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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

nicht sehen. Aber sie kam nur bis zum Eingang des Parkes, da rief eine helle wohlbekannte Stimme ihr nach:

„Is dös ä recht; mi so wart’n z’ lass’n? I lauf hier herum wie a Eichkatzerl im Käfig und schau nach Ihn’n aus, derweil hab’n’s net a mal d’ Absicht g’habt, mit mir z’ red’n? Na, aber sag’n S’ g’schwind, was meinen die Herrn Eltern zu Ihr’m Plan?“

Fräulein Hochleitner in Kapuze und Pelzmantel stand neben ihr, und unter dem Schleier lachten die braunen Augen erwartungsvoll.

„Brav hab’n S’ g’sungen heut’ mittag,“ fuhr sie fort, als Aenne ihr stumm die Hand gab, „beinah’ hätt i a bisserl g’want. – I hab’ alles g’hört. Aber kommen S’, Kind, gehn wir a Stückerl weiter, damit die arme heisere Schannet von niemand g’seh’n wird. Herr Gott, war dös heut’ früh a Hetz,’ als i sag’n ließ, i sei heiser wie a alt’s verschnupft’s Werkl! Und die kleine Friedrich hat gelacht, rein auseinander sin wir g’wes’n vor Vergnüg’n. Die Friedrich ham ’s gesucht wie a Naderl und derweil hat’s in meiner Schlafstub’ g’sess’n und an Eierpunsch trunk’n, und i hab’ endli mit Müh’ und Not krächzt: ,Die Fräul’n May singt doch a ganz rechtschaffen, frag’n S’ halt bei der an.’ Na, und wie mir glaubt ham, alles is in der Kirch’, da san mir zwa a hin gang’n, ganz in a Eckerl druckt, ham ma zug’hört. Brav war’s, schön war’s, Fräul’n Aenne, gratulier’ Ihn’n herzli.“

Aenne dankte kleinlaut.

„Na, und ’s Vatterl und Mutterl, und die Frau Tant’?“

„Sie haben mir erlaubt, einen Versuch zu machen; nach Neujahr gehe ich nach Dresden. Fräulein Hochleitner – ich wollte auch eben zu Ihnen, um zu danken, aber ich war so traurig!“

„Man hat Ihn’n ’s Herzerl halt schwer g’macht, dös kenn i alles, anders thun’s die Alten net, und dös will überwund’n sein; sind aber ganz gesunde Schmerz’n, man kann halt net ewig am Rock vom Mutterl häng’n.“

Sie gingen in der breiten Allee längs des Schloßteiches dahin; öde und dunkel war’s ringsum, ein kalter Wind trieb ihnen entgegen und kräuselte die dünne Wasserschicht des Teiches, die das Tauwetter über dem Eise geschaffen.

„Dös is nichts für mein’ Heiserkeit,“ lachte Fräulein Hochleitner, „dreh’n ma um und suchen a geschützte Stell’, wo wir Abschied nehm’n können. Morgen mittag geht’s heim.“

Als sie sich wandten, lag hoch über ihnen das Schloß mit seinen erleuchteten Fensterreihen, die hochzeitsfestlich in die Dunkelheit strahlten. „Warum san S’ so trauri?“ fragte Jeanette Hochleitner endlich. „Sie überleg’n wohl, ob S’ Heimweh bekomm’n wer’n drauß’n in Sachsen – nach Breitenfels? ’´ Oder lass’n S’ gar was Lieb’s z’rück! hier – i mein’ – – Sie versteh’n schon – etwas hoffnungslos Lieb’s?“

Aenne wandte den Köpf. „Aber ich bitte Sie,“ sagte sie verletzt.

„I hab’ g’meint, i hätt’ so was aus Ihrer Stimm’ g’hört,“ fuhr die Sängerin fort. „Aber seh’n S’, Fräul’n Annerl, für so Herzensg’schicht’n, da is die Kunst das beste Heilmittel, unsere große herrliche Kunst! Ach, sich so recht alle Qual und alles Leid, von der Seel’ sing’n, dös is gut, dös is groß, macht leicht! Und glauben S’ mir, die nur kann so recht sing’n, so daß die Herzen der Menschen erzittern und die Aug’n übergeh’n, die so a hamliche tiefe Herzenswund’n hat. Mein Lehrer in Wien, der hat oftmals zu mir g’sagt, wie i frisch von Innsbruck hinkommen bin mit mei’m dummen unschuldigen Kinderg’müt. ,Schani,’ hat er g’sagt, ,i wollt’, Sie verliebten sich mal so recht unglückli, daß S’ glei meinen, am best’n wär’s in der Donau drunt’n, dann sollt’n S’ mal sehn, was S’ mach’n könnt’n mit Ihrer Mordsstimm’; jetzt sing’n S’ halt allweil z’ kalt, ’s g’friert a’m orndli – – Na, dös ist denn a net ausblieb’n, und g’rad’ da is er dann z’fried’n g’wes’n, wie i g’meint hab’, i könnt’ halt vor Thränen kan Ton aus der Kehl’ würgen. Und wie i auftret’n bin, is so blieb’n. Wenn mir am weh’sten ums Herz is, da kann i am best’n sing’n, und da is ’s Publikum am bravsten, ach – und dös thut wohl, wenn’s klatsch’n und ruf’n, dös is a Hochgefühl! Werden’s a erleb’n!

