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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

habe; die Frau Professor verwies es mir nachher sehr deutlich. Aber wie kann da einer ruhig bleiben! Noch dazu, wo sie darauf bestand und ordentlich nachmachte, wie du es ihr gesagt hättest du holtest dir jetzt die Braut ab! … Onkel Hans, denk’ dir!!“ – Und weiß der Himmel, was sie noch alles schwatzte, ich entschuldigte mich bei der Frau Professor und lief heim. Erst wollte ich dir’s schreiben aber ich brachte es nicht fertig, solche Verleumdungen aufzuschreiben, und da bin ich lieber gleich hergekommen.

Der Doktor Hans Ritter war sehr blaß geworden, aber er sah dem aufgeregten Jüngling fest in das Gesicht. „Demnach scheinst du es doch nicht für eine bloße Verleumdung zu halten?“

Karl fuhr in ängstlicher Ueberraschung auf. „Nein, Onkel Hans“ stotterte er, „du – du mußt mich nicht mißverstehen … Weißt du, es war mir ja wohl in der ersten Aufregung … Wenn eine das so bestimmt wiederholt … Aber ich schämte mich im selben Augenblick darüber … denn da könnten ja hundert alte Basen kommen und so etwas behaupten. Es bliebe ja doch unmöglich; du und Grete! – – Das heißt, bitte, mißverstehe mich nur nicht – sieh’ ’mal, es giebt ja kein Wesen in der Welt, das für dich zu gut wäre, Onkel Hans, und wenn du wirklich … verzeih’ … wenn etwas Wahres daran wäre … verzeih’ … ich rede nur so –“ er schöpfte tief Atem und versuchte, ruhiger zu sprechen: „Sieh’ ’mal, Onkel Hans, Grete könntest du ja mit einem einzigen Wort zu allem bringen. Andere Mädchen in ihrem Alter stellen sich das Bild von dem Pastor, der sie eingesegnet hat, oder von einer Lieblingslehrerin auf ihr Tischchen, denn sie müssen irgend ein Heiligenbild haben; Grete braucht das nicht, die hat dich, dein Bild steht in ihrem Herzen, nicht bloß auf ihrem Tischchen; du bist sozusagen ihr irdischer Herrgott – du hast sie eigentlich so lieb und hold gemacht, wie sie ist, und sie gehört dir, es ist, als wenn du ihr Vater wärest und eigentlich noch etwas Heiligeres. Und eben darum …“; er stockte und trat in größter Verwirrung ans Fenster.

Auch Hans Ritter schwieg und blickte eine Weile starr vor sich hin. Es war ein großer Schmerz in seiner Seele, und doch etwas wie eine Befreiung, als hätten die stammelnden Worte des Jünglings mit einem Schlage den Streit in seinem Innern entschieden, den er selbst nicht zu schlichten wagte. Aber noch etwas anderes hatte er aus diesen Worten herausgehört. Urplötzlich stand vor seiner Erinnerung in greller Deutlichkeit eine andere Scene, als er die Hoffnung seiner ersten großen, ungestandenen Liebe im Geständnis eines rascheren – glücklicheren Freiers untergehen sah. „Sag’ ’mal, Karl,“ begann er – „seit wann ist dir dein Gefühl für Grete so klar?“

Karl wandte sich hastig um. „Wie … was meinst du damit, Onkel Hans?“ fragte er errötend.

Hans Ritter sah ihn ruhig, fast heiter an. Jetzt, wo er mit einem beherzten Griff die Versuchung aus seiner Seele gerissen hatte, die ihn einige Tage lang entzückt und gepeinigt hatte, war er wieder der alte. „Ich meine,“ sagte er, „seit wann du weißt, daß du Grete so liebst?“

Karl zögerte einen Augenblick, dann erwiderte er treuherzig den Blick seines Erziehers.. „Wenn du es denn einmal gemerkt hast, Onkel Hans … Weißt du, als ich sie jetzt zu Ostern wiedersah … da kam es über mich. Und seitdem war ich ja ganz in diesem Banne! Bitte, lieber Onkel Hans, sei nicht böse, wenn ich dir’s sage, siehst du, du hast mich ja auch in der Ferne weiter erzogen, und wenn ich vielleicht mehr oder eher als andere daran dachte, etwas Richtiges zu werden, daran warst du schuld; freilich, seit Ostern war’s doch mehr die Grete … Aber,“ fuhr er nach einer Weile fort, „wie lieb ich sie habe, das weiß ich doch erst seit gestern mittag!“

„Hast du Grete jemals merken lassen …“ fragte Hans Ritter.

