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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

und ich wunderte mich schon, daß Sie die Zwei vorhin so vorbeifahren ließen. Da ist ja heut’ Hochzeit!“

„Was sagen Sie da?“ fragte der Geheime Edukationsrat „Hat sich der Herr Oberbibliothekar verheiratet?“

„Ach ne,“ erwiderte der Kutscher, „seine Tochter, natürlich. Mit dem Doktor von Seedorf, dem Privatdocenten aus München! Das heißt, es ist ja nur seine angenommene Tochter, eigentlich hieß sie Bardolf, Fräulein Grete Bardolf. Ich kenne das ganz genau, weil nämlich meine Frau in dem Hause früher gedient hat – und eigentlich hätte ich auch das junge Paar fahren sollen, nicht der Johann,“ setzte er ärgerlich hinzu, denn der Fahrgast mißfiel ihm nachgerade.

„So, so!“ sagte der Geheime Edukationsrat und seufzte. „Dann fahren Sie mich nur gleich nach meinem Gasthof.“

„Ist auch besser“, brummte der Kutscher und drehte um.

Der Oberbibliothekar Hans Ritter stand im Garten, etwas abseits von der fröhlichen Gesellschaft, mit dem Rücken gegen die Straße, und plauderte mit dem Hauptmann von Seedorf, der bei Tisch eine so schöne Rede gehalten hatte vom Frieden, der heute vor fünfundzwanzig Jahren geschlossen worden sei und den der Vater der Braut miterstritten habe, vom Frieden dieses Hauses, in dem auch ihre Eltern Hochzeit gemacht und in dem sie unter der Obhut ihres zweiten Vaters so lieblich aufgeblüht, und vom Frieden der Liebe, der niemals in ihrer Ehe abnehmen möge. Da trat Fräulein Martha Weber zu ihnen, sehr munter und sehr aufgeregt. Sie fing nun auch schon an, ihre grauen Haare ohne Scheu zu tragen; die fremde Beimischung in ihren Gefühlen für den Doktor Hans Ritter hatte sich verflüchtigt oder veredelt, und sie waren nun ganz und gar nur richtige Freunde.

„Denken Sie, lieber Freund“, rief sie, „da hielt eben drüben an der Ecke einige Augenblicke ein Wagen – ich möchte drauf schwören, daß der Herr, der drin saß, niemand anders war als mein ehemaliger Kollege, der Doktor Hans Mohr.“

Hans Ritter wandte sich hastig nach der angegebenen Richtung um. „Nein,“ sagte Fräulein Martha, „er ist schon längst wieder fort. Am Ende war’s doch auch nur eine Aehnlichkeit, denn was hätte der Herr hier zu suchen? Damit wandte sie sich wieder einer Gruppe von jungen Mädchen zu, Freundinnen Gretes, von denen zwei aus weiter Ferne herbeigereist waren, um das unschätzbare Amt der Brautjungfern nicht zu versäumen.

Der Hauptmann von Seedorf blickte dem lebhaften Fräulein wohlgefällig nach. „Ihre verehrte Freundin hat wie gewöhnlich recht,“ sagte er. „Was hätte der Herr hierzu suchen? Und gerade heute, wo es, wie Sie mir sagten, vierundzwanzig Jahre sind, daß Sie und Bardolf mit ihm hier jenen denkwürdigen Bund stifteten. Ich weiß zwar nicht, ob der Herr abergläubisch ist – seine ausgezeichnete Gemahlin reist ja neuerdings viel als Sendbotin irgend einer geisterseherischen Sekte herum – aber auf jeden Fall müßte er doch das Gefühl haben, gegen irgend etwas Unsichtbares zu rennen, wenn er sich hier heute sehen lassen wollte. – Im übrigen, lieber Freund, Sie wissen, ich bin kein Gelehrter, und am Ende könnte mir auch alle Gelehrsamkeit keine genaue Vorstellung vom Leben der Seligen geben, aber ich denke mir, so ’ne gewisse Fühlung mit Wohl und Wehe der irdischen Hinterbliebenen ist jedenfalls gesichert, und dann muß es heute im Himmel eine sehr zufriedene stille Ecke geben. Von der ich, beiläufig bemerkt, nach Gretes Eltern und Voreltern und meiner seligen Frau auch den würdigen Professor Isaak Bernstein nicht abgeschlossen haben möchte!“

Eine von Gretes Freundinnen, mit einer dunkelroten Rosenknospe im schwarzen Haar, kam vom Tisch herüber und kredenzte ihnen Wein. Erschrocken blickte sie auf den Römer, den sie dem Hauptmann hingereicht. „Es ist – der Wind hat’s gethan,“ stammelte sie. „Es ist eine Kirschenblüte.“

Der Hauptmann nickte ihr lächelnd zu. „Blüten im Wein, Blüten in jungen Locken und auf weißem Haar“, sagte er. „Ueberall Blüten! Sie müssen zugeben, lieber Freund, daß ich Geschmack hatte, als ich vorhin den Mädchen riet, ihre Köpfchen, zu Ehren unseres botanischen Brautpaares so zu schmücken, und zu Ehren des Friedens. Ja, dies ist in der That ein Friedensfest, wie ich es mir seit fünfundzwanzig Jahren gewünscht habe. Schade, daß es in ein paar Stunden vorbei ist! Es wird Ihnen fürs erste sehr einsam vorkommen, lieber Freund. Ich habe daheim, gottlob, soviel Aerger damit, meine Polacken zu Menschen zu erziehen, daß ich wenig Zeit habe, an mich zu denken. Aber Ihr Erziehungswerk – an einem unvergleichlich edleren Gegenstande – ist zu Ende. Was bleibt Ihnen nach all dem Ringen?“

Der Doktor Hans Ritter sah ihn lächelnd an. „Was mir bleibt?“ fragte er leise. „So Gott will – der Friede!“



Blätter und Blüten.

