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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

und Tante Emilie war zum Heften kommandiert. In der Küche stand Aenne neben der Mutter, angethan mit einer großen, weißen Küchenschürze, und horchte mit ernsthaftem Gesicht auf die praktischen Lehren für ihren künftigen Hausfrauenberuf.

„Immer erst einen Probekloß kochen – verstehst du, Aenne? Falls er auseinander fällt, kann man die Masse noch fester machen. – Unsinn, Kind, ein richtiger Kloß muß mit der Hand gedreht werden, thu doch nur nicht so zimperlich, was soll denn dein künftiges Dienstmädchen von dir denken?“

Aenne erwiderte kein Wort, sondern folgte den Weisungen der Mutter mit dem nämlichen undurchdringlichen Gesicht, wie sie es schon seit dem Tage ihrer Verlobung zeigte.

„Und heute nachmittag müssen wir hinüber gehen, Aenne, ich bekomme sonst keinen Schimmer von dem, was du an Tischwäsche und Handtüchern brauchst. Er sagt zwar, es ist noch genug da von der ersten Frau, das mag ja auch sein, aber man muß doch selbst sehen. So um Drei herum, habe ich sagen lassen an die Stübken, würden wir kommen. – Ein Glück ist’s doch, Aenne, daß du dich nur gleich so hineinsetzen kannst in die fertige Wirtschaft, denn, wo die Jungens so viel kosten – Vater hätte gradezu Geld borgen müssen für deine Ausstattung!“

Aenne blieb stumm.

„Morgen mittag könnt ihr ja dann noch die letzten paar Brautvisiten machen, hast du übrigens eine Ahnung, wann Günther heute heimkommt?“

„Ich habe ihn nicht gefragt, Mutter.“

„Ach, so was! Ich weiß gar nicht, wie du bist, Aenne! – Aber Kind, wie du ungeschickt den Kochtopf anfaßt! Hast du dich verbrannt? Na, das ging noch ’mal so. Ja, was ich sagen wollte, Aenne, ich habe die Kleinen zu Mittag herüber bitten lassen, sie essen so gern Klöße, und du mußt dich jetzt doch etwas mehr um sie kümmern, finde ich. Die Aelteste ist doch eigentlich recht scheu dir gegenüber. Was mag das nur sein? Manchmal denke ich, das Kind hat so dumme Stiefmuttermärchen gelesen oder erzählen hören, meinst du nicht auch? Aber so – –“

Das Klingeln der Hausthür unterbrach den Redestrom der geschäftigen Frau. „Herrgott, schon wieder Besuch? Aber ich wüßte gar nicht, wer da noch kommen sollte, sie waren ja schon alle hier!“

Sie nickte Aenne Stillschweigen zu und schlich zur angelehnten Küchenthür hinüber, um zu horchen, wer da sei. Eine Männerstimme fragte nach Frau Rätin und dem Fräulein; das junge Dienstmädchen antwortete, daß die Damen zu Hause seien, die Herrschaften möchten nur eintreten in die „gute Stube“, sie wolle es gleich melden.

Aenne stand plötzlich mit sonderbar kühlem, blassem Gesicht da, Frau Rätin kam eilig zurück zu ihrem brodelnden Kessel.

„Der Heinz Kerkow, Aenne! An den habe ich gar nicht mehr gedacht! Geh’ nur immer hinein! Sobald es die Klöße erlauben, komme ich nach.“

Langsam band Aenne die Küchenschürze ab, wusch sich die Hände und streifte die Aermel ihres rotbraunen Wollkleides herunter. Als sie die Küche verließ, wo das Dienstmädchen ganz aufgeregt der Frau Rätin erzählte, daß sich die Braut vom Herrn Lieutenant aber fein gemacht habe, trug sie ihre alte freundliche Miene zur Schau, nur daß sie den Kopf ein bißchen stolz in den Nacken gebogen hatte.

„Er muß glauben, daß ich glücklich bin, daß ich nie an ihn gedacht habe – es gilt, Aenne, es gilt, beiße die Zähne auf einander!“ sagte sie sich. Als sie die Hand auf den Drücker legte, kam sie einen Augenblick ein Grauen an vor dem Wiedersehen und ein Zweifel an ihrer Standhaftigkeit, aber das ging vorüber, sie öffnete rasch und trat ein.

Heinz Kerkow hatte ebenfalls seine ganze Energie aufgeboten, um diesen Besuch endlich auszuführen. Erst hatte er ihm von Tag zu Tag aufgeschoben unter allerhand Vorwänden – es wurde ihm so unsagbar schwer, das Mädchen wiederzusehen, von dem er genau zu wissen meinte, daß es ihn liebte, trotz ihres Schreibens von Glück und Brautjubel; dann hatte er sich gesagt, daß ein Verzögern die Qual nicht mindere, und hatte sich, seinem raschen Temperament entsprechend, entschlossen, sofort hinunter zu gehen. Eigentlich wollte er allein ihr gratulieren, einen Besuch machen wie in alten Tagen, aber da war es Toni plötzlich eingefallen, daß sie der kleinen May auch gratulieren müsse und daß sie außer dem etwas mit dem Medizinalrat zu besprechen habe, und so waren sie beide gekommen.