„Aber wo denkst du hin!“ rief Karl „Nein, sieh’ ’mal, dann machte ich dir doch wenig Ehre! Sie war ja noch ein halbes Kind … oder vielmehr, sie ist es am Ende noch … und ich … weißt du, Liebe muß man sich doch verdienen, nicht wahr? – Aber sag’ ’mal, Onkel, glaubst du – ich meine, ob Grete …“

„Ob sie deine ungestandenen Gefühle teilt, du großer Junge? Das weiß ich natürlich nicht, und wenn ich’s wüßte, würde ich dir’s nach deinen eben gehörten, sehr löblichen Grundsätzen erst recht nicht sagen. Nein, du hast recht. Liebe muß man sich erst verdienen, und so lange mußt du schweigen. Inzwischen ist es ja schon genug, daß du mir’s gestehst. Der Umweg ist zwar nicht mehr Mode, aber mitunter ist er doch noch zweckmäßig. Nicht wahr? Denn wenn ich bei Grete soviel gelte, wie du dir denkst, so kommt wohl auf meine Meinung etwas an, ganz abgesehen –“

„Onkel Hans!“ rief Karl und faßte bittend die Hand seines Erziehers, der aber fuhr sehr ruhig, nur mit etwas heiserer Stimme fort. „Ganz abgesehen, meine ich, von meinen rechtlichen Befugnissen, die mir ja wohl noch auf eine hübsche Reihe von Jahren zustehen, und die ich sogar noch in etwas erweitern möchte, indem ich Grete adoptiere. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür sind ja wohl alle vorhanden – auch der Unterschied im Alter, setzte er seufzend hinzu. „Geändert wird ja in meinem Verhältnis zu ihr eigentlich nichts dadurch, aber wir wollen es der Frau Geheimrat und ähnlichen Leuten zu Gefallen thun, damit diese armen Seelen Ruhe haben. Und es ist ja die einfachste Lösung, nicht wahr? Na, nun thue nur nicht so zärtlich, mein Junge! Dein Vater hat doch recht, es ist etwas von einer anderen Art in dir, oder bist du erst seit Ostern so liebevoll gestimmt? Erzähle mir lieber von dir und deinen großen Plänen! – Aber das können wir unterwegs thun, denn nun willst du doch wohl Grete sehen, nicht wahr?“

Es war schade, daß der Professor Stubinger und die anderen hohen Meister des Studiosus Karl von Seedorf nicht mitgingen; sie wären gewiß mit ihrem Schüler sehr zufrieden gewesen. Ein wenig Neigung zum Docieren hatte er doch noch – oder hatte er sie schon wieder? Denn Docent wurde er, das stand fest, und bereits lugten auf dem Boden dieses Entschlusses allerhand Pläne zu Einzelforschungen, großen Studienreisen als Keime hervor. „Siehst du, Onkel Hans, ich bin kein Streber, aber wozu ich Neigung und am ersten Talent habe, darin möchte ich auch etwas Rechtes und Nützliches leisten, und sonst verdiente ich ja auch nicht einmal, im stillen Grete zu lieben. Denn mir sind die Wege leichter gemacht als viele anderen, also ist auch meine Pflicht größer. Seit vorigem Jahre bin ich mündig; ich habe Vater natürlich gebeten, mein Vermögen weiter zu verwalten, es hat mir Mühe genug gekostet, ihn zu bewegen, daß er wenigstens jetzt meinen Wechsel aus dem Meinigen deckt. Bis dahin hatte er ja immer Zins auf Zins laufen lassen, und es ist jetzt so viel, daß ich mit materiellen Schwierigkeiten gar nicht zu rechnen brauche, und wenn sie mich zwanzig Jahre als Privatdocent sitzen ließen. Aber, so Gott will, dauert es nicht ganz so lange.

„Und es steckt doch auch viel von dem Alten in ihm“, dachte der Doktor Hans Ritter, aber er verschwieg den Gedanken. Denn sie waren jetzt an dem jenseitigen Saume der Höhe angelangt, wo sich zwischen den letzten Bäumen ein bequemer Pfad zu dem Baumgarten absenkte. Sehr lustig und anmutig ging es da unten zu. Fräulein Martha Weber saß auf einer Bank unter dem größten der breitwipfligen Kirschbäume, welche die Wiese einfaßten. Sie war nachgerade den Mitspielern doch nicht mehr gewachsen, und sie begnadigten sie, sich mit dem Posten als Oberbefehlshaber und Schiedsrichter. Einige jüngere Kolleginnen aber waren mitten drin zwischen den jungen Spielerinnen, die lachend und jauchzend über den weichen Rasen hintollten. Es war wunderbar anzusehen, wie die schlanken, lebensvollen Gestalten in bunten und leichten Kleidern gruppenweise zusammenhuschten und von dannen eilten, wie ein noch im Werden begriffener Strauß von lebendigen Bäumen, der sich immer wieder auflöst, um sich sogleich wieder neu und reizvoll zu bilden. Ein wenig abseits stand Grete in ihrem weißen Gewand und ließ sich eben von einer Freundin das goldige Haar wieder aufstecken, worauf sie lachend in die Reihe zurücksprang, jetzt durchaus nur ein glückseliges, spielfrohes Kind.

Vor diesen Anblick klappte der zukünftige Privatdocent sein unsichtbares Heft zu und schien fürs erste nur noch ein Ziel auf Erden zu kennen, welchem er im Laufschritt hügelab zustreben wollte. Der Doktor Hans Ritter aber zog ihn bei der Hand zurück. „Wart’ noch ein wenig, mein Junge,“ sagte er, „und sieh dir’s genau und nachdenklich an, denn das ist so ziemlich der hübscheste Blick, den der Herrgott einen auf dieser Erde genießen läßt. Dem Menschen kann mit der Zeit manches leid werden, das er früher mit Vergnügen ansah, wer aber solch ein Kränzchen netter, artiger junger Mädchen im einfachen Schulkleid ansehen kann, ohne daß es ihm wohler ums Herz wird, der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_144.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)