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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

wenn ich nicht bei einer gewissen kleinen Balgerei den rothosigen Sergeanten, der eben auf ihn anlegte, zusammengehauen hätte, wodurch denn die Chassepotkugel ein paar Zoll nach rechts abflitzte und nur den linken erbgräflichen Oberarm streifte. Jedenfalls erinnerte sich die Erlaucht daran mit einer beschämenden Treue, und da ich ihm unvorsichtigerweise etwas von meinen betrübenden Verhältnissen verriet, so kam’s schließlich, daß ich am anderen Morgen als Mitglied der reichsgräflichen Fideikommißregierung aufwachte. Und sehen Sie, so geht’s in der Welt, dieser junge Mann findet im Handumdrehen für mich das, wonach ich seit sechzehn Jahren vergeblich suchte, einen richtigen Posten für mich, wo ich dahinten in der Polackei auf meinem Starostenschloß sitze, meinen Beamtenstab in der Zucht des Herrn halte und den Eingeborenen gegenüber den Europäer repräsentiere. Ich thue meine Pflicht als Güterdirektor und Christ, bin außer dem Herrgott nur Seiner Erlaucht Rechenschaft schuldig und beziehe vor allem mein sicheres, sehr auskömmliches und pensionsfähiges Gehalt, zu dessen Verschwendung sich in der Gegend auch mit angestrengtestem Nachdenken keine Wege ausfinden ließen; kurz, ich bin geborgen und könnte allabendlich mein angegrautes Haupt friedlich zur Ruhe legen, wenn nur eben die Sorge um den Jungen nicht wäre. Damit komme ich wieder auf mein Thema!

Das Pädagogium geht, wie Sie wissen, nur bis Unterprima einschließlich, es müßte also zu Ostern wieder ein Wechsel eintreten, denn sein Abiturientenexamen muß der Junge natürlich machen! Das wäre denn wieder eine neue Schwierigkeit, aber auch vielleicht ein Glück. Denn – ich glaube, die Hauptsache für einen jungen Mann von heutzutage ist doch, daß er allmählich und nicht so mit einem Plumps aus der Gebundenheit in die sogenannte Freiheit hineinkommt. Also auf unsern Fall angewandt: der Junge braucht für sein letztes Schuljahr ein Haus, in dem es bürgerlich aber behaglich zugeht, und in dem Hause einen väterlichen Freund, der ihm vertraut und dem er vertraut. Und um es kurz zu machen, lieber Freund. Sie thäten mir und, wie ich weiß, auch dem Jungen den größten Dienst, wenn Sie der Mann sein wollten! Sie brauchen nur Ja zu sagen, dann ist die Sache erledigt und Karl tritt zu Ostern bei Ihnen an, daß er dann die nötigen Kenntnisse für die hiesige Oberprima mitbringt, hat mir der Direktor des Pädagogiums verbürgt. Was die materielle Entschädigung betrifft, so brauchen Sie nur zu sagen, was Sie wünschen. Aber damit ist’s ja nicht genug, Sie verdienen sich außerdem noch einen Stuhl im Himmel und dauernde Dankbarkeit in diesem Leben von uns beiden."

Nach diesem Hauptangriff zündete der Hauptmann die Cigarre wieder an und lehnte sich behaglich auf seinem Stuhl zurück, um den Abwehrversuchen des überraschten Doktors einzeln mit überlegener Strategie zu begegnen.

„Aber, verehrter Freund,“ sagte schließlich der Doktor Hans Ritter, „ich habe ja nicht einmal Platz für ihn. Da sehen Sie sich doch das Häuschen nur an!“

„Das habe ich bereits gethan,“ erwiderte der Hauptmann sehr ruhig, „und es ist gut, daß Sie mich daran erinnern. Ich kenne Sie und begreife vollkommen, daß Sie den alten Bau nicht verlassen wollen. Wenn ich Ihnen raten darf, so mieten Sie ihn nicht weiter, sondern kaufen Sie ihn, Sie haben ja jetzt das Kapital dazu. Ich habe mich erkundigt, die Verwaltung ist willens, sich des Anwesens zu einem anscheinend sehr annehmbaren Preise zu entledigen. Und dann setzen Sie einfach hinten statt der Küche einen zweistöckigen Anbau in Hausbreite hin; so gewinnen Sie zwei bis drei neue Räume! Die Sache geht famos! Ich habe mir sogar schon erlaubt, die Sache oberflächlich zu berechnen, abzumessen und zu skizzieren. Nun, warum lachen Sie denn? „Da soll einer nicht lachen,“ rief Hans Ritter. „Am Ende bauen Sie mir noch über meinem Kopf einen gotischen Turm auf das Dach, das mir noch gar nicht gehört. Wie soll ich mit dem Jungen fertig werden, wenn der auch so energisch eingreift wie der Alte?“ „Davor brauchen Sie keine Angst zu haben,“ entgegnete der Hauptmann. „Der wandelt auf anderen Bahnen, die ihn wohl schließlich, so Gott will, zu irgend einem Lehrstuhl für Zoologie der Regenwürmer oder so etwas führen werden. Im Docieren ist er schon jetzt groß. Die Aepfel fallen zuweilen recht weit von den Bäumen! Na, einerlei, wenn er nur brav bleibt und sein gerad’ gewachsenes Gemüt behält.

