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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

konnte ich mir auskämmen und aufwickeln, denn ich trug kurze, krause Locke um den ganzen Kopf, die ich abends auf Papilloten zu wickeln pflegte.

Möglichst leise holte ich mir also meine Kämme und Bürsten herbei, entledigte mich meines Kleides, warf meinen großen Frisiermantel aus Flanell über, setzte mich dicht an den Ofen, denn es wurde inzwischen empfindlich kalt im Zimmer, und begann mein Haar zu bürsten. Daß mich Friedel im Frisiermantel mit aufgewickelten Locken sehen würde, genierte mich wenig. Das war schon mitunter geschehen, und er war ja durchaus kein „fremder“ junger Herr.

Zwanzig Minuten nach Eins! Ich war halb fertig mit meiner nächtlichen Frisur. Die eine Seite meines Haares war schon kunstvoll aufgewickelt, die andere hing als dicke, lose Mähne um meinen Kopf. Da hörte ich ganz deutlich – viel zu deutlich sogar, es wäre gar nicht so laut nötig gewesen – ein scharfes Räuspern unter dem Fester. Also endlich! Na, Dem wollte ich morgen aber ordentlich die Wahrheit sagen, das stand fest!

Ich ging an das Fenster, öffnete einen Spalt und guckte hinunter. Richtig, da stand er und sah erwartungsvoll zu mir herauf.

„Bist du es, Friedel?“ fragte ich leise.

„Jawohl!“

„Paß auf, ich werfe dir den Schlüssel hinunter. Kannst du ihn wohl fangen?“

„Ja.“

„Schließ also selber auf und denke daran, daß du ihn nicht stecken läßt! Bringe ihn ja mit herauf!“

„Wird besorgt!“

„Und ziehe unten die Stiefel aus, Friedel, daß Mutter dich nicht hört.“

„Schön!“

Ich öffnete also das Fenster etwas weiter und warf den Schlüssel hinaus. Ich hörte, wie er unten klirrend auf das Trottoir schlug, und sah, wie Fritz sich nach ihm bückte, zog mich zurück, nahm die Lampe und ging an die Flurthür, die ich von innen aufschloß und aufkettete. Die Lampe hoch erhoben haltend, damit Fritz auf der Treppe auch sehen könne, stand ich dann vor der offenen Thür.

Nun drehte sich der Schlüssel unten im Schloß, jetzt noch einmal. Dann dauerte es ein Weilchen. Fritz entledigte sich offenbar seiner Stiefel, und nun schlich es die Treppe herauf. Ich hielt meine Lampe höher.

Eine Treppe – zwei Treppen – nun war er oben.

„Du bist mir –“ der Rechte! wollte ich empört flüstern aber ich brach jäh ab. Aus dem Dunkel der Treppe tauchte, hell von meiner Lampe bestrahlt, erst ein gewaltiger Helm mit Federbusch auf, darunter ein junges Gesicht mit keck aufgedrehtem Schnurrbart und schwarzen Augen, dann eine vollständige Ritterrüstung, in der ein langer Mensch steckte – ein gänzlich Unbekannter, offenbar im Maskenanzuge.

Ich hatte Geistesgegenwart genug, nicht zu schreien aber mit einem einzigen schnellen Schritt hinter die Flurthür flüchten und in demselben Augenblick, eingedenk meiner fragwürdigen Gewandung, die Lampe, die ich in der Hand trug, ausblasen, war eins!

Noch sah ich, wie der lange Mensch sich tief, tief vor mir verbeugte, hörte noch, wie er sagte. „Ich danke ganz ergebenst! – dann umfing mich Finsternis und Schweigen – Gott sei Dank, wenigstens hinter der geschlossenen Thür!

Da stand ich nun im Dunkeln und drückte die Hand gegen das Herz, welches entsetzlich klopfte. Ich hatte wirklich einen unerhörten Schreck bekommen.

Als ich mich über ein Weilchen besonnen hatte, wurde mir die ganze verzweifelte Sachlage erst recht klar.

Der Unbekannte hatte ja meine Schlüssel mitgenommen! Unseren Hausthürschlüssel, den viel umstrittenen, von Mutter mit Argusaugen gehüteten, mir mit feierlichen Ermahnungen anvertrauten mit dem ich dem treulosen, heimkehrenden Fritz die Thür öffnen sollte – den hatte der lange Ritter mitgenommen!

