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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Lichtern in die Schneenacht hinaus, ihren Weg erhellend. Bald war sie am Fuße des Berges und schritt auf dem Schloßplatz dahin, der Oberförsterei zu. Die ersten Wagen mit Gästen rollten eben langsam den steilen Berg hinan, am Eingange des Schloßhofes flammten Pechfackeln und zuckten mit ihrem Schein über die Gebäude und die dürren Wipfel des Parkes.

In wenig Minuten hatte Hedwig von Kerkow die Oberförsterei erreicht und trat ein in den kaum notdürftig erhellten Flur. Die Schelle rasselte laut und mißtönig, ein paar Dachshunde fuhren ihr belfernd entgegen, und bald nachher trat aus der nach rechts gelegenen Stube ein Mädchen, dem sich einige Kinder nachdrängten, und fragte nach ihrem Begehr.

„Ist der Herr Oberförster zu Hause?“

„Ja! Wen soll ich melden?“

„Sagen Sie ihm, eine Dame, die auf seine Annonce hin gekommen ist.“

Das Mädchen musterte im Abgehen Hede Kerkow vom Kopf bis zu den Füßen. Nach einem Weilchen kam es zurück. „Der Herr Oberförster lassen bitten, einstweilen einzutreten, er stehe gleich zur Verfügung. Sie führte Hede in ein Zimmer; die Lampe brannte auf der Platte des Schreibtisches und warf ihren Schein auf dienstliche Papiere: der Sessel war halb zurückgeschoben, als sei eben jemand eilig aufgestanden.

„Nehmen Sie Platz!“ sagte das Mädchen und schob einen Stuhl so ziemlich in die Mitte der Stube.

Hede dankte und blieb stehen. Das Mädchen machte sich am Ofen zu schaffen. Ein schöner Hühnerhund erhob sich von der warmen Lagerstatt und kam langsam herüber zu der fremden Dame; als er vor Hede stand, bewegte er den Schweif und schaute sie an aus seinen glänzenden, klugen Augen, und sie streichelte leise den schönen Kopf des Tieres.

„Wenn Sie hier die Stelle haben wollen, dann sagen Sie man nichts auf die gewesene Braut,“ begann plötzlich das Mädchen plump vertraulich. „Was die Stübken is, die is deshalb hinausgeflogen gestern, aber mit Dampf, und sie hatte doch gedacht, sie macht es recht schön. Na, meinswegen, ich bin froh, daß das Lügenmaul raus is!"

Hede maß die Schwätzerin mit einem kühlen Blicke von oben bis unten und wandte sich wieder zu dem Hund. Das Mädchen zögerte noch ein Weilchen, dann ging es.

„So ’ne olle hochmütige Trine, was braucht die sich zu melden,“ murmelte es, „der werd ich’s eintränken, wenn sie hier in Konditschon kommt!“

Hede stand noch mit dem Tiere beschäftigt, als Günther eintrat. „Entschuldigen Sie, Fräulein,“ bat er, „ich ließ Sie warten. Wollen Sie nicht Platz nehmen?“ Er wies zum Sofa hin und ergriff den Stuhl ihr gegenüber.

„Ich komme,“ begann sie, dunkel erglühend. – „Ja, ich weiß,“ unterbrach er, ihr feines vergrämtes Gesicht betrachtend. „Ich suche – ich bin nämlich Witwer, Fräulein – eine Dame, die meinem Hause vorsteht und die ein wenig gut ist mit den Würmern – Unruhe und Arbeit würden Sie reichlich finden, ich bin nicht allzuviel daheim, verlange aber auch keinerlei Berücksichtigung meiner Person. Seeben, das ist mein Faktotum, ein alter invalid geschossener Waldläufer, der sorgt für mich, mit mir haben Sie also keine Last, Fräulein. Aber trotzdem – Sie sehen zart aus – am End’ wird’s doch zu schwer für Sie.“

„O, sicher nicht!“ antwortete sie, „ich habe viel Lust zur Wirtschaft und Kindererziehung, viel Uebung freilich nicht. Vielleicht versuchen Sie es mit mir, Herr Oberförster?“

„Haben Sie Zeugnisse?“ fragte er.

„Nein,“ sagte sie, „ich war bisher noch nicht in Stellung, ich lebte bis vor kurzem mit meiner Mutter zusammen. Sie starb so rasch, und ich fühle mich einsam und wünsche Thätigkeit. Vorhin las ich Ihr Gesuch – ich bin sogleich gekommen.“

Er heftete den Blick auf sie. Ein schmales, edel geschnittenes Gesicht, nervös die Farbe wechselnd, um den feinen Mund ein herber Zug, und ein Paar großer dunkler Augen, in denen viel zu lesen war von verschwiegenem Kummer, von herben Erfahrungen. Sie gefielen ihm, diese bangen fragenden Augen. „Und Sie könnten gleich kommen, Fräulein?“

Sie zögerte ein wenig. „Ja!“ sagte sie dann, „ich denke, es wird meinem Bruder so recht sein.

