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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Der neue Fischereihafen von Geestemünde.
Nach einer Photographie von W. Sander u. Sohn in Geestemünde gezeichnet von R. Mahn.

nach einem größeren Spielraum, auf dem er seine Kraft entfalten könnte. Die preußische Staatsregierung kam diesem Bedürfnis rasch entgegen und unterbreitete im Jahre 1891 dem Landtage eine Vorlage, in welcher für den Bau eines neuen in gewaltigem Maßstabe projektierten Fischereihafens bei Geestemünde die Summe von 5 700 000 Mark gefordert wurde. Nachdem der Landtag diese Mittel bewilligt hatte, wurde im folgenden Jahre das allen Scharfsinn unserer Wasserbautechniker in vollem Maße in Anspruch nehmende gewaltige Werk in Angriff genommen. Unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen mußte ein großer Teil des gegen 70 Hektar umfassenden Bauterrains erst dem Weserstrom abgerungen werden, Sturmfluten der Jahre 1893 und 1894 zerstörten mehr als einmal in wenigen Stunden einen großen Teil dessen, was Menschen- und Maschinenkraft in Monaten mühsam aufgebaut hatte. Aber das Werk schritt der Vollendung entgegen, und im November vorigen Jahres konnte die unvergleichliche Anlage, der keine zweite, weder auf dem europäischen Kontinent noch in England, an die Seite gestellt werden kann, in glanzvoller Weise dem Verkehr übergeben werden. Nun flutet kraftvolles Leben in den weiten Räumen.

Wer von den Männern, die vor 25 Jahren den ersten tastenden Schritt auf der neuen Bahn gewerblichen Lebens thaten, hätte sich wohl eine solche Entwicklung träumen lassen! Welche Seltenheit bildete der Seefisch als Volksnahrungsmittel noch vor 10 oder 15 Jahren nur 10 Meilen landeinwärts von der Meeresküste! Heute führen tagaus, tagein allein von Geestemünde-Bremerhaven zwei lange, besonders für den Fischversand eingeteilte Eisenbahnextrazüge Tausende von Centnern der schmackhaften Meeresbewohner ins Binnenland. In hartem Ringen haben die wackeren Pioniere der Hochseefischerei sich Schritt für Schritt ihr Absatzgebiet erobert, zuerst Nordwestdeutschland, dann Mittel- und endlich auch Süddeutschland, Teile von Oesterreich und der Schweiz. In Hunderttausenden von deutschen Familien bildet jetzt schon der früher nur als seltene Delikatesse auf den Tisch der Reichbegüterten kommende Seefisch ein beliebtes, billiges und gesundes Nahrungsmittel. Viele unserer Leser wird es darum wohl auch interessieren, durch Wort und Bild einen kleinen Ueberblick darüber zu erhalten, wie der Fisch gefangen wird, und welche Zwischenstationen er noch zu durchlaufen hat, ehe er seiner Bestimmung zugeführt werden kann.

Die Dampfer, welche der Hochseefischerei obliegen, sind außerordentlich fest und seetüchtig aus Stahl gebaute zweimastige Fahrzeuge von etwa 30 m Länge, 6 m Breite und 3 m Tiefgang mit rund 100 Tons (à 1000 kg) Ladefähigkeit. Während die ersten deutschen Fischdampfer noch auf englischen Werften gebaut wurden, hat sich bald unsere deutsche Schiffbauindustrie dem vielversprechenden neuen Erwerbszweige zugewendet und auch auf diesem Gebiete Ausgezeichnetes geleistet. Joh. C. Tecklenborgs und G. Seebecks Werften in Geestemünde, Wenkes Werft in Bremerhaven und der „Bremer Vulkan“ in Vegesack bei Bremen sind die fast ausschließlichen Lieferanten der letzten 50 bis 60 deutschen Fischdampfer gewesen. Ein stattliches Kapital ist dadurch der deutschen Industrie zugeflossen, denn jeder Fischdampfer stellt voll ausgerüstet einen Wert von 100 000 bis 120 000 Mark dar. Seine Besatzung besteht außer dem Kapitän aus 1 Steuermann, 1 bis 2 Maschinisten, 1 Heizer, 1 Koch und 5 bis 6 Matrosen und Schiffsjungen. Nur eiserne, gegen Witterungsunbilden so gut wie unempfindliche Naturen sind geeignet, auf Fischdampfern zu fahren, denn der Dienst auf denselben ist so schwer und gefahrvoll wie auf keinem anderen Seefahrzeug. Die Nordsee heißt nicht umsonst in Schiffahrtskreisen die „Mordsee“, und gar manches Opfer hat sie auch von unseren Hochseefischern schon gefordert. Und bei jedem Wetter müssen die wackeren Gesellen hinaus aus den schützenden Flußmündungen, denn wenn irgendwo, so gilt bei der Hochseefischerei das Wort, daß Zeit Geld bedeutet. Im Sommer ist die Arbeit, wenn auch schwer, so doch erträglich, aber wenn zur Winterszeit oft alles, was vom Schiff über die Wasserlinie reicht, mit einer zolldicken Eiskruste bedeckt ist und der schneidende Nordwind die Sturzwellen über das Schiff hinwegfegt, dann ist es wahrlich kein Kinderspiel, bei dem beständigen Rollen und Stampfen des Schiffes die mächtigen Schleppnetze auszusetzen und nach beendigtem Fangzuge wieder an Bord zu holen.

Die Fangreisen der Fischdampfer dauern, je nach der Jahreszeit und den sonstigen Umständen, 5 bis 14 Tage; jede Reise bedingt an Unkosten durchschnittlich 800 bis 1200 Mark. Jährlich macht jeder Fischdampfer 35 bis 45 Reisen und der Ertrag derselben

Vereister Fischdampfer.
Nach einer Photographie von W. Sander und Sohn in Geestemünde.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_093.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2022)