Aber,“ fuhr sie fort, „Sie müss’n mi net falsch versteh’n, Fräul’n Annerl, seiner Trauer, sein’m Gram darf ma net z’viel nachgeb’n – die Kunst ist a eifersüchtig’s Weiberl, die will uns ganz, die verlangt d’n Menschen mit Haut und Haar, sonst rächt sie sich, ’s is a ernste Sach’ um d’ Kunst, auch auf’m Theater, und was dem liab’n Publikum drunt’n so leicht und natürli vorkommt, is oft recht schwer und muß durch viel Fleiß und Studier’n errung’n werd’n trotz allem Talent. Und nun nichts für ungut! Net wahr? I mein’s von Herzen gut und es war mir a Freud’, Sie kenneng’lernt z’ hab’n, und i hoff’, wir sehn uns no ’mal wieder im spätern Leb’n, i hoff’s sicher; und wenn von Ihn’n d’ erste glänzende Kritik in den Blättern steht, da giebt’s halt keine, die sich mehr freut als i. Und nun leb’n S’ wohl, lieb’s Annerl, Ham S’ Dank für jede Freundlichkeit, die S’ mir erwies’n hab’n.“

Sie zog das Mädchen an sich und küßte es herzlich. „Viel Glück – und wenn S’ amal Zeit ham, schreib’n S’ an mi von Dresden aus. B’hüt’ Ihn’n Gott!“

Aenne stand plötzlich am Ausgange des Schloßgartens allein in der Dunkelheit. Die Thränen rannen ihr über das Gesicht, sie fühlte sich zum Sterben unglücklich. Sie hatte nicht die Spur von Mut in diesem Augenblick, und wenn jetzt, die Mutter ihr an der Schwelle des Hauses entgegentreten würde und sagte: „Bleib’ doch bei mir, Kind, was willst du denn draußen? Die Welt ist öde und weit, und wir haben dich lieb,“ sie würde mit einem Aufschrei der Erlösung an ihre Brust sinken und rufen: „Ja! ja! ich bleibe, ich habe Angst vor dem unbekannten Leben!“

Langsam ging sie auf dem Wege hin, dann beschleunigte sie plötzlich ihre Schritte – hinter ihr erklang Gelächter, Säbelklirren, Sprechen, es schien ein ganzer Trupp Offiziere zu sein, die von dem Hochzeitsdiner kamen. Sie schritt rascher vorwärts, konnte es aber nicht verhindern, daß ein Teil des Gespräches in ihre Ohren drang.

„Was soll man nun um Gotteswillen anfangen den langen Abend in diesem Wurstneste?“ fragte einer.

„Wenn wenigstens Theater wäre,“ meinte ein anderer.

„Ja, Donnerwetter,“ näselte eine hohe Stimme, „laden wir doch die Damen ein, die Hochleitner und die kleine Friedrich.“

„Dann schlage ich vor, Selden, daß du dem Fräulein Hochleitner die Einladung überbringst.“

„Warum denn?“

„Weil du trotz deiner engen Lackstiefel die Treppe verdammt geschwind wieder herunterkommen würdest – die versteht keinen Spaß!“

„Na, denn nicht, dann einen Skat –“

„Und ein Glas Punsch –“

„Trinken wir auf das Wohl der schönen jungen Frau!“

„Boshafter Mensch!“

„Nee, dieser Kerkow!“ begann ein anderer, „’s ist rein unbegreiflich – der Kerl muß vor lauter Langerweile auf diese Kateridee gekommen sein. Uebrigens, wer war das hübsche Mädchen, die ihn ins Elend hineingesungen hat?“

„Das ist die Tochter vom Leibarzt. Hübsch, was?“

„Aber keinen Dreier,“ kam es gelassen von den Lippen eines andern, „sonst hätte der Kerkow heute nicht die Geschmacklosigkeit verbrochen! Ich weiß ja nicht, ob’s wahr ist, man sagt aber – –“

Das andere verhallte undeutlich, denn Aenne eilte, vom Weg abbiegend, wie gejagt durch den tiefen Schnee des Platzes zu ihrer väterlichen Wohnung hinüber. An der Treppe, die zur Hausthür emporführte, blieb sie tief atmend stehen, den Kopf stolz in den Nacken gebogen, und in den Augen funkelten zornig ein paar Thränen. Es war die höchste Zeit, daß sie hinausging aus Breitenfels, um sich selbst wiederzufinden in heißer, treuer Arbeit, in begeistertem Streben. Sie wollte beweisen, daß ein Mädchen, auch ohne einen Dreier zu besitzen, noch etwas gelten kann in der Welt. – In diesem Augenblick wollte sie eine Patti werden!

Sie trat in den Hausflur; Tante Emilie schien gewartet zu haben, sie machte ein Zeichen, daß Aenne leise reden solle, und flüsterte ihr zu: „Sprich nicht mehr heute abend mit der Mutter, sie hat sich zu Bette gelegt und trinkt Baldrianthee, und Vater ist eben zur Herzogin gerufen, es soll ihr nicht gut gehen.“

„Und die Brüder?“

„Sind noch nicht daheim, Kind; wollt’ auch, sie kämen noch nicht, denn, siehst du, da hat’s auch gestern was gegeben.“

Sie waren flüsternd in die Eßstube getreten, wo der Tisch

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