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daß sie selber einen Pfennig dafür eingezahlt hätte, und wenn sie vorher arbeitsunfähig wurde, schon früher. Aber sie ging hin und verheiratete sich, und noch dazu mit einem wildfremden Menschen, den sie gar nicht kannte. Ich will gewiß das beste von dem Herrn annehmen, aber ich finde, wenn man sich so nach ein paar Wochen leeren Vergnügens heiratet, ohne daß man einander im Ernste des Lebens beobachtet und auf den moralischen Wert geprüft hat – das ist geradezu unverantwortlich! Nicht wahr, das finden Sie doch auch?“

„O – – o ja. Natürlich,“ antwortete der Doktor Hans Mohr und klappte das Photographienblatt um. Es war ihm unbehaglich zu Mute, aber seine Schnurrbartenden reckten sich so männlich kühn in die Lüfte wie in seinen ehrlichen Tagen, und Fräulein Beate fand ihn gerade in diesem Augenblick doch recht vorstellbar. Jene ältliche Lehrerin aber, welche Doktor Hans Mohr bei Emiliens Hochzeit geführt hatte, war nicht mehr in der Anstalt. Ein freundliches Geschick hatte sie bei den Kindern einer früheren Schülerin auf einem thüringischen Schlosse ein Pöstchen mit lebenslänglicher Pension finden lassen, ehe sie für das „Lehrerinnenheim“ reif wurde.

Am letzten Tage seines Besuches machte Doktor Mohr noch die schätzbare Bekanntschaft eines Herrn, der die Tochter einer befreundeten Familie zur Anstalt zurückgeleitete. Es war der Chefredakteur jener großen Zeitung, für welche Mohr bereits einige populärwissenschaftliche Aufsätze und Kritiken geliefert hatte. Der Journalist freute sich, den begabten jungen Mitarbeiter auch persönlich kennenzulernen, und es traf sich glücklich, daß sie bis zur Universitätsstadt denselben Zug benutzten. Er war ein sehr angenehmer Gesellschafter von gesprächigem Wesen, und die Einblicke in das riesige Getriebe eines modernen großen Tageblattes, die er in gemütlichem Plauderton eröffnete, waren für Hans Mohr so überaus anziehend, daß er dem Fremden mit wahrem Behagen auch während dessen zweistündigem Aufenthalt auf dem Bahnhof der Musenstadt Gesellschaft leistete. Ganz beiläufig erkundigte er sich auch nach den Verhältnissen von Bardolfs Zeitung. „Ich interessiere mich dafür, weil ein Bekannter von mir, ein junger Philologe, dort vor einem Jahre etwa als Redakteur eingetreten ist,“ fügte er entschuldigend bei.

Der vornehme Journalist zog die Stirn hoch und lächelte ein wenig mitleidig. „Diese kleinen Ortszeitungen haben heutzutage einen schlimmen Stand,“ sagte er. „Sie sind ja nötig, und uns stören sie nicht, aber wir nehmen ihnen ein wenig die Luft, auch ohne daß wir es wollen. Uebrigens bedauere ich Ihren Bekannten aufrichtig, denn die Verhältnisse an jenem Blatte sind, wie ich glaube, besonders unerquicklich. Anderswo giebt es immer noch eine Anzahl von alten Lokalblättern im Besitze alter, bürgerlich und auch finanziell zum Teil sehr hochstehender Buchdruckereien, die ihre Zeitung sozusagen mehr als Familienerbstück denn als Mittel zum Zweck betrachten, bei diesen finden dann die Redakteure immerhin noch eine gewisse Möglichkeit, nach Maßgabe der Mittel geistig frei zu arbeiten – und vor allem auch eine anständige Remuneration und Behandlung. Ich erinnere mich sogar einiger Fälle dieser Art, wo der Herr Redakteur schließlich zum Schwiegersohn und Teilhaber aufrückte. Und das wäre dann freilich das beste! Denn das kann man ganz allgemein sagen: Im großen Betrieb mag man auch als Angestellter glücklich sein können, an kleinen ist man auf die Dauer nur dann etwas, wenn man mit zur Firma gehört.“ –

Hans Mohr merkte sich auch diesen Ausspruch. –

Zu Ostern des nächsten Jahres erschien sein Buch, mit einer Widmung an einen kleinen regierenden Fürsten und dem Vermerk auf dem Umschlag: „Der Reinertrag ist für den Denkmalfonds bestimmt.“ Dieser Zusatz wies auf ein weiteres Unternehmen hin, welches gleichfalls von Hans Mohr ausgegangen, ihm selbst aber von Fräulein Beate eingegeben war. „Finden Sie es nicht reizend,“ hatte sie ihn gefragt, „daß mein lieber Großvater im nächsten Jahre gerade hundert Jahr alt geworden wäre?“ Hans Mohr verstand sie ganz nach Wunsch. Einige Wochen vor Erscheinen seines Buches hielt er einen Vortrag im Städtchen, und sogleich nach diesem Vortrag bildete sich ein Ausschuß von Honoratioren, um das weitere zur Errichtung eines Denkmals für den „größten Sohn unserer Stadt“ in die Wege zu leiten. Jener kleine regierende Fürst, der als Knabe ein Jahr lang den Unterricht des berühmten Mannes genossen hatte, übernahm das Protektorat, und Doktor Hans Mohr wurde Mitglied des Ausschusses.

