgenden Monat die bitteren Stunden des Abschieds. Der König reiste ins Feld, die Königin begleitete ihn, ehe die Feindseligkeiten wirklich begannen, bis Thüringen, während die Kinder in Berlin blieben, aber schneller als man es je vermutet, entluden sich die schweren Gewitterschläge. Das preußische Heer wurde bei Jena und Auerstädt geschlagen und die königliche Familie sah sich genötigt, nach dem Osten zu fliehen. Im Schlosse zu Schwedt, wohin man aus jäher Furcht vor den Franzosen die königlichen Kinder gebracht, kannte die Königin erschüttert ihre Lieblinge in die Arme schließen. „Ach, meine Söhne,“ rief sie weinend aus, „ihr seid in dem Alter, wo euer Verstand die großen Ereignisse, welche uns jetzt heimsuchen fassen und fühlen kann. Ruft künftig, wenn eure Mutter nicht mehr lebt, diese unglückliche Stunde in euer Gedächtnis zurück, weinet meinem Andenken Thränen, wie ich sie jetzt in diesem schrecklichen Augenblicke dem Umsturze des Vaterlandes weine. Aber begnügt euch nicht mit den Thränen; handelt, entwickelt eure Kräfte, vielleicht läßt Preußens Schutzgeist sich auf euch nieder – befreit dann euer Volk von der Schande, dem Vorwurfe und der Erniedrigung, worin es schmachtet, suchet den verdunkelten Ruhm eurer Vorfahren von Frankreich zurückzuerobern, wie euer Urgroßvater, der Große Kurfürst, einst bei Fehrbellin die Niederlage und Schmach an den Schweden rächte!“ …

Er dachte gewiß der flammenden und malmenden mütterlichen Worte, der greise kaiserliche Held, als er an einem Sommertage das Jahres 1878 die Räume des in kurzem zu eröffnenden Hohenzollernmuseums im erinnerungsreichen Schlosse Monbijou zu Berlin durchschritt und in tiefen Gedanken im Luisengemache vor der kleinen Wiege stehen blieb, in welcher er einst geruht, von der Sorge der zärtlichsten Mutter bewacht. Und der schweren, dem Wiedertreffen in Schwedt folgenden Zeit mochte er gedenken, der Flucht nach Königsberg und Memel in schneidender Winterkälte, die teure Mutter krank, all ihrer Hoffnungen auf eine nahe bessere Zukunft Preußens beraubt und doch mit freudiger Zuversicht darauf bauend, daß ihre Söhne einst den Staat Friedrichs des Zweiten zu neuer Blüte, neuem Ruhme führen würden!

Ueberreich ist ihre Erwartung in Erfüllung gegangen. Ihrem zweiten Sohne war es vorbehalten das große, so lange zersplittert gewesene deutsche Vaterland zu einen und immerwährenden Ruhm an die Fahnen seiner siegreichen Heere zu knüpfen, um dann nach blutigem Kampfe in langem ersprießlichen Frieden den stolzen Bau noch fester zu fügen, damit er selbst den schwersten Stürmen zu trotzen und sie zu überdauern vermöge! Und so lange es besteht, dieses deutsche Kaiserreich – seines Wiedererweckers und Begründers wird man mit steter heißer Liebe und Verehrung gedenken und ihm aus deutschen Herzens tiefstem Borne immerdar die freudigste Dankbarkeit zollen, ihm, dem ersten Kaiser des neugeeinten Deutschen Reiches, ihm, dem unvergeßlichen Kriegs- und Friedenshelden!


Ein wichtiger Fortschritt im Seidenbau.

Von Dr. Udo Dammer.

Es ist bekannt, daß Friedrich der Große den sehnlichen Wunsch hatte, den Seidenbau in seinem Lande einzubürgern. Noch jetzt sind in Sanssouci große Maulbeerbäume die lebenden Zeugen des eifrigen Bestrebens jenes Fürsten, Ueber ein Jahrhundert ist seit seinem Tode vergangen, und nun endlich scheint nicht nur, sondern ist thatsächlich der Weg gefunden, auf welchem der Wunsch des ökonomischen Herrschers in Erfüllung gehen kann.

Der Gründe, welche bisher einer allgemeinen Einführung des Seidenbaues bei uns im Wege standen, giebt es verschiedene. Nicht der geringste war es, daß die Futterpflanze, der Maulbeerbaum, ein längere Zeit totliegendes Anlagekapital erfordert und außerdem in unserem Klima nicht ganz winterhart ist. Dazu kommt, daß dieser Baum erst spät austreibt. In den rauheren Gegenden Deutschlands kann er überhaupt nicht angebaut werden. Aus diesen Gründen hat man schon seit langer Zeit danach getrachtet, eine Ersatzfutterpflanze zu finden. Schon vor etwas über 70 Jahren war dies auch geglückt, aber merkwürdigerweise hatte man die Sache nicht weiter verfolgt. Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts nahm Professor Harz in München diese Versuche wieder auf. Er wollte eine Rasse des Seidenspinners züchten, welche die Blätter der Schwarzwurzel (Scorzonera hispanica) – dies war die damals gefundene Ersatzfutterpflanze – ebenso willig frißt wie die Stammform diejenigen des Maulbeerbaumes. Die ersten Versuche waren wenig versprechend, denn nur 1,1% der Raupen gelangte bis zur Verpuppung, und zwar erst 54 bis 62 Tage nach dem Ausschlüpfen während die Raupen sich sonst nach 29 bis 33 Tagen verpuppen. Im nächsten Jahre kamen 7,5% Raupen welche der vorjährigen Zucht entstammtem in 44 bis 54 Tagen zur Verpuppung, im dritten Jahre 29,6% in 42 bis 56 Tagen und im vierten Jahre 34,38% in 38 bis 64 Tagen. Dann brach Harz seine Versuche ab. Dieselben ließen deutlich erkennen, daß die Wahrscheinlichkeit, auf diesem Wege zu einem Ziele zu gelangen recht bedeutend war.

Wenn man die Harz’sche Arbeit genau studiert, fällt es auf, daß dieser Forscher die Raupen bei einer verhältnismäßig sehr niedrigen Temperatur, nämlich bei nur 15° C = 12° R., gezüchtet hat. Nun weiß jeder Züchter der Seidenraupe, daß sie gegen niedrige Temperaturen, namentlich in den ersten Stadien ihrer Entwicklung, sehr empfindlich ist, die Freßlust verliert, leicht krank wird und sich viel langsamer entwickelt. In der That war Harz, ohne es selbst zu wissen, auf dem besten Wege, durch Zuchtwahl nicht eine Schwarzwurzelblätter fressende Rasse, sondern eine gegen niedere Temperaturen weniger empfindliche Rasse der Seidenraupe zu züchten. Deshalb ist es doppelt bedauernswert, daß er seine Zuchtversuche vorzeitig abgebrochen hat. Es wäre sehr wünschenswert,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_175.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)