Bretonische Gavotte. (Zu dem Bilde S. 141.)

Neben dem Baskenlande ist die Bretagne diejenige Provinz Frankreichs, wo sich die eigene Sprache, die alten Gebräuche und Kleidertrachten am stärksten behauptet haben. Der allgemeine Militärdienst und die obligatorische Volksschule haben freilich auch hier schon manchen Sieg errungen zu gunsten der französischen Sprache, der französischen Mode und der den Pariser Kaffeekonzerten entstammenden Gassenhauer, aber doch trifft man hier und da an Kirchenfesten und Jahrmärkten große Vereinigungen des Landvolkes, bei welchen alt und jung den altväterischen Staat der Landestracht anhat, wo man noch die alten Tänze tanzt und aus unförmigen weißen Steinkrügen den Apfelwein trinkt. Von einem solchen ländlichen Tanzvergnügen giebt uns der Maler Deyrolle in seiner „bretonischen Gavotte“ ein lebhaftes und anschauliches Bild. Dieser Maler ist ein so eifriger Bewunderer des bretonischen Volkslebens und der dortigen malerischen Volkstracht geworden, daß er nun schon seit langen Jahren in Concarneau, d. h. in der Mitte der bretonischesten Bretagne, seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat und nichts anderes malt als ländliche Genrebilder aus seiner nächsten Umgebung. Er versteht es meisterhaft, derartige Volksscenen mit Kraft und ohne Schönfärberei, aber auch ohne realistische Uebertreibung wiederzugeben.

Daß wir uns auf dem Bilde in der Bretagne befinden, verrät – ganz abgesehen vom Kostüm der Personen – dem Kenner der Landschaft das in der Mitte emporragende mit Figuren reich geschmückte steinerne Kreuz. Solche „Calvarien“ stehen fast neben jeder bretonischen Kirche und sehr oft zeigen sie mehr Originalität und künstlerischen Charakter als die Kirche selbst. Bei den großen Bittgängen, den sogenannten „Pardons“, bilden diese Calvarien den Mittelpunkt der religiösen Zeremonie. Ein solcher „Pardon“ ist ohne Zweifel das ernste Vorspiel zu dem heiteren Nachspiel gewesen, das der Maler hier dargestellt hat. Bauern und Bäuerinnen haben sich für den lieben Gott in ihren schönsten Staat geworfen. Stickerei und reicher Bänderbesatz ist an den Kleidern der Frauen und den Jacken der Männer sichtbar. Frisch gewaschen und gebügelt prangen die weißen Hauben der Bäuerinnen, welche für einige französische Nonnenorden zum Vorbild geworden sind. Auf zwei großen Mostfässern haben die Musikanten Platz genommen. Sie handhaben die beiden nationalen Instrumente, die Bombarde und das Biniou, das erstere eine Art von Fagott, das letztere ein Dudelsack. Der Maler läßt den Bombardenbläser sich abmühen, während der Biniouspieler sich gütlich thut. Auch das ist ganz richtig beobachtet, denn die Ablösung ist die Regel bei dieser primitiven Tanzmusik, das Zusammenspiel die Ausnahme. Die Ohren gewinnen dabei, denn die beiden Instrumente sind gewöhnlich in der Stimmung um einen halben Ton auseinander. Zwei ältere Bauern eröffnen mit zwei ländlichen Schönen den alten Tanz der Gavotte, der seine Benennung von den Gavots, den Bewohnern der Landschaft Gap im Departement Hautes Alpes, erhalten haben soll. Lange Zeit nur als Volkstanz geübt und zu scenischen Darstellungen auf der Bühne verwendet, wurde die Gavotte zur Zeit des ersten Kaiserreichs in Paris zu einem Gesellschaftstanz ausgebildet. In der Bretagne war sie seit jeher beliebt. Wären bei dem Feste, das unser Bild darstellt, deutsche Ohren zugegen, so würden sie mit Ueberraschung aus dem Munde des jungen Bauern, der den Musikern zujubelt, mehr als ein heimatliches „ch“ hören, an denen die bretonische Sprache so reich ist, während der eigentliche Franzose diesen Laut kaum zu sprechen vermag. Schließlich bemerken wir noch, daß die obenstehende bretonische Gavottenmelodie dem trefflichen Buche von Quellien „Chansons et danses des Bretons“ (Paris, 1889) entnommen ist. Felix Vogt.     

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_147.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)