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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Dritte gar keines. Gleichwohl trugen sie ihre Armut mit Grazie und Heiterkeit. Ihre Gütergemeinschaft bezog sich auf Hüte, Stiefel, Krawatten und Röcke. Sie nächtigten zuweilen in derselben Stube, wobei sich besonders Schwind durch seine stoische Bedürfnislosigkeit auszeichnete, denn er legte sich, bloß in eine Decke gehüllt, auf den Boden; sein gutes Gewissen schob er sich als Ruhekissen unter den Kopf. Nach einem solchen gemeinschaftlichen Nachtlager machte Schubert einmal Morgentoilette und lachte unbändig. „Warum lachst du?“ „Nun, weil meine Socken so viele Löcher haben, daß ich nicht weiß, in welches ich eigentlich hineinfahren soll!“

Daß Not erfinderisch macht, bewiesen sich die drei frohlebigen Freunde oft genug. Als sie einen Pfeifenkopf brauchten, schnitzten sie ihn aus einem Brillenfutteral zurecht, stopften ihn mit Tabak und der Rauchgenuß begann.

Das Schubert-Denkmal im Stadtpark zu Wien.

Wie rasch und mühelos Schubert komponieren konnte, hat er oft bewiesen. Eines Tages fand er bei einem Freunde einen Band Gedichte liegen. Es waren die von Wilhelm Müller, welche den Liederkranz „Die schöne Müllerin“ enthielten. Er nahm das Buch mit nach Haus und am nächsten Morgen waren die ersten Müllerlieder fertig komponiert. Goethes Ballade „Der Erlkönig“ hat er nur einige mal durchgelesen, und dann setzte er sie in Musik in so kurzer Zeit, als man braucht, um die Noten aufs Papier zu werfen. Zu den lieblichsten Eingebungen Schuberts gehört das „Morgenständchen“ zu Worten Shakespeares. Von diesem wird erzählt, daß es als Improvisation in dem Garten des Währinger Wirtshauses „Zum Biersack“ unter jener Kastanie entstanden sei, die unser Bild auf Seite 66 darstellt. Robert Schumann meinte von Schubert, er hätte allgemach die ganze poetische Litteratur in Töne umgesetzt – „wo er hinfühlte, quoll Musik hervor,“ Aeschylus und Klopstock, so spröde zur Komposition, gaben nach unter seinen Händen. Schubert schuf in der That so viel, daß er mitunter seine eigenen Musenkinder nach kurzer Zeit nicht mehr wiedererkannte; so hörte er sein eigenes Lied, welches von einem Freunde in eine andere Tonart übertragen wurde, in einer Gesellschaft an und rief erfreut aus. „Schaut’s, das Lied is nit uneb’n, von wem is’ denn das?“

Verwöhnt wurde der bescheidene Tonpoet durch gesellschaftliche Anerkennung nicht, oft, wenn seine Lieder von einem beliebten Sänger vorgetragen wurden, fand dieser Beifall, während der am Klavier sitzende Komponist gänzlich unbeachtet blieb. Dafür wurde Schubert als Walzerspieler sehr geschätzt; auf Hausbällen improvisierte er oft stundenlang entzückende Tanzweisen. Improvisationen, die ihm gefielen, spielte er wiederholt, um sie dem Gedächtnis einzuprägen und dann zu Papier zu bringen.

