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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

er in früheren Zeiten ihr eher ausgewichen war als sie zu suchen aber sie hatte doch gemeint, er werde sagen. „Ja, Toni, schon lange. Und dann hätte sie ihrer Familie schreiben können „Ich war seine einzige Liebe“ – „Dann liebten Sie eine andere?“ fragte sie durch die Zähne.

Er hatte Lust, mit dem Fuße aufzutreten. Was ging sie seine Vergangenheit an! „Baroneß,“ sagte er kurz, „bisher dachte ich nicht an die Ehe!“ – Das Wort „Liebe“ vermied er.

„Und das ist so plötzlich gekommen?“ Sie schlug schmachtend die Augen auf.

„Wie das kommt?“ fragte er zurück mit gefurchter Stirn.

„O, vergeben Sie, ich quäle Sie!“ rief sie geängstigt.

Er sah aus, als stände er im Begriffe, eine Abschiedsverbeugung zu machen und sporenklirrend hinaus zu gehen, und sie warf sich in den Sessel und begann zu weinen.

„Ich bitte Sie, mir zu verzeihen,“ begann er nun „ich bin vielleicht unzart gewesen, Toni, aber in dieser Stunde kann ich so wenig lügen, noch weniger als in jeder andern. Hat Sie mein Bekenntnis enttäuscht, so schicken Sie mich fort; behalten Sie mich trotzdem, so werde ich Ihnen dankbar sein mit jedem Atemzuge, denn ich bin ein bedrückter Mensch, der Schweres zu tragen hat und viel Geduld und viel Nachsicht braucht – von Ihrer Seite.“

Es lag etwas in seiner Stimme, das ihr imponierte, und sie dachte überhaupt nicht daran, ihn wegzuschicken, den schönen Heinz von Kerkow, um den sie beneidet werden würde auf und nieder im Lande. Sie hatte einen kleinen Versuch gemacht, sich von ihm belügen zu lassen, sie wollte ihn zwingen, ihr eine leidenschaftliche Scene vorzuspielen, es mißlang. Nun gut, er liebte sie nicht, aber er wollte sie heiraten, sie – oder ihr Geld – das genügte!

Sie reichte ihm die Hand. „Geduld, Nachsicht, soviel Sie wollen, Heinz, denn ich liebe Sie! Gehen Sie denn, lassen Sie sich bei Durchlaucht melden und bitten Sie um meine Hand!“ Und sie stand auf und bot ihm die Lippen. Er beugte sich langsam hinunter zu der kleinen Gestalt und küßte sie, kalt, formell. Sie zuckte zusammen, das war kein Brautkuß!

Und als er zur Thür schritt, folgte ihm ein Blick, der nicht viel versprach von Nachsicht, Geduld und Liebe. – „Freigeben“ dachte sie, „soll ich ihn freigeben?“ Dann schüttelte sie den Kopf.

„Nein! nun gerad’ nicht!“ – – – – – – – – –

Um zwei Uhr hatte das junge Paar bereits in seiner Eigenschaft als Verlobte vor der hohen Frau in dem kleinen dunkelrot dekorierten Eckzimmer gestanden und gnädige, von echtem Wohlwollen erfüllte Glückwünsche entgegengenommen, wenn auch Durchlaucht entschieden betrübt war, ihre liebe Ribbeneck zu verlieren und Frau von Gruber hatte ein paar Thränen dazu geweint. Die junge Braut besprach dann im Zimmer der Oberhofmeisterin mit ihrem Bräutigam die Form und die Anzahl der Verlobungskarten, und als die Tante diskret das Gemach verließ und nun eine lange peinliche Pause entstand, da wachte Heinz Kerkow aus seinem Stumpfsinn auf, nahm Mitleid und Ritterlichkeit zu Hilfe und zog das fremde Mädchen, dem nicht ein Schlag seines Herzens gehörte, an sich und dankte ihr noch einmal für ihr rasches rückhaltloses „Ja!“ und sagte, daß er bestrebt sein wolle, ihre Liebe immer mehr und mehr zu verdienen. Dann küßte er sie etwas scheu und zögernd auf die Stirn über ihren Kopf hinweg aber schweifte sein Blick wie gewaltsam angezogen, zum Fenster hinaus und blieb drunten am Hause des Medizinalrats May hängen. Zum letztenmal! sagte er sich, denn er wollte – er wollte ein guter treuer Gatte werden, und das war er schließlich doch auch sich selbst schuldig!

