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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

das Geschirr, in dem die Speisen aufgetragen wurden, bestand in Steingut. Daraus aß die Gelehrtenfamilie mit Blechlöffeln.

Auch in der Kleidung wurde kein Staat gemacht. Der Gelehrte legte keinen Wert darauf – das thun die Gelehrten oft. Melanchthon pflegte nur einen Rock zu besitzen, den er im Winter mit Pelz füttern ließ, aber auch seine Frau mußte die Sachen zusammenhalten, denn während der ersten vier Jahre ihrer Ehe konnte er ihr kein neues Kleid kaufen.

Ein Arbeitstisch, hölzerne Stühle und einfache Büchergestelle bildeten die Ausstattung seines Arbeitszimmers, und erst in späten Lebensjahren vermehrte er dieselbe um ein Sofa, das er sein „Ruhebänklein“ nannte.

Trotz seiner Notdurft war er aber stets bereit, anderen zu helfen. Er entließ keinen Armen ohne eine milde Gabe und teilte selbst sein letztes Brotstück mit dem Bedürftigen. In späterer Zeit, als sein Gehalt auf zweihundert, dreihundert und sogar vierhundert Gulden gestiegen war, besserte sich seine Lebenslage, aber in noch größerem Maße wuchs seine Freigebigkeit. An seiner Tafel sammelte er jetzt bedürftige Studenten um sich. Bei so offenen Händen kam er natürlich oft in die ihm peinliche Verlegenheit, keine Unterstützung geben zu können, weil er selber alles verausgabt hatte. Da pflegte er Ringe, Becher und andere Wertsachen, die ihm von seinen Gönnern und Freunden geschenkt worden waren, zum Goldschmied zu tragen und sie zu verkaufen, um nur Almosen geben zu können. So handelte er bis an sein Lebensende und sein Schwiegersohn Peucer sagte zu den Freunden: „Schenkt ihm nur nichts, er giebt’s doch gleich wieder weg!“

Philipp Melanchthon.
Nach dem Gemälde von Hans Holbein d. J.

Und wie er freigebig gegen die Armen war, so war er auch gastfrei gegen seine Freunde. Er hätte ihnen immer volle Krüge und Schüsseln vorsetzen mögen, obwohl er selbst äußerst mäßig lebte, ja so wenig aß, daß diese seine Enthaltsamkeit den ihm Nächststehenden oft Sorgen bereitete.

Vor allem dachte er aber an die Erfüllung seiner Pflichten als Lehrer. Die Studenten drängten sich in seine Vorlesungen „wie ein überströmendes Wasser“, aber bei dem Mangel an Vorbereitungsschulen, der damals in Deutschland herrschte, hatten die wenigsten die nötige Vorbildung, nur dem Vortrage des Meisters folgen zu können. Da ging Melanchthon über seine Pflicht hinaus, er zog die Schüler an sich heran, nahm sie in sein Haus und gab ihnen den fehlenden Elementarunterricht. Dabei war er bestrebt, in der Jugend die Lust zum Lernen zu wecken, und veranstaltete Aufführungen klassischer Stücke, zu denen er Vorspiele dichtete.

Um diesen Pflichten und Aufgaben zu genügen und das schwierige Werk der Reformation, das er auf seine Schultern geladen, um fördern zu helfen, wußte er dadurch Zeit zu gewinnen, daß er den Arbeitstag vor Sonnenaufgang begann und nach Sonnenuntergang beschloß. Er schlief nur vier bis fünf Stunden und schon gegen zwei Uhr morgens ging er leise, um die Hausgenossen nicht zu wecken, in sein Arbeitszimmer. Und noch freigebiger als mit Geld und Brot schaltete er mit den reichen Schätzen seines Wissens. Niemand, der ihn um Rat und Hilfe bat, ging unbefriedigt davon. Professoren und Magistern verbesserte er die Vorträge, die sie halten sollten, oder machte anderen ihre Schriften reif für den Druck.

Seine Kinder, er hatte zwei Söhne und zwei Töchter, liebte er aufs innigste und war untröstlich, als ihm der kleine Georg im Alter von zwei Jahren durch den Tod entrissen wurde. Gegen sieben Uhr morgens pflegte er im Familienkreise eine kurze Andacht zu halten, dann ging er zur Universität, von wo er gegen Mittag heimkehrte, und lebte nun eine Stunde lang ausschließlich seiner Familie.

Aus diesem regelmäßigen Lebensgang wurde er in späteren Jahren vielfach herausgerissen, da er, um die Sache der Reformation zu verfechten, zu allerlei Versammlungen und Disputen reisen mußte. Auch in diesem Wirkungskreise offenbarte sich die Güte und Milde seines Gemütes; der Streit war ihm im Grunde des Herzens zuwider und er war stets zur Versöhnung geneigt.

So kam die Zeit, wo er des Streites überdrüssig und lebensmüde wurde. Viele seiner besten Freunde, zwei seiner Kinder und seine Frau waren ihm im Tode vorausgegangen, und so rüstete sich auch er zu der großen Reise ins Jenseits. Am 19. April 1560 starb er in seiner Studierstube. Sein Schwiegersohn fragte ihn, ob er noch etwas wünsche. „Nichts als den Himmel, darum fragt mich nicht mehr!“ – gab er zur Antwort. Das waren die letzten Worte Melanchthons. Seine sterbliche Hülle wurde in der Schloßkirche zu Wittenberg gegenüber dem Grabmal Luthers beigesetzt.