„Lebt Ihr Bruder hier?“

„Er lebt hier,“ antwortete sie stockend, „es ist der Hofmarschall von Kerkow.“

Der Mann vor ihr war jählings aufgestanden. Des Kerkows Schwester? – Er trat zum Schreibtisch und wühlte dort planlos umher, und seine Hand zitterte dabei. – Die Schwester des Mannes, dem er indirekt die bitterste Erfahrung seines Lebens verdankte! „Weiß Ihr Herr Bruder?“ fragte er tonlos.

„Nein!“ erwiderte sie, „aber ich weiß, er wird sich freuen, wenn wir bei einander bleiben. Wir haben uns beide nötig, er und ich, Herr Oberförster.“

„Aber sollte dem Herrn Hofmarschall von Kerkow es recht sein, daß seine Schwester eine – – es ist doch immerhin eine dienende Stellung, Fräulein?“ „Wenn nicht hier, dann wo anders, Herr Oberförster. Er sowohl wie ich – waren und sind nicht in der Lage –“

Er unterbrach sie rasch. „Ich möchte doch erst die Einwilligung des Herrn Hofmarschalls –“

„Ich bin mündig,“ erwiderte sie, „zweiunddreißig Jahre alt. Aber wenn Sie Bedenken haben – es wäre, freilich es wäre ein Glück für mich gewesen, in seiner Nähe bleiben zu können!“ Sie stand auf und schickte sich zum Gehen an.

Ihm war es auf einmal wie eine Erleuchtung gekommen. „Wenn Sie es versuchen wollen, Fräulein,“ sagte er, „ich würde mich glücklich schätzen, eine Dame wie Sie um die Kinder zu wissen, und lieb wäre es mir, wenn Sie bald, recht bald kommen könnten! Soviel an mir liegt, will ich Ihnen die Stellung angenehm machen, Sie müssen nur entschuldigen, ich bin nicht auf dem Parkett groß geworden. Wenn ich –“

Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Ich verspreche Ihnen, alles zu thun für die Kinder, was in meinen Kräften steht. Gott gebe, daß ich ihre Herzen gewinne!“

Er schüttelte die Hand. „Und die Bedingungen?“ sagte er unsicher.

„Das überlasse ich Ihnen,“ antwortete sie, entschlossen, in dieser Hinsicht durchaus nicht prüde zu sein. „Geben Sie nur, was Sie Ihrer vorigen Hausdame gaben, oder weniger, jedenfalls aber, ehe wir das vereinbaren, warten Sie, ob Ihnen meine Leistungen genügen. Und jetzt zeigen Sie mir, bitte, die Kinder!“ Er ging mit großen schweren Schritten aus dem Zimmer, und kam dann wieder, das Jüngste auf dem Arm, die beiden andern zur Seite. „Da ist eure neue Tante – Sie erlauben doch, gnädiges Fräulein –“ schaltete er verlegen ein.

„Bitte, bitte“, sagte sie, „und nennen Sie mich nicht ‚gnädiges Fräulein’, nur einfach ‚Fräulein Kerkow’ oder ,Fräulein Hedwig’, oder auch nur ‚Fräulein’. – Kommt einmal zu mir, Kinder, und erzählt mir, wie ihr heißt! Sie nahm ihm das Kleine vom Arm und setzte sich mit ihm auf den nächsten Stuhl, während sie den beiden größeren freundlich zulächelte. Sie ließ sich durch die unguten Mienen der verschüchterten Kinder nicht schrecken, sie redete tapfer in sie hinein, fragte nach Puppen und Schaukelpferd, und nach einer Weile antwortete der Junge ihr zuerst, dann mischte sich Agnes ein mit unendlicher Wichtigkeit, und das ganz Kleine ward auch gesprächig. Es wurde ein wahres Vogelgezwitscher in der sonst so stillen Stube.

„Bleibst du gleich hier?“ fragte der Bub’.

„Heute nicht, ich komme aber wieder – übermorgen.“ „Bleib’ doch lieber gleich, meinte die Aelteste, „der Papa ist so traurig, das ist gar nicht schön!“

„Uebermorgen komme ich, und heut’ geht ihr schlafen ohne mich und morgen auch. Und wenn ihr zum drittenmal schlafen geht, dann komme ich mit und erzähle euch ein Märchen dabei.“

Sie waren es so zufrieden und begleiteten die neue Tante mit dem Vater bis an die Hausthür. Mit einem hellen „Auf Wiedersehen!“ schied sie und ging schnellen Schrittes den Weg zurück, den sie gekommen. Der Oberförster aber stand am Fenster und sah der schlanken Gestalt nach, die so unversehens nun in sein Leben getreten war.

Des Kerkow Schwester in seinem Hause! Des Mannes Schwester, von dem er jetzt geträumt im Wachen und Schlafen, an den er nur im tiefsten, herbsten Groll gedacht! Und nun – nun wußte er auf einmal alles, als habe ihm jemand aufgezeichnet,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_138.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)