Sein Buch, auf dessen klingenden Ertrag er so edelmütig verzichtet hatte, brachte ihm überhaupt die aufgewandte Mühe doch alsbald mit Zinsen ein. Man wurde höheren Ortes auf ihn aufmerksam, sein Rektor verfehlte nicht, über ihn in ersichtlich gewünschtem günstigen Sinne beim Kuratorium zu berichten, was eine sehr angenehme Folge für die Besoldungsverhältnisse des jungen Mannes hatte. Eine ganze Reihe Zeitungen feierte ihn als Retter eines lange irrtümlich für reaktionär gehaltenen verdienstvollen Vorkämpfers der Geistesfreiheit und der modernen Volksbildung, und die Blätter der gegnerischen Partei thaten ihm den noch größeren Gefallen, sein Buch herunterzureißen.

Um dieselbe Zeit, aber ohne im mindesten dieselbe Beachtung zu finden, habilitierte sich der Doktor Hans Ritter als Privatdocent der Philosophie.


6.

Der Frühling und Frühsommer war vergangen, mit großer Hitze und Schwüle, auf die ein ungewöhnlich kühler regnerischer August folgte. Die vornehmen Häupter der Universität, die unterschiedlichen Geheimen Regierungs-, Justiz- und Medizinalräte waren mit ihren Familien in die Ferien gereist, um sich von Vorlesungen und Konsultationen zu erholen; und der Privatdocent Doktor Hans Ritter saß im Studierzimmer seines Chefs, des Oberbibliothekars und unbesoldeten Ehrenprofessors der Philologie, Doktor Isaak Bernstein, um von den Erfahrungen und Enttäuschungen seines ersten Semesters zu berichten.

Erstaunlich viel Bücher gab es in diesem Raume. Sie lagen auf Stühlen und Tischen, sie lagen sogar neben den Stühlen und Tischen auf dem Fußboden und reihten sich in deckenhohen Regalen ringsum längs den Wänden. Wo noch über Sofa und Schreibtisch ein Stück Wand frei von Büchern blieb, war es statt mit Bildern mit gestickten und gemalten Sprüchen in hebräischer Schrift behangen und inwendig hinter der Thür hingen zierliche, altersgebräunte Holztäfelchen mit gleicher Schrift. Denn der berühmte Philologe war Jude, von einer Strenggläubigkeit, die hier zu Lande seinen aufgeklärteren Stammesgenossen in Wissenschaft und Finanz schon fast sagenhaft erschien. Lange bevor er sich den Ruf des bewährtesten Bücherkenners und zugleich gelehrtesten Erforschers griechischer Philosophie errungen hatte, war er bereits der Stern einer rabbinatischen Hochschule weit im Osten gewesen, und aus dieser Vergangenheit hatte er sich unter anderem auch den eigenartig musikalischen Vortrag herübergerettet, eine Art psalmodirender ewiger Melodie, die sich in einem regelmäßigen Wechsel von sanftem Andante und kurzen, aufmunternden Allegri bewegte. Das Wesen des Mannes hatte schon längst Hans Ritters ganz besondere Sympathie gewonnen.

Auf dem runden Tisch vor dem Sofa stand eine Flasche süßen Weines mit zwei kleinen Krystallgläsern, und daneben ein Teller mit Rosinen, von denen der Professor Isaak Bernstein während des Gesprächs zuweilen eine naschte, meist dann, wenn er irgend eine akademische Person oder Einrichtung mit einer gewissen epigrammatischen Schärfe gekennzeichnet hatte. Es war gleichsam eine bescheiden lobende Selbstkritik.

„Nun also, Sie sind nicht unbefriedigt,“ sagte oder sang der Professor Isaak Bernstein, „und warum sollten Sie unzufrieden sein? Sie haben es gewollt, und Sie haben es nun. Ich hab’ Ihnen früher, wenn Sie davon sprachen, nicht abgeraten – ich hab’ Ihnen auch nicht zugeraten. Ich hab’ Ihnen gesagt, daß Sie hinaufsteigen wollten auf einen steilen Berg, und daß Sie hinaufsteigen wollten von der Seite, wo der Wind der Zeit am wenigsten kühlt, wo es heiß ist und einsam, denn was soll die Philosophie machen in dieser Zeit? Es ist keine Zeit für die Philosophie, diese Zeit macht alles mit Dampf, und mit Dampf macht man keine Philosophie. Nun, Gott, sie ist ja noch da, die Leute brauchen sie ein wenig fürs Examen, also hören sie ein Kolleg bei dem ordentlichen Professor, der eben fürs Jahr in der Examenskommission sitzt, – und wenn sie’s nicht hören, belegen sie’s doch, ’s ist ein barer Gewinn für den Mann, und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_048.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)