Zu den Beschützern Schuberts gehörte auch Graf Johann Esterhazy, welcher ihn als Musiklehrer seiner Tochter Karoline nach Zelesz in Ungarn berief und ihm zwei Gulden für die Unterrichtsstunde bezahlte. Franz verliebte sich in seine schöne Schülerin, die sich jedoch zur Gegenliebe für den unansehnlichen Komponisten mit dem unschönen Mund und der Stumpfnase nicht entschließen konnte. Als ihm einmal Komtesse Karoline scherzend vorwarf, daß er ihr noch kein Musikstück zugeeignet habe, erklärte der verliebte Komponist. „Wozu denn? Ihnen ist ja ohnehin – alles gewidmet.“ Ein originelles Liebesgeständnis! Sechzehn Jahre nach Schuberts Tode vermählte sich Gräfin Karoline mit dem Major Grafen Folliot von Crenneville. Jetzt genießt sie die Auszeichnung, an der Seite eines Unsterblichen immer wieder genannt zu werden. Der Schönheit des Fräuleins Karoline ist es zu danken, daß Schubert einige seiner innigsten Lieder im Hause ihres Vaters komponierte. Doch das liebenswürdige Mädchen war dort nicht allein seine Muse, auch die Köchin des Grafen Esterhazy war es, freilich in anderem Sinne, indem sie am Küchenherde ungarische und slavische Volksweisen sang. Das von ihr Gesungene kam als musikalischer Grundstoff im „Divertissement a la Hongroise“ (Op. 54) zur Geltung. Dieser sangeslustigen Kennerin von Volksweisen hat der Komponist noch manches Thema zu Klavierstücken, ja selbst zu symphonischen Sätzen zu verdanken gehabt.

Schubert hat, wie ein jedes künstlerische Genie, mit dem größten Eifer gelernt und sich in jeder Art bemüht, die Formen der Tonkunst genau zu beherrschen.

Schon als Knabe besaß er einen solchen Lerneifer, daß er bald mehr wußte als seine Lehrer, die dann bescheiden erklärten, „Franzi lerne alles vom lieben Gott.“ Dies erinnert an jene naive musikgeschichtliche Versicherung, daß die erste Sängerin Eva, der erste Gesangsprofessor unser Herrgott und das erste Konservatorium für Musik das Paradies gewesen sei. Schubert horchte besonders auf die Tonwerke von Haydn, Mozart und Beethoven hin und erbaute sich an denselben. In einem Zeitraume von siebzehn Jahren – Schubert starb am 19. November 1828 – schrieb er eine Reihe von Opern und Operetten, acht Symphonien, gegen sechshundert Lieder, ferner Messen, Chöre aller Art, Sonaten und Quartette,Trios und Duos und eine große Menge von Klavierwerken. Auch diese Fruchtbarkeit ist ein Wahrzeichen der Genialität. Schuberts Klavierwerke gehören zum ehernen Bestand einer jeden wohlangelegten musikalischen Hausbibliothek. Wer kennt nicht die feinen Eingebungen in den Schubertschen Impromptus – wen hat das vierte derselben in F-moll (3/8 Takt) durch seinen rhythmischen und melodischen Reiz nicht bestrickt? Daß Schubert ein Krösus an Tongedanken war, erkennt man auch in seinen Phantasien, Rondos, Scherzos, in seinem Allegro patetico, in seinen Adagios und Variationen. Wo man in den Tonwerken Schuberts hinblickt, da schimmert Gold.

Vierzig Jahre nach dem Tode Schuberts wurde im Wiener Stadtpark das schöne Denkmal enthüllt, das seine Gestalt sitzend, nach dem Modell von Kundtmann, in carrarischem Marmor darstellt. Zur Feier der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstags hat die Stadt Wien sich zur Ehrensache gemacht, eine Franz Schubert-Ausstellung zu veranstalten, welche gegen 2000 Gegenstände, die auf Schubert und seine Zeit Bezug haben, umfaßt.

Gedenktage, wie der am 31. Januar 1897 zu Ehren Schuberts, sollten aber in Zukunft auch Sühnfeste werden. Es giebt auch heute glänzend veranlagte Komponisten, denen im Leben kein Stern leuchtet. Würde sich’s nicht empfehlen den Ertrag von Festkonzerten, welche an solchen Gedenktagen veranstaltet werden, hochstrebenden und Tüchtiges leistenden Jüngern der Tonkunst zuzuwenden, welche im Leben mit ähnlichen Bedrängnissen kämpfen müssen wie Franz Schubert?

A. Svoboda.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_067.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)