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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Es ist kalt in diesem Zimmer“, beantwortete sie seinen verdunkelten Blick, in dem der ganze grenzenlose Jammer um sie beide lag.

„Benachrichtigen Sie, bitte, meine Braut, ich sei vorausgegangen in den Marstall, Fräulein May,“ sagte er plötzlich. „Ich habe nämlich augenblicklich die Aufgabe, mich in meinen Beruf möglichst rasch einzuleben.“

Ehe sie sich noch erheben konnte, hatte er sich verbeugt und das Zimmer verlassen. Sie sah ihm nach, wie er über den Platz schritt, und dann blickte sie in der Stube umher, als habe sie dieselbe nie vorher gesehen. Da ertönte von draußen ein gellendes Geschrei des kleinen Mariechen und die Stimme der Mutter. „Aenne, bekümmere dich doch um die Kinder!“

Sie ging hinaus und hob das schluchzende Kind auf den Arm.




Die Oberförsterei, die nur durch einen Baumgarten von dem Hause des Medizinalrats getrennt lag, war eins der stattlichsten Gebäude des Platzes. Die Herzöge von Breitenfels hatten stets der Jagdpassion in hohem Maße gehuldigt. Ehemals, als Breitenfels noch ein selbständiges Land bildete, hatte in diesem Gebäude der Oberforstmeister gewohnt; nun, nachdem schon seit hundert Jahren die beiden Herzogtümer verschmolzen waren, bestand diese hohe Charge nicht mehr in Breitenfels und der Oberförster bewohnte das Gebäude. Die alten Mauern des zweistöckigen Giebelhauses bargen herrschaftliche Räume mit stuckverzierten hohen Plafonds, parkettierten Fußböden und breiten Flügelthüren. Im Flur hingen alte lebensgroße Oelbilder fürstlicher Jäger und unzählige Geweihe, und die schöne breite Treppe schmückte ein kunstvolles schmiedeeisernes Geländer.

An diesem Nachmittag war zu Ehren des erwarteten Besuches über die roten, frisch gescheuerten Fliesen des Hausflurs verschwenderisch Sand gestreut, und ein durchdringender Geruch von Räucherpulver quoll den Eintretenden entgegen. Aenne, die mit der Mutter das Haus ihres Verlobten betrat, fuhr fast zurück vor dieser süßlichen schweren Luft, die sich betäubend um ihren schmerzenden Kopf legte.

Aus der Wohnstube rechts kam der Oberförster ihnen entgegen, hinter ihm drängten die Kinder nach. Der große Mann war sichtlich bewegt und streichelte leise die Hand des jungen Mädchens, die er behutsam in seinen Arm genommen hatte, sie zu küssen wagte er nicht in Gegenwart so vieler. „Kommen Sie herein, Mamachen, legen Sie im Zimmer ab – tritt ein, Aenne,“ bat er einfach.

Fräulein Stübken, die jetzt im schwarzen Kleid und zierlichen Schürzchen auf der Schwelle erschien, zeigte sich sehr dienstbeflissen bei Abnahme der Sachen. Es war schon ein wenig dämmerig in dem großen Gemach, in das der einfache Hausrat gar nicht zu passen schien, aber der Feuerschein des Ofens spielte traulich auf dem altersbraunen Fußboden, der Kaffeetisch war mit blendend weißem Tuch bedeckt und aus der großen weißen Porzellankanne quoll ein würziger Duft entgegen.

„So, Frau Schwiegermama, nun wollen wir zuerst gemütlich Kaffee trinken. - Fräulein Stübken, wo haben Sie Ihre Waffeln? – Kommt, Kinder – wer von euch will auf der andern Seite der neuen Mama sitzen?“

Es meldete sich keines, und so zog er die Aelteste heran. „Hier, Aenne, ich hoffe, sie wird dir bald eine kleine Stütze werden. Sei artig, Agnes, und präsentiere Großmama den Kuchen!“

Man saß dann und genoß den Kaffee. Fräulein Stübken machte die Wirtin und nötigte überflüssig viel. Ganz besonders aufmerksam war sie Aenne gegenüber, was diese absolut nicht zu bemerken schien. Aenne hatte durch die Kinder erfahren, wie die Hausdame ihres Bräutigams über sie dachte, zürnen that sie ihr nicht, denn es war ja die Wahrheit, aber sie ignorierte sie. Wozu auch ihr gegenüber lügen? Es war ja genug, daß sie Heinz belog!

Die Stübken, eine Dame von ungefähr dreißig Jahren, etwas mehr geputzt als sonst nötig und mit höchst moderner Haarfrisur, hatte einen verkniffenen Zug um den Mund, wie er den unglücklichen Geschöpfen, die vom Schicksal von einem Hause in das andere gejagt werden, von denen jede Brotherrschaft fordert, daß sie sich mit „aller Liebe“ ihrer Aufgabe widmen, so oft eigen ist. Aenne, welche seit ihrer Verlobung für die Arme, die sich nun wieder eine andere Stellung suchen mußte, inniges Mitleid gefühlt und erst seit heute mittag über die Charaktereigenschaften dieser Dame sich Gedanken gemacht hatte, faßte sie genauer ins Auge und meinte, daß sie älter und verfallener als je aussähe, und daß sie vielleicht gehofft habe, Günthers Frau zu werden.