Eine kleine Hoffnung blieb noch: Vielleicht hatte er ihn im Thürschloß stecken lassen. Ich zündete meine Lampe wieder an, vervollständigte meinen Anzug ein wenig und schlich dann auf Socken die beiden Treppen hinunter bis zur Hausthür.

Nichts! –

Ja, nun war guter Rat teuer. Wiederhaben mußte ich den Schlüssel, das stand fest. Fritz mußte eingelassen werden, und nie hätte ich gewagt, Mutter wieder vor Augen zu treten, wenn ich nicht den geheiligten Schlüssel in ihre Hände zurücklegen konnte. Ich würde ihr Vertrauen in meine Zuverlässigkeit für immer verscherzen!

Wo aber war der lange Ritter?

In meiner Verblüffung und in der Dunkelheit hatte ich durchaus nicht darauf geachtet, ob er die Treppe wieder hinunter, oder ob er noch weiter hinauf gestiegen war, und da er folgsam meinem Gebot, auf Strümpfen ging, hatte ich auch keinen Schritt mehr gehört. Nicht die leiseste Ahnung hatte ich, wohin er geraten sein möchte, zumal da wir von den übrigen Bewohnern des großen Hauses noch sehr wenig wußten. In welches Stockwerk ein junger Herr gehören möchte, war mir ganz unklar.

Ja, da half nun nichts: ich mußte anfragen. Zaghaft drückte ich auf die Glocke der Parterrewohnung. Drinnen war natürlich längst alles dunkel und still. Es war ja mitten in der Nacht, und es dauerte eine ganze Weile, bis endlich innerhalb der Thür ein schlurfender Schritt laut wurde, dann öffnete sich die Thür zwei Finger breit, ein Lichtstrahl fiel heraus, und jemand fragte, offenbar sehr erbost: „Was wollen Sie?“

„Ach, bitte, entschuldigen Sie, ist hier vielleicht eben ein junger Mann im Ritterkostüm eingetreten? Ich hielt ihn für meinen Bruder, und er hat unsere –“

„Nein!“ scholl es wütend zurück. Die Thür klappte zu, und der schlurfende Schritt entfernte sich.

Es folgte also der zweite Akt. Ich schellte an der ersten Etage.. Hier dauerte es noch ein wenig länger, bis sich endlich ein strubbeliger Dienstmädchenkopf mit ganz verschlafenen Augen aus der Thür herausstreckte.

„Brennt’s denn?“

„Ach nein – entschuldigen Sie, – hier ist wohl nicht ein junger Herr eben hineingegangen? Vor fünf Minuten. Ich habe ihm aus Versehen unseren Schlüssel zugeworfen, den muß ich doch –“

„Gott bewahre!“ sagte das Mädchen in einem Tone, als hätte ich eine ungeheure Beleidigung vorgebracht. „Bei uns wohnt kein junger Herr. Meine Gnädige hat die Etage allein. Und zu schnappte die Thür.

Ach so, richtig, ja, hier wohnte ja die junge, vornehm aussehende Witwe mit den allerliebsten Kindern, die sah freilich nicht danach aus, als wenn der Jüngling mit dem offenbar entliehenen Maskengewande ein Verwandter von ihr sein könnte. Es blieb also nur noch die dritte Etage, denn irgendwo mußte ja der Fremdling wohnen, das war doch klar! Wie ein Einbrecher hatte er gar nicht ausgesehen, so viel Menschenkenntnis traute ich mir schon zu.

An unserer Thür schlich ich auf Fußspitze leise vorbei. O, wie segnete ich Mutters gesunden Schlaf!

Nun war ich oben. Tief aufatmend drückte ich wieder auf die Glocke. Jetzt endlich mußte meine Mühe doch belohnt werden.

Zu meiner Verwunderung öffnete sich die Thür gleich und eine kleine, dicke, freundliche Frau kam heraus, in der Nachtjacke und Nachthaube zwar, aber sonst noch völlig angekleidet.

„Herr Jeses – das Fräulein von unten! Es ist Sie doch niemand krank bei Ihnen, Fräuleinchen?“

„Nein,“ sagte ich schüchtern, aber ich habe eben aus Versehen einem fremde, jungen Herrn im Maskenkostüm, den ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_126.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)