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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

erschütterte Ansehen Hans Ritters in der akademischen Gesellschaft auf einen ganz neuen und festen Boden stellte.

Eine hervorragende Rolle hatte Ritter in dieser Gesellschaft auch während seiner akademischen Lehrthätigkeit nicht gespielt, während der Professor Isaak Bernstein in ihr ungefähr wie im Professorenkollegium zwar nicht ordentliches, aber doch Ehrenmitglied war. Es war damals die Zeit, wo im neuen Reich auch der gesellige Verkehr in den vornehmsten akademischen Kreisen der deutschen Gelehrtenwelt sich von Grund auf umzustimmen begann. In immer selteneren Fällen wiesen diese Kreise noch eine Aehnlichkeit mit dem Bilde auf, welches ein gefeierter Romandichter zehn bis fünfzehn Jahre zuvor bereits mehr seinen Erinnerungen und seinen Idealen als der Wirklichkeit nachgezeichnet hatte. Der sagenhafte deutsche Professor in Schlafrock und Pantoffeln, der mit der langen Pfeife im Munde unter den Augen seiner strümpfestrickenden Gattin grundgelehrte Werke schrieb und unbemittelten Zuhörern an bestimmten Wochentagen Freitisch gewährte, verschwand allmählich vor dem weltgewandten und höchst gesellschaftsfähigen modernen Geheimrat, auf dessen ordengeschmücktem Ueberrock ein letzter Hauch vom Staube der Bibliotheken manchmal nur noch wie eine scherzhafte Anspielung zu haften schien.

Unter solchen Glanzerscheinungen machte sich der Doktor Hans Ritter fast so altmodisch wie das Fach, welches er bevorzugte, und wenn man ihn auch löblichem Brauche gemäß wie andere Privatdocenten manchmal eingeladen hatte, so weinte man ihm doch keine Thräne nach. Man fand, daß er wohl thue, die Bahn für standesgemäßer ausgestattete Bewerber frei zu lassen. Nun aber war man doch auch wieder durchaus nicht einverstanden, als man vernahm, daß dieser Herr wirklich „der Wissenschaft untreu“ geworden sei und unter anderem Novellen aus der Gegenwart in die Zeitschriften schreibe. Denn für das Gros der akademischen Gesellschaft erschien das Verfassen von Erzählungen höchstens dann als Neben- und Erholungsarbeit eines Gelehrten statthaft, wenn er wenigstens in der Wahl und Behandlung des Stoffes eine nur Eingeweihten zugängliche Fachgelehrsamkeit bewährte. Hier dagegen – – – „Wissen Sie, meine Liebe,“ pflegte die Frau Geheimrat Hermann, Beatens Gastfreundin, zu sagen, „dieser Doktor Ritter ist eine etwas zerrüttete Existenz, wenn er auch eine gute, pensionsfähige Stellung hat. Er lebt ganz familiär mit seiner alten Wirtin und hat das kleine Kind irgend eines Freundes zu sich ins Haus genommen, wie komisch, nicht? Und dann schreibt er so Geschichten, wie sie in den Zeitungen stehen! Es ist schade um ihn; mein Mann sagt, früher hätte er eine recht vielversprechende Facharbeit vorgehabt.“

Als der Professor Isaak Bernstein sie so einmal, in einer großen akademischen Gesellschaft, einer kürzlich zugezogenen Kollegin den Fall klar machen hörte, sagte er: „Nu, was wollen Sie, meine Gnädige? Der junge Mann wird sich gesagt haben, wenn auch ein junger Mann davon absieht, die Beweise fürs Dasein Gottes zu kritisieren, der liebe Gott existiert drum doch weiter! Was aber die Geschichten angeht, die er schreibt“ – der Professor Bernstein zog die Augenbrauen hoch, sah die Dame an und machte die Gebärde des Geldzählens – „wissen Sie auch, was der Mann für so ein Geschichtchen kriegt?!“

Diese geheimnisvolle Bemerkung, in einer Angelegenheit, für die man dem Professor Isaak Bernstein ein angeborenes Verständnis zutraute, machte eine doppelte Wirkung. Erstlich die, daß während der nächsten Monate aus zahlreichen akademischen Häusern mehr oder minder umfangreiche Pakete mit weiblicher oder männlicher Handschrift an unterschiedliche Redaktionen abgingen. Auf diese Reaktionen gab es dann später viel Lachen und Fluchen, und es war auch in diesem Falle ein Glück für den Professor Isaak Bernstein, daß nicht jeder Fluch auf den zurückfällt, der eigentlich daran schuld ist. Die zweite Wirkung aber war die, daß der Schriftsteller Hans Ritter auf einmal ganz anders in der „besten Gesellschaft“ der Universität verteilt wurde. Man fühlte dunkel, aber lebhaft, daß Arbeiten, über deren Bezahlung sogar der Professor Isaak Bernstein die Augenbrauen hoch zog, doch etwas ganz Vorzügliches sein müßten, man las sie und empfand demgemäß ihren inneren Wert, und als das erste Novellenbuch von Hans Ritter erschien, fand es zum größten Staunen der Sortimenter sogar einigen Absatz zu Weihnachtszwecken in akademischen Familien.

