Seite:Die Gartenlaube (1897) 134.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

mittag übernommen, Toni macht Toilette und Tante Gruber ebenfalls. ’s ist die Stille vor dem Sturm, Kind, und da du heute abend nicht unser Fest verherrlichen willst, so wollen wir uns einander jetzt schadlos halten.

Er war aufgestanden, hatte ihr seinen Stuhl im Erker überlassen und nahm nun ihr gegenüber Platz. „Sitzt sich’s hier nicht nett, wenn das Wetter da draußen sein Unwesen treibt?“

„Sehr nett – aber Heinz, du bist mir doch nicht böse, daß ich nicht mitthue, heut’ abend?“

„Ach, Kind, ich begreife dich vollkommen in deiner Trauerstimmung.“ Sie hatten sich die Hände gereicht und schauten sich liebevoll in die Augen. „Ja, ja,“ sagte er, mühsam lächelnd, „nun wird’s Ernst.“ „Heinz, wenn du doch recht glücklich würdest,“ sprach sie mit zitternden Lippen.

„Ich werd’ schon – ich werd’ schon!“ tröstete er und streichelte ihre Hände. „Mache dir nur keine Gedanken, Kind; deine Zukunft liegt mir mehr am Herzen, macht mir mehr Sorgen als die meine. Unsereiner beißt sich schon durch.“

„Wie das klingt für einen angehenden Ehemann,“ bemerkte sie, halb lachend, halb weinend, „durchbeißen! Beißen! Weißt du noch, wie wir Hochzeit hielten als Kinder, als du Nachbars Willy mit mir trautest und die schöne Rede hieltest. ‚Schlagt euch nicht, beißt euch nicht, zerkratzt euch lieber das Gesicht,’ und ‚Wenn euch die bösen Buben locken, so lauft voran auf schnellen Socken’?

Er lachte. „Gottloses Volk waren wir doch, Hede was? Ich glaube, ihr habt euch dann auch möglichst bald gekratzt, du und dein Willy“ –

„Versteht sich! Aber dann nahm ich mir kaltblütig einen andern, den Paul Gröber.“

„Ja“, sprach er, zwischen Scherz und Ernst schwankend, „das war erlaubt und recht einfach.- Wenn sich richtige Eheleute später beißen und kratzen, so ist’s zwar nicht hübsch, aber sie müssen trotzdem zusammen bleiben.“

„O Heinz, ich meine, das kann man vor der Hochzeit schon fühlen, ob man sich später beißen oder kratzen wird!“

„Hm! Das möcht ich nicht gerade behaupten“, antwortete er, „aber hab’ keine Angst, Hede, meine Ehe wird nicht beißig und kratzig – sie wird musterhaft friedlich sein.“

Sie sah ihn wieder mit dem schmerzlich fragenden Blick an, wie immer, seitdem sie ihn das erste Mal neben der Braut in seiner neuen Stellung gesehen hatte. Es lag ein eigentümlich bitterer Ton in seiner Stimme, matt und scharf zugleich.

„Ob ich dir das garantieren kann, meinst du?“ fragte er. „Gewiß, denn, siehst du, zum Zanken, Kratzen, Beißen gehören zwei, und ich meinerseits bin darauf durchaus nicht versessen – verstehst du, Kleine?“

„O ja“, antwortete sie, „und zum Lieben gehören auch zwei“.

„Nun sieh ’mal an, wie klug du bist, also –“

„Heinz!“ Sie konnte ihrer Bewegung nicht mehr Herr werden. – „Ach, Heinz, red nicht so leichtfertig – wie anders bist du nur geworden!“ stieß sie hervor, „als wärst du nicht mehr der goldtreue, edle, fröhliche Junge wie früher! Schon dieses Civil schmerzt mich, das dich gar nicht kleidet, nein, gar nicht – und alles, alles – –“

„O wirklich nicht?“ unterbrach er sie lächelnd, um dem Gespräch eine harmlosere Wendung zu geben, „und ich bildete mir ein, hinreißend im Frack zu sein, mindestens ebenso vornehm wie im Waffenrock! Na, laß gut sein, Hede, was du meinst, verstehe ich – kannst es mir nicht verzeihen, daß ich die Uniform auszog? Aber sieh, Kind, ich hätt’s so wie so thun müssen, denn zum Weiterdienen langte es nicht, das weißt du. Indessen, verlass’ dich darauf, wenn ein Feldzug kommt, ist der Frack im Umsehen aus und die Montur angezogen!“

„Ich hätte mich lieber als Soldat durchgehungert,“ sagte sie trotzig. „Und allein, verstehst du, ganz allein – es wäre doch gewiß gegangen!“

„Ach du, du ahnst ja nicht, was du sprichst,“ murmelte er.