In diesem Augenblick kam Karl herbei. Ehe es Hans Ritter verhindern konnte, hatte der Vater ihm mitgeteilt, um was es sich handelte, und die unverstellte herzliche Freude Karls besiegte das letzte Bedenken des Doktors.

Eine Woche darauf reisten die beiden wieder ab, und nach weiteren acht Tagen begannen Maurer und Zimmerleute ihr geräuschvolles und staubiges Werk, welches besonders der guten Luise manche aufregende Stunde brachte. Im Grunde ihres Herzens aber war sie doch sehr stolz, daß ihr Herr endlich auch einmal „etwas an sich legte“.

„Das Kind“ war anfangs sehr betroffen über die Aussicht, den großen Jungen nun nächstens sogar als Hausgenossen ertragen zu müssen. Aber das Bewußtsein, daß sie ihm doch in einigem „über“ sei, versüßte ihr den Gedanken und auf jeden Fall war es eine Neuigkeit, über die sich mit ihren Schulfreundinnen vieles reden ließ. Als eine große Schwierigkeit erwies es sich dabei, den künftigen Hausgenossen ihren Freundinnen gegenüber kurz zu bezeichnen. Schließlich nannte sie ihn einfach ihren Vetter, „er sagt ja auch Onkel zu meinem Paten Hans, und ich zu seinem Vater,“ dachte sie. Uebrigens bewies der „Vetter“ sich aus der Ferne sehr aufmerksam, er vergaß Grete in keinem seiner Briefe an ihren Paten, und zu Weihnachten fand sie auch ein Geschenk von ihm unter dem Christbaum. Mit alledem entging er seinem Schicksal nicht; als er zu Ostern einzog, fand er auf seinem Arbeitstisch ein zierliches Sträußchen, aus Märzveilchen und Schnittlauch zusammengestellt. Er war klug genug, sich bei der Spenderin mit allen Zeichen des Vergnügens zu bedanken. „Nicht ’mal ärgern läßt er sich,“ sagte sie sehr enttäuscht zu ihrem getreuen Wöppy.

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüten.

„Streng nach Mustern der ‚Gartenlaube‘.“ Unter den zahlreichen Roman- und Novellenmanuskripten, welche uns jahraus jahrein ununterbrochen aus allen Gegenden des lieben Vaterlandes und von auswärts eingesandt werden, befand sich – es ist jetzt beiläufig drittehalb Jahr her – auch das einer Schriftstellerin, welcher früher schon ein oder das andere für uns nicht Verwendbare mit der üblichen Höflichkeit zurückgesandt worden war. Das neue machte auf den mit der Prüfung beauftragten Redakteur keinen besseren Eindruck. Also zurück, selbstverständlich wiederum mit einigen freundlichen Worten! Aber damit war die Sache keineswegs zu Ende. Das Romanmanuskript kam wie ein verloren geglaubter Romanheld eines schönen Tages wieder zum Vorschein, nachdem die Verfasserin mitgeteilt hatte, dasselbe sei von ihr unter Beibehaltung des ursprünglichen Motivs neu bearbeitet worden, wobei sie in der Entwicklung des Motivs sich streng nach Mustern der „Gartenlaube“ gerichtet habe. – Abermalige Lektüre des Manuskripts in der Redaktion – und wirklich, der Roman hatte sich verändert! Jetzt enthielt er neben recht gewöhnlichen, die Dilettantenfeder verratenden Stellen solche von feiner Beobachtung und hübscher ansprechender Form, die zum anderen gar nicht zu passen schienen – im ganzen eine ungleiche, unerfreuliche, wenn auch stellenweise Talent verratende Arbeit. Dabei machte der prüfende Redakteur die Bemerkung, daß er da und dort bei der Lektüre an einen früheren, vor Jahren und nicht in der „Gartenlaube“ erschienenen Roman von W. Heimburg erinnert worden sei. Dieses „Erinnertwerden“ an Heimburgsche Romane und Novellen ist nun aber in der Redaktion der „Gartenlaube“ beim Lesen der eingelaufenen Manuskripte, besonders solchen von Anfängern, etwas so Gewohntes, daß man sich nicht weiter dabei aufzuhalten pflegt. Um so weniger als hier, wo die Verfasserin selbst zur Empfehlung ihrer Arbeit darauf hinwies, daß sie sich „streng nach Mustern der ‚Gartenlaube‘ gerichtet habe.“

Und noch einmal ging das Manuskript des Romans an die Verfasserin zurück, noch einmal verschwand es in der Nacht des Vergessens, um endlich noch einmal – jetzt aber gedruckt – vor uns aufzutauchen und uns eine Ueberraschung zu bereiten, von einem Effekt, wie ihn der betreffende Roman, den das Manuskript enthielt, auch nicht entfernt aufzuweisen hatte! Unsere verehrte Mitarbeiterin W. Heimburg sandte uns nämlich dieser Tage ein ihr von einer Leserin der „Gartenlaube“ zugegangenes Schreiben des Inhalts: In der Zeitschrift „Zur guten Stunde“ erscheine gegenwärtig ein Roman – „Neue Bahnen“ von Julie Dennemarck –, der, soweit er bis jetzt vorliege, eine stellenweise wörtliche Wiedergabe ihres Romans „Kloster Wendhusen“ sei! Und in der That – nach kurzer Vergleichung konnte kein Zweifel mehr bestehen: „Kloster Wendhusen“, einer der wenigen älteren Romane von W. Heimburg, welche nicht in der „Gartenlaube“ erschienen sind,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_115.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)