Hätte er sie doch genommen! fuhr es ihr plötzlich durch den Sinn, und dann erschrak sie über diesen Gedanken. Was hätte sie dann gethan, wenn Günthers Arme nicht mehr für sie offen gewesen wären? Wie hätte sie dann beweisen können, daß Heinz ihr gleichgültig, ach, so gleichgültig war?

„Ich denke, Fräulein Stübken, Sie zeigen, solange es noch hell ist, den Damen die Wohnung und die Schränke,“ sagte Günther endlich, der seine Braut zuweilen angesprochen hatte, ohne mehr als eine kurze Antwort zu erhalten.

Man erhob sich, Fräulein Stübken hing den Schlüsselkorb an den Arm und schritt voran; den Kindern wurde bedeutet, artig zu sein. Man wanderte durch mehrere Räume, alle, höchst dürftig möbliert, machten einen mehr als unwohnlichen Eindruck. Die „gute Stube“ war geradezu schauerlich, die Möbel aus Birkenholz mit grellgeblumtem Wollstoff überzogen, der Teppich mit kohlkopfgroßen Rosen im Muster; der Kaiser, die Kaiserin, der Herzog und die Herzogin, Bismarck und Moltke blickten als empörend schlechte Oeldruckporträts von den Wänden. In einer Ecke befand sich ein aus Holz geschnitztes schiefes Rauchtischchen, in dessen Rillen und Kerben dicker Staub lag, Die Vorhänge, steif gestärkt und viel zu sehr mit Waschblau gefärbt, und vor dem Spiegel die herkömmliche Sturzuhr mit Glasglocke darüber, vollendeten die Ausstattung.

„Schrecklich!“ dachte Aenne, und die Eltern und Günther hatten allen Ernstes ausgemacht, daß sie keine Aussteuer an Möbeln gebrauche! Erst gestern hatte auch der Vater das gütige Geschick gepriesen, daß Aenne sich so nett und warm in das behagliche Nestlein setzen könne. Zum erstenmal überfiel sie eine herzbeklemmende Angst vor dem Lose, das sie sich erwählt, und drohte sie fast zu ersticken. Wie öde, wie kalt war es hier!

„Ein bißchen ungemütlich hier, Kind,“ flüsterte die Mutter, „macht, weil nicht geheizt ist! Eine Frauenhand kann da mit ein paar Kleinigkeiten viel thun, mit ein paar Blumentöpfchen lassen sich Wunder erzielen.“

Ja freilich, Mama hatte recht, das war es. Wärme fehlte, ein bißchen Sonne und Blumen!

Fräulein Stübken forderte jetzt die Frau Medizinalrätin auf, in die Schrankkammer zu treten, sie habe ein Verzeichnis der Wäschestücke in jedes Fach gelegt.

„Und ich will dir indessen meine Stube zeigen,“ sagte der Oberförster zu Aenne, „Mama holt uns dann ab, wenn sie hier fertig ist.“

Einen Augenblick stockte ihr Fuß, dann ging sie mit. Sie war seit dem Abend im Walde noch nicht wieder mit ihm allein gewesen, sie hatte es vermieden. In diesem Augenblicke fand sie indes keinen passenden Vorwand und es war ja schließlich auch thöricht, danach zu suchen. So ging sie denn neben ihm durch den großen Flur und betrat die Schwelle des Zimmers, das der Wohnstube gerade gegenüber lag. Der letzte falbe Tagesschein erhellte es nur noch notdürftig, und auch hier spielten die Flammen im Ofen. In ihrem Schein lagen mehrere Hunde auf der Diele, die, durch den Eintritt einer fremden Person beunruhigt, sich knurrend aufrichteten. Auch hier eine spartanische Einfachheit, soweit Aenne sehen konnte, ein riesenhafter Schreibsekretär an der Wand, drüben, nahe beim Fenster, davor ein Ohrenstuhl, ein mächtiges Sofa, über dessen Lehnen Fuchsfelle gebreitet waren. Unmassen von Tierbildern in Kupferstich an den Wänden, zwischen ihnen noch Geweihe, ein Gewehrschrank, ein Kleiderschrank und unter der Decke blauer Tabaksrauch.

„Kuscht euch!“ befahl er den Hunden, und dann zog er seine Braut zum Sofa hinüber. „Komm', Aenne, setze dich!“ Er hatte etwas Unbeholfenes in seinem Benehmen, und Aenne fühlte, wie seine Hand zitterte. Mechanisch folgte sie seiner Aufforderung und drückte sich in die äußerste Ecke des mit schwarzem Leder überzogenen Kanapees. Er setzte sich neben sie und nahm wieder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_074.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)