Sie wurde dunkelrot. „Du hast doch hoffentlich bei dem Schritt, den du gethan, nicht an mich gedacht, Heinz? Das wäre mein Tod, ich könnt’s nicht ertragen!“

„Nicht allein an dich, auch an unsere alte Mutter, unsere Schwester in Halle – denkst du nicht an sie, Hede?“

Sie trocknete die Thränen und preßte die Lippen zusammen; er wandte den Kopf ab und schaute hinaus. Drunten, hinter den wirbelnden Flocken tauchten die Umrisse der Gebäude deutlich auf, hier die Oberförsterei , dort das Haus des Medizinalrats May, in dem Riesengebäude, dem Gasthof, wurden schon verschiedene Fenster hell. Dort wohnten die fremden Gäste, die zu seinem heutigen Polterabend geladen waren, Familien aus der Residenz, aus der Umgegend, die Sippe der Ribbenecks, die Kameraden seines alten Regiments – –

„Wenn ich dir helfen könnte,“ sagte Hede plötzlich laut und leidenschaftlich, „ich brächte Ottilie um – und mich dazu – wozu leben wir auch!“

„Wozu – oder wovon helfen?“ fragte er betroffen und wandte sich nach ihr um.

„Von deiner Heirat! –“

„Du bist toll, Mädel!“ antwortete er, seine Augen blitzten drohend und eine Röte lagerte auf seiner Stirn. „Was geht dich das an, was kümmert dich die Wahl meiner Frau? Hast du einmal Vorwürfe zu gewärtigen, wenn die Sache schlecht ausgeht?“

„Nein!“ sagte sie hart, „du könntest mir auch keinen Vorwurf machen, denn ich – ich möchte dich am liebsten mit diesen meinen beiden Händen von ihr wegreißen!“

„Hede!“ rief er, aufspringend bei dem rücksichtslosen Bekenntnis des sonst so ruhigen Geschöpfes.

Aber die grenzenlose Enttäuschung über die Schwägerin, eine Enttäuschung, die in ihrem Herzen sich seit ihrer Anwesenheit in Breitenfels, seitdem sie Toni zum erstenmal gesehen, aufgesammelt hatte, die Angst, der Schmerz um das Schicksal des über alles geliebten Bruders ließen sie jede Rücksicht vergessen. Sie sprang empor, eilte zu ihm, und neben ihm niedergleitend, faßte sie seinen Arm. „Muß es denn sein?“ rief sie halb erstickt, „besinne dich doch, Heinz, du bist doch sonst nicht feige gewesen – nichts als ein kurzer Entschluß gehört dazu – Hunderte von Verlobungen gehen zurück. Da drunten das junge Mädchen, von dem jetzt alle Welt spricht – wie heißt sie doch gleich? hatte den Mut, habe ihn doch auch, mach’ dich nicht unglücklich, Heinz, lieber Heinz – noch ist’s Zeit – denke nicht an uns, gehe hinaus in die Welt, schaff’ dir ein freies Glück!“

Er hatte sie emporgerissen, sie in einen Stuhl gedrückt und holte ein Glas Wasser. „Trink!“ sagte er kurz, „beruhige dich, deine Nerven spielen dir übel mit! Lernst du sie nicht beherrschen, so betrittst du denselben Weg, den unsere unglückliche Schwester jetzt wandelt. Sieh mich nicht so entsetzt an! Wenn du so unsinnig sein und deinem Bruder den Rat geben kannst, ein Schuft zu werden, indem er sich, um einem eingebildeten Unglück zu entgehen, der Pflicht eines Ehrenmannes entzieht – entzieht in der elften Stunde, so bist du nicht mehr normal! Fasse dich! Ich weiß, dich läßt die Liebe zu mir in der Mücke einen Elefanten sehen, und deshalb will ich dir die Scene, die du mir heute machst, nicht anrechnen. Für die Zukunft aber, Hede und nicht wahr, es liegt dir daran, daß wir zueinander halten in echter Geschwisterliebe? – für die Zukunft darfst du nie wieder ein Wort gegen die sagen, die meine Frau ist, denn sieh – sonst müssen wir uns trennen. Nun reiche mir die Hand und sei meine vernünftige Hede – komm, gieb mir einen Kuß. Er beugte sich nieder und küßte sie, sie aber saß wie ein wächsernes Bild und mühte sich vergebens, ihres Zitterns Herr zu werden.

Eine lange Zeit blieb es stumm zwischen ihnen; er stand am Fenster, ihr rieselten unausgesetzt große Tropfen über die Wangen. Ja, lieber Gott, sie hätte sich das sparen können, hatte sich auch schon alle Tage, die sie hier weilte, gesagt. „Es ist nichts mehr zu ändern daran!“ Nun platzte sie zuletzt doch noch damit heraus! Und er – er schaute zu Aenne Mays Vaterhaus hinunter und dachte über Hedes Ausruf nach. Die hatte den Mut gehabt, sich frei zu machen; ja, die konnte es auch, das lag anders! Sie hatte einfach einen Irrtum eingesehen, er aber, er war der Werbende gewesen, er hatte nach Toni Ribbeneck gegriffen wie der Ertrinkende nach dem Strohhalm. Jetzt, wo er sich auf festes Land gerettet, konnte er sie nicht verlassen. Daran gedacht hatte er, vor drei Wochen noch, als er mehr und mehr die Oede des Gestades erkannte, auf dem er gelandet durch sie; er

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_134.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2018)