„Deutschlands Lehrer“ heißt noch heute Melanchthon und sein Andenken wurde in verschiedenen Städten durch Denkmäler geehrt. Eine neue Ehrung wird ihm bei der vierhundertsten Wiederkehr seines Geburtstages erwiesen.

Das Haus auf dem Markte in Bretten, in dem Melanchthon das Licht der Welt erblickt hatte, wurde im Jahre 1689 von französischen Mordbrennern bis auf die Grundmauern verwüstet. Man hatte es wieder aufgebaut und mit zwei Gedenktafeln mit deutscher und lateinischer Inschrift versehen. Das schlichte Haus soll nun einem würdigeren Bau weichen. An seiner Stelle wird sich fortan ein neues Melanchthonhaus mit einem Melanchthonmuseum und mit einer Gedächtnishalle erheben. Dank der Opferwilligkeit der Stadt Bretten ist der Baugrund gesichert und am 16. Februar soll die Grundsteinlegung zu dem Bau erfolgen. Der Plan zu demselben wurde von Professor Vollmer in Berlin entworfen. Er zeigt an seiner Nordfassade reichen architektonischen Schmuck, während die mit einem Turm abschließende Südfassade und die beiden nahe an Nachbargebäude herankommenden Seiten ziemlich einfach gehalten sind. Die Nordfassade, die eine Höhe von nahezu 30 m erreicht, schließt mit einer sinnreichen und schönen Krönung ab, die von dem Wappenbild Melanchthons, Kreuz mit Schlange, überragt wird. Es ist zu erwarten, daß bei Anlaß der Jubiläumsfeierlichkeiten dem „Verein zur Errichtung eines Melanchthonhauses in Bretten“ weitere Mittel zustoßen werden, daß auf die Grundsteinlegung bald die Vollendung und Einweihung des Baues folgen werde, durch den nicht nur der Reformator, sondern auch der deutsche Schulmann Melanchthon geehrt werden soll.

M. H.


Die deutsche Hochseefischerei.
Von P. Hoeck. Mit Abbildungen S. 85 und S. 93.

Der niedersächsische Volksstamm, welcher die deutsche Nordseeküste bewohnt, ist ein wetterharter und wagemutiger Menschenschlag. Seefahrt und Fischerei bildeten naturgemäß von alters her einen seiner wichtigsten Erwerbszweige und im steten Kampf mit dem trügerischen Meer erprobte und stählte er seine körperlichen und geistigen Kräfte. Bis vor reichlich einem Jahrzehnt war die Schiffahrt, vor allem die transatlantische, die weitaus stolzere und vornehmere Schwester, der gegenüber die Hochseefischerei, wenn sie auch schon vielen Hunderten von Menschen mittelbar und unmittelbar als Erwerbszweig diente, nur ein dürftiges, unscheinbares Aschenbrödel darstellte. Erheblich anders ist das Bild geworden, seitdem der Riese Dampf, durch den ja auch die Schiffahrt erst groß geworden ist, in den Dienst des Fischfanges gezwungen wurde. Es war im Jahre 1884, als einer der Pioniere der deutschen Hochseefischerei, Herr F. Busse-Geestemünde, den ersten deutschen Fischdampfer, die „Sagitta“,d. h. „der Pfeil“, von der Weser aus auf den Fang ausschickte, und der damit abgeschnellte Probepfeil erwies sich als ein sehr guter Treffer. Das überaus günstige Ergebnis des ersten Versuchs spornte unternehmende Geschäftsleute zur Nachahmung an; die Zahl der deutschen Fischdampfer stieg von Jahr zu Jahr in immer schnelleren und größeren Sprüngen, und kaum ein Jahr wird noch vergehen, bis das erste Hundert voll ist.

Die erste Heimstätte hatte die deutsche Hochseefischerei in der Stadt Geestemünde an der Mündung der Geeste in die Unterweser gefunden, doch schon bald traten Hamburg und Altona und vor wenigen Jahren auch die Nachbarstadt Geestemündes, Bremerhaven, als Wettbewerberinnen auf. Während aber sonst die stolzen Handels- und Schiffahrtsemporien an der Elbe allen anderen deutschen Konkurrenten weit vorausgeeilt sind, haben sie auf dem Gebiete der Hochseefischerei den Häfen an der Unterweser bislang den unbestrittenen Vorrang lassen müssen und die Entwicklung der letzten Jahre hat das Gesamtbild stets noch mehr zu gunsten der letzteren verschoben. Gegenwärtig bringen in Geestemünde-Bremerhaven etwas über 75 Fischdampfer ihren Fang an den Markt, in Hamburg-Altona etwas über 20. Das Fischversandgeschäft steht in den Elbhäfen allerdings bisher nicht erheblich hinter dem der Weserhäfen zurück, da die jütländischen Fischereiplätze dem Hamburg-Altonaer Markt bedeutende Mengen von Fischwaren zuführen.

Dem jungen Riesen, welcher am Ufer der Weser emporgewachsen war, wurde bald das Kinderbett zu klein, er verlangte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_092.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)