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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Wünschen solcher Naturen entgegen, Entsagung, Selbstbeherrschung, Unterordnung fordernd, so verfällt das Kind in schwer bezähmbaren Jähzorn. Solche Kinder sind eine große Last und eine Qual für Schule und Haus. Sie fordern einen großen Aufwand an Nachsicht und Aussicht, an Geduld und Wohlwollen, an Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung seitens des Erziehers.

In Schulen und sonstigen Erziehungsanstalten sind sie geradezu eine ständige Gefahr für Mitschüler und Genossen. Für sie muß noch in weit umfassenderer Weise, als das jetzt bereits geschieht, gesorgt werden, denn der Staat und die Familie können an solchen Erscheinungen nicht achtlos vorübergehen.

Ist die Entartung zu weit fortgeschritten, dann kann sich die Notwendigkeit herausstellen, ein solches Kind vom regelmäßigen Unterricht in der Volksschule auszuschließen und es besonderen Lehranstalten für derartige krankhaft veranlagte oder verwahrloste Kinder zu übergeben.

In vielen, sehr vielen Fällen aber können diese Schmerzenkinder durch ein unermüdliches hingebendes Zusammenwirken von Schule und Haus vom Untergang gerettet werden. Darum ist eine offene Aussprache zwischen Eltern und Lehrern bei solchen Anlässen dringend erwünscht – eine Aussprache, die nicht nur über die Fortschritte der Kinder in den Schulfächern, sondern auch über deren sittliche Eigenschaften sich erstrecken muß. Niemals sollte man aber vergessen, den Arzt als Dritten im Bunde zu diesem Rettungswerke heranzuziehen, denn oft sind körperliche Leiden Ursachen der seelischen Mängel, und mit der Gesundung des Leibes pflegt dann auch der Geist aufzublühen.

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Spiele in Eis und Schnee.
Von Balduin Groller. Mit Bildern von Fritz Bergen.
I.

Das Eisschießen.

„Preisend mit viel schönen Reden“ weiß jeder seine besondere Liebhaberei ins hellste Licht zu setzen. Das begreift sich, schon der Begriff der Liebhaberei erklärt es zur Genüge. Was nun aber die Liebhabereien der deutschen Jugend, und man kann fast schon sagen, des deutschen Volkes auf dem Gebiete der Leibesübungen betrifft, so ist in dem letzten Vierteljahrhundert, also seit dem großen Kriege, unleugbar ein entschieden frischerer Zug in sie gekommen. Und darüber hat man sich wahrhaftig nicht zu beklagen. Das Volk der Denker ist, Gott sei Dank, nicht mehr auch ein Volk von Stubenhockern. Die Zeiten haben aufgehört, wo auf allen Gebieten der Betätigung körperlicher Kraft, Geschicklichkeit und Ausdauer, von der Turnkunst abgesehen, in welcher wir Deutschen schon längst alle anderen Völker in Schatten stellten, die englischen und französischen. Leistungen als schier unerreichbare Vorbilder angestaunt wurden. Die deutsche Jugend hat sich aufgerafft und den Kampf auf der ganzen Linie aufgenommen, der vormalige große Unterschied zu ihren Ungunsten ist aufgehoben oder doch nahezu ganz aufgehoben, und es ist keine Frage, daß bei dem vorhandenen Menschenmaterial und bei der bekannten Gründlichkeit, mit der sich der Deutsche in eine Sache zu verbeißen liebt, deren er sich einmal annimmt, dem deutschen Volke über kurz oder lang auch auf diesem Felde eine führende Rolle zufallen wird. Jawohl, dem deutschen Volke und nicht nur der deutschen Jugend! Denn die Jugend, die edelste Blüte des Volkes, bleibt nicht ewig die Jugend; sie geht allmählich ins Bürgertum über, das aber durch sie neue, kraftfrohe Elemente und belebende Anregungen von schulbildender Kraft gewinnt. Denn wer einmal vom Quell der vorerwähnten „Liebhabereien“ getrunken hat, der läßt nicht mehr von ihnen. er bleibt ihnen treu, übt sie weiter und gedenkt ihrer auch im hohen Alter, wie das graubemooste Haupt der seligen Burschenzeit gedenkt – mit leuchtenden Augen.

Der Umfang, den die deutsche Vorliebe für körperliche Uebungen gewonnen, ist jetzt schon ganz gewaltig. Dabei wollen wir von den Turnern, die in den deutschen Gauen schon nicht mehr nach Hunderttausenden, sondern nach Millionen zu zählen sind, hier gar nicht reden. Ein Verein von Bergsteigern hat 40 000 Mitglieder, und in derselben Anzahl läßt er die Vereinszeitschrift erscheinen, das Amtsblatt des deutschen Radfahrerbundes erscheint in einer Auflage von 30 000 Exemplaren, und noch dazu im Sommer täglich. Die Schwimmer, die Eisläufer, die Fechter, die Athleten, sie haben alle ihre Zeitungen, die sämtlich das Evangelium ihrer besonderen Liebhaberei mit feurigen Zungen verkünden und ihr immer neue Anhänger gewinnen. Das gedruckte Wort wäre vielleicht dazu nicht einmal nötig, denn jeder Bergsteiger, Schwimmer, Eisläufer, Radfahrer etc. ist selbst ein begeisterter Apostel seiner Liebhaberei.

Man fühlt sich da versucht, einen Augenblick innezuhalten und objektiv und in aller Ruhe zu untersuchen, welche der Leibesübungen denn nun wirklich die schönste sei. Die Sache ist schwierig, und ich glaube nicht, daß man dabei zu einem abschließenden Ergebnisse kommen könnte. Jeder wird seiner Liebhaberei die Palme reichen, wird finden, daß sie die unterhaltendste, die nützlichste, für die Gesundheit die zuträglichste, mit einem Worte die schönste sei. Man wird bei dem unfruchtbaren Streit über Geschmackssachen angelangt sein, bei einem Streit, in dem schließlich die persönliche Neigung das letzte entscheidende Wort hat.

Das Eisbosseln.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_044.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)