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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Vorläufig ist der Ski nur noch ein Sportmittel, aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Auch die Radfahrerei begann als Sport, warum sollte nicht auch sie sich aus dem Sportmittel ebenfalls zu einem Verkehrsmittel entwickeln. Ein „Genußmittel“ ist er jedenfalls jetzt schon, und es ist ein prachtvolles Vergnügen, auf den unförmlichen Schneeschuhen dahin zu fliegen. Freilich, Schnee muß es geben, sonst fühlt sich der Schneeschuhmensch wie der Fisch auf dem Trocknen, er ist furchtbar unbeholfen und förmlich wehrlos, aber gebt ihm sein Element, und er schießt dahin wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil! Die Schneeschuhe sind zu uns aus Norwegen gekommen, wo sich die Bauern damit nicht nur eine Unterhaltung, sondern auch für ihr Land und für ihren Winter ein unentbehrliches Kommunikationsmittel geschaffen haben. Bei der Wahl der Schneeschuhe kommt es sehr auf die richtige Länge derselben an. Als einfache Norm bei der Auswahl gilt: so hoch einer mit gestreckt erhobenem Arm und gestreckten Fingern reichen kann, so lang hat der Schneeschuh zu sein, der ihm passen soll.

Schneeschuhlaufen.

Am vergnüglichsten ist auch beim Skilauf die Thalfahrt, und die Sprünge, die thalwärts gemacht werden, haben schon eine ganz erstaunliche Spannweite gewonnen. Man erzählt von norwegischen Springern, daß sie bis zu dreißig Metern weit gesprungen seien von einer Höhe herunter, die etwa der eines dreistockhohen Hauses entsprechen würde. Wir halten das nicht für „Ski-Latein“, der kolossale Schuß, die günstigen Terrainverhältnisse und die weiche Schneedecke lassen auch diese Angaben als vollkommen glaubwürdig erscheinen, zumal auch schon auf deutschem Boden Leistungen vollbracht worden sind, die nicht allzuweit zurückstehen hinter den erwähnten.

Alle diese Unterhaltungen sollte man der Jugend nicht wehren, sie ihr vielmehr nach Thunlichkeit leicht zugänglich machen! Dabei ist es ja beinahe überflüssig, zu sagen, daß das Uebermaß schadet. Das ist selbstverständlich, und es schadet überall. Die Schule verlangt heutzutage viel von unserer Jugend, und da muß durch Spiele im Freien auch dem Körper sein Recht werden. Was ein rechter Junge ist, hat seine Freude an der Bethätigung seiner Körperkraft, und kommt er dann nach Hause vom Eise oder von sonst einem Uebungsplatz, dann hat er etwas sehr Gutes erreicht, er ist müde wie ein Hund, hungrig wie ein Wolf und er schläft wie ein Gott. Und das alles ist ihm sehr gesund, schon deshalb, weil es ihn von anderen minder nützlichen Gedanken abbringt. Lassen wir ihm also getrost auch die Begeisterung für seine Spiele und Leibesübungen im Freien!

Fragt einen Schneeschuhläufer, welches der schönste Sport ist! Er wird lachen. Wie kann man da noch fragen?! Man frage sie alle, die Anhänger von Unterhaltungen in Eis und Schnee, und dann lese man sich Antwort ab von ihren leuchtenden Augen! –


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Die Hansebrüder.
Roman von Ernst Müllenbach (Ernst Lenbach).

(3. Fortsetzung.)

7.

Gretel saß in ihrem Bettchen und spielte ungeschickt mit dem bunten Wollschäfchen, das ihr der kleine Karl von Seedorf, des Herrn Hauptmanns achtjähriger Sohn, gestern mitgebracht hatte. Sie freute sich, wie die weichen farbigen Fäden in dem blassen Frühlingssonnenschein glitzerten. Daß vor drei Tagen die reichste Sonne der Liebe, die uns armen Menschen auf dieser Erde leuchtet, für sie erloschen war, davon verstand sie noch nichts. Nur zuweilen mischte sich ein verlangendes Wort in ihr kindisches Geplauder – „Mama!“, und sie sah mit großen blauen Augen fragend auf die beiden schwarzgekleideten Frauen, die vor ihrem Bettchen saßen. Es war ein Erinnern, ein flüchtiges Empfinden in ihrer jungen Seele, als ob es doch nicht in Ordnung sei, daß Luise sie nicht mehr wie früher hinüber brachte zu der schönen weißen Mama, die so still in ihrem weißen Bette lag, die ihr so weich über die Löckchen streichelte und so sanft und leise zu ihr sprach. Aber dann ließ die gute Luise das bunte Schäfchen ein paarmal auf der Decke springen, und die Erinnerung verflog wieder vor dem neuen, unerhört reizvollen Schauspiel. Und so spielte sie sich in den Schlaf.

Das Mädchen stand auf und ging mit leisen Schritten ab und zu, Unwesentliches besorgend, um nur nicht immer so unthätig sitzen zu müssen neben der seltsamen greisen Frau, die ihren Rosenkranz zwischen den Fingern rinnen ließ und dazu aus großen, thränenlosen Augen in die Ferne starrte. „Man sollte meinen, sie wäre schon über allen Schmerz hinaus,“ dachte das Mädchen. Und Frau Margarete Klämmerlein nickte, als hätte sie einen unausgesprochenen Gedanken erraten. Ihr Schmerz war nicht wie der der andere, denn er war ihr ja nichts Neues mehr. Sie hatte das alles schon einmal erlebt, o, nicht einmal! viel hundert. und tausendmal, in schlaflosen Nächten und am achten Tage, wenn sie längs ihrer Gartenmauer wandelte und die bunten Kressenblüten zu zählen schien Da hatte sie am Sterbelager ihrer einzigen Tochter gesessen, sie hatte ihr zum letztenmal das Kindchen gereicht und ihr letztes Atmen belauscht, bis es ganz still stand. Den herbsten, heiligsten Schmerzensdienst, den ein Mutterherz vollbringen mag, hatte sie so viel Jahre lang alltäglich im Geiste neu verrichtet, weil sie sich ihm das eine Mal, wo sie ihn wirklich erfüllen sollte, versagt hatte. Nun war er gleichsam zum zweitenmal an sie herangetreten, als sie vor drei Wochen von der Krankheit ihrer Enkelin erfuhr und sie beim ersten Wiedersehen als unheilbar erkannte, und diesmal hatte sie dem Dienste nicht gefehlt. Sie war ein ungelehrtes Weib und verstand es nicht, ihre Empfindungen verstandesmäßig zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_061.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)