Aenne erblickte beim Eintreten die Hofdame vor einem der Photographiealbums, die auf der Plüschdecke des Sofatischs lagen; Heinz stand am Fenster, nach dem Schlosse hinaufstarrend.

„Wie liebenswürdig, gnädiges Fräulein, Herr von Kerkow“, sagte sie unbefangen und lächelte, wobei ein rosiger Hauch über ihr Gesicht flog. Und indem sie neben Toni auf dem Sofa Platz nahm und Heinz Kerkow den Sessel neben sich anwies, wandte sie das Gespräch auf den Verlust, den der junge Offizier durch den Tod seiner Mutter erlitten. „Wie leid thut es mir, Herr von Kerkow – solch ein schwerer Schlag gerad’ in die glücklichste Zeit des Lebens! Sie müssen nämlich wissen, Fräulein von Ribbeneck, daß Ihr Herr Bräutigam und ich uns schon seit den Kinderjahren kennen, daß ich ein bißchen eingeweiht bin in seine Familiengeschichte und daher ermessen kann, was dieser Verlust für ihn bedeutet. Und Ihre Schwestern, Herr von Kerkow? Was wird denn nun aus Fräulein Hedwig? Sie kann doch nicht allein bleiben, sie ist noch viel zu jung dazu.“

„Sie sind sehr freundlich,“ antwortete er mit einer Stimme, die fast heiser klang. „Meine älteste Schwester ist seit kurzem schwer erkrankt, unheilbar, und Hedwig ist allein geblieben, bis auf weiteres.“

„Ganz allein?“ rief Aenne, „aber das ist ja traurig!“

„Ehrlich gestanden“, mischte sich Toni ein, „das kann ich nicht finden. Tausende von Mädchen leben in noch schwereren Verhältnissen allein.“

„Gewiß!“ gab er zu, „sie stirbt nicht daran!“ Aber es geschah mit einem so müden Ton, daß Aenne erschrak. Sie hatte bis jetzt nicht gewagt, ihn anzusehen, nun that sie es. Er hielt den Helm auf dem Knie und zwischen seinen Brauen stand eine Falte, die Aenne nicht kannte in diesem frischen, sonst so lachenden Antlitz. Er sah den Blick und raffte sich auf, weshalb sollte denn dieses ruhige freundliche Mädchen, das wie das verkörpertes Glück aussah, erfahren, wie es um ihn stand? Ihrem Schreiben hatte er nicht geglaubt, ihrem Wesen mußte er glauben, sie war wie getaucht in lächelndes Glück und rosige Glut.

„Haben Sie schon gehört, Fräulein May, daß ich mich bei Ihrer Durchlaucht als Stütze der Hausfrau verdingt habe?“ fragte er nun, sein Unbehagen über die künftige Stellung mit leichtem Spott verbergend.

Sie sah ihn verständnislos an, Toni zog ein Gesicht, sie fand den Witz absolut nicht nach ihrem Geschmack.

„Sie sehen in mir,“ fuhr er sich verbeugend fort, „den künftigen Hofmarschall Ihrer Durchlaucht der Frau Herzogin von Breitenfels. Wissen Sie, was das heißt? Das heißt Hand-, Küchen-, Kellerverwalter sein, Gesellschaften arrangieren, auf die unsterblichen Schimmel ein Auge haben sowie auf sämtliches Personal des Haushaltes, die Fleischer-, Bäcker- und sonstigen Rechnungen kontrollieren, Konzerte veranstalten, hohen Gästen entsprechend einen längeren Küchenzettel entwerfen, kurz – ein Mädchen für alles!“

Aenne hatte ihm einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen. Einen Augenblick, einen einzigen, hatte sich ihr Gesicht verfärbt – hier wollte er bleiben? Das hieße ja für sie ein immerwährender Schmerz, ewige Unruhe, unausgesetzte Qual! – „Wirklich?“ fragte sie.

„Gewiß!“ bestätigte Toni, „finden Sie es nicht reizend von Durchlaucht? Die Herzogin will mich nicht von sich lassen, rührend ist sie! Dort droben, wo Heinz jetzt logiert, wird unsere Wohnung hergerichtet. – Nehmen Sie sich in acht, Fräulein May, wir können der künftigen Frau Oberförsterin mit dem Feldstecher die ganze Wohnung ausspähen, fügte sie scherzend hinzu.

„O, das freut mich, daß Sie hier bleiben,“ log Aenne; weiter kam sie nicht – es war so namenlos schmachvoll, dieses Komödienspiel! Zum Glück trudelte jetzt die freudestrahlende Frau Rätin ins Zimmer. Sie gehörte zu den kleinbürgerlichen Frauen, die überschwengliche Höflichkeitsphrasen für solche Gelegenheiten aufgespeichert haben, und so hörte man in den nächsten fünf Minuten nichts weiter als die Schlagwörter. Ehre – Glück – Freundlichkeit – zu gütig – reizend etc.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_070.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)