„Wissen Sie, meine Liebe,“ sagte die Frau Geheimrat Hermann, „dieser Doktor Hans Ritter ist eine merkwürdige Persönlichkeit! Ein Sonderling, aber ein geistreicher Sonderling, seine Sachen werden enorm hoch bezahlt.“

11.

So glänzend stand sich Hans Ritter noch lange nicht, wie es die akademischen Herrschaften in ihrer Unkenntnis aller außerhalb der Zunft liegenden litterarischen Erwerbsverhältnisse annahmen. Freilich hätte er es besser haben können, wenn er nicht so eigen gewesen wäre. Der litterarische Markt war damals noch nicht so stark wie heute mit arbeitslustigen Erzählern und Erzählerinnen überfüllt, und ein gebildetes Talent konnte sich, wenn es erst „eingeführt“ war, bei einigermaßen entwickeltem Geschäftssinn durch fleißige Herstellung lesbaren Stoffes ein ziemlich hohes und regelmäßiges Einkommen verschaffen. Aber eben dieser Geschäftssinn ging Hans Ritter ab. Er konnte sich von der Vorstellung nicht befreien, daß ein Schriftsteller nichts aus der Hand geben dürfte, wovon er nicht überzeugt wäre, daß er es nicht besser machen könnte. Er fuhr fort, seine Geschichten innerlich zu erleben, ehe er sie verfaßte, und da er in allem kein Mann der raschen Arbeit war, ja selbst im Träumen langsam, so war seine „Jahresproduktion“ nicht derart, daß sie einem Berufserzähler von flottem Betrieb imponiert hätte. Aber es ging auch so und merkwürdigerweise ging es noch besser als zu der Zeit, da der Doktor Hans Ritter nur für sich zu sorgen hatte und seine Nahrung im Speisehaus suchte, anstatt wie jetzt am „Familientisch“ in Frau Klämmerleins „Museum“. Es war ein erschwingbarer Luxus, das Häuschen von Freunden frei zu halten, und es war sogar möglich, alljährlich eine Summe einzuzahlen, welche dem weißen Mädchen in Zeiten dienen sollte, von denen es noch keine Ahnung hatte.

Die Verfassung des kleinen Haushalts war fast noch kunstvoller und verwickelter als die des Deutschen Reiches. Der Außenwelt gegenüber war Frau Klämmerlein nach wie vor die vorstellende Gewalt, welche das Häuschen gemietet hatte und den Doktor Hans Ritter nur als ihren Mietsherrn zu „ästimieren“ brauchte. Im Innern hatte sie die Hoheit ohne besondere schriftliche Konvention an den Doktor abgetreten, dessen Matrikularbeitrag zu dem gemeinsamen Reichshaushalt den ihrigen ja um ein vielfaches überstieg. Wenn man aber genau zusah, so schwebte über dem friedlichen Zusammenwirken der häuslichen Mächte als oberste entscheidende Macht die Rücksicht auf einen sehr geliebten Regenten, und das war Grete. Sie hatte dieses kleine Reich gegründet, sie hatte den Doktor Hans Ritter zum wirklichen geheimen Hausherrn gemacht, sie hatte der alten Frau einen neuen Geist gegeben, der sich anderswo als im Kreuzkonvent heimisch fühlte und sogar mit dem in Luisens Person zusammen gefaßten eigenwilligen Vasallentum fertig wurde, und im Grunde war sie es auch, die durch persönliche Neigung allmählich den Anteil der verschiedenen Mächte an ihrer Erziehung abgrenzte. Es ist leider kaum zu bezweifeln daß Frau Beate, verehelichte Frau Doktor Hans Mohr, und viele andere staatlich beglaubigte Bildnerinnen weiblicher Jugend an dieser Erziehung vieles zu verbessern gefunden hätten. Frau Margarete Klämmerlein traf dabei noch die geringere Schuld, sie beschränkte sich wenigstens auf die Unterweisung in Dingen, mit denen sie praktisch Bescheid wußte, und wenn sie zum Beispiel der kleinen Grete das Lesen nach der alten Buchstabiermethode beibrachte, so mochte zu ihrer Entschuldigung dienen, daß sie es selber so gelernt hatte und das wunderschöne deutsche Wort „lautieren“ nicht einmal dem Klange nach kannte. Auch daß Grete beim Strickunterricht sich das Garn zu ihrem ersten eigenen Strumpf von einem Fleißknäuel herunterstricken durfte, als dessen Kern sich ein süßes Chokoladenei herausstellte, war wohl kaum eine bewußte pädagogische Ketzerei. Gefährlich mußte es ja immerhin erscheinen, auf diese Weise in der unerfahrenen Kinderseele die Vorstellung zu erwecken, als ob man in der Welt für jede abgewickelte Pflicht etwas Süßes bekomme. Frau Beate würde es immer vorgezogen haben, die Fleißknäuel wenigstens um etwas Brauchbares und Arbeitsmäßiges zu wickeln etwa einen Fingerhut, „den das Kind sowieso bald haben muß“, oder um ein Geldstück für die Sparbüchse. Aber Frau Margarete Klämmerlein wußte es nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_098.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)