Dort unten saß die Familie May bei Tische, und im nämlichen Augenblick als der Blick des Mannes abschiednehmend das Häuschen des Leibarztes streifte, bemerkte dieser, der eben den letzten Löffel Suppe verzehrt hatte. „Und nun das Neueste, ich weiß es von Durchlaucht höchstselbst – der Heinz Kerkow und die Ribbeneck wollen sich heiraten.

„Das ist nicht wahr!“ schrie Tante Emilie auf und ihre erschreckten Augen flogen zu Aenne. Aber kein Zug veränderte sich in dem jungen Antlitz. Schweigend erhob sie sich und setzte die Suppenteller ineinander und goß ihrem Vater das Bier ein, wie alle Tage, nur essen konnte sie heute nicht. Aber sie blieb bei Tische bis zu Ende und sagte auch irgendwas zu der Neuigkeit, aber Tante Emilie verstand es nicht recht, nur die Worte „Freut mich für Toni“ klang es deutlich heraus.

Und langsam und ohne Hast erstieg sie die Treppe zu ihrem Sälchen, und was dort oben geschah – das hat niemand gesehen.



Aenne May ging folgenden Tages zur gewohnten Stunde mit Tante spazieren. Die kleine lebhafte, in heimlichem Mitleid fast vergehende Frau schlug den Weg nach der Stadt ein, in dem unbestimmten Gefühl, daß es dem Mädchen lieb sein würde, den Schloßpark heute zu vermeiden. Aber Aenne fragte. „Warum denn?“ Und so wanderten sie in dem prächtigen Garten umher, in welchem alles von der Poesie des Herbstes verklärt war: purpurn rote Weinranken, die sich um weiße Marmorleiber schlangen, gold und rot gefärbte Boskette, gelichtete Bäume, die zu trauern schienen um ihr Sommergewand, bunte Blätter, die unter ihnen auf feuchtem Rasen lagen oder auf dem stillen Wasser des Bassins schwammen. Aenne war sehr schweigsam, und einzig daran erkannte ihre Begleiterin den Gemütszustand des Mädchens, das, als ob es sich von selbst verstände, bis zur Schloßterrasse emporstieg.

„Dort oben wird’s zugig sein, Goldköpfchen“ meinte ängstlich die Tante.

„Aber die Aussicht desto schöner“ wandte Aenne ein, „der Sturm der vergangenen Nacht hat die Luft klar gemacht.“

Oben angelangt, stützte sich die stark asthmatische Frau, nach Atem ringend, auf das Geländer und zog ihr Tuch höher an den Hals hinauf, Aenne ging langsam um das Bassin herum zum Pavillon hinüber, in dem gestern noch Heinz Kerkow so lustig geschafft hatte, und lugte durch die Scheiben. Nach ein paar Minuten kam sie zurück, ein bitteres Lächeln um den Mund. „Nun können wir weitergehen, Tante,“ sagte sie.

„Was war denn in dem Pavillon“ fragte die Angeredete.

„Ein Tüncher, der die Wände überstreicht, so dicht daß man schon nicht mehr erkennt, wie sie ausgesehen haben,“ antwortete Aenne. „Nicht wahr,“ fuhr sie fort, „es wäre nett, wenn man es auch so machen könnte mit seinem Herzen, wenn man alles, was da drin gemalt und geschrieben steht, einfach frisch übertünchen könnte – wer das verstände – o! –“

„Welch ein Unsinn, Aenne!“ murmelte die alte Dame.

„Aber, verlaß dich darauf, Tante, ich lasse auch anstreichen hier innen, es wäre noch schöner, wenn man etwas mit sich herumschleppen müßte, das man nicht will, nicht brauchen kann, das weh thut wie ein Dorn den man sich eingerissen hat! –“

Sie sprach immer im Weiterschreiten, mit zurückgewandtem Kopf und wunderlich flackernden Augen. Dann waren sie unten im Park auf dem breiten Fahrwege angekommen, der in den Wald führt, und gingen wieder nebeneinander diesem entgegen. Hinter ihnen erscholl Pferdegetrappel und das leise Rollen einer Equipage auf Gummirädern. Aenne wandte ruhig den Kopf dem vorüberfahrenden Wagen zu. Es war eine Hofequipage, im Fond saßen Frau von Gruber und Toni von Ribbeneck, auf dem Rücksitz Heinz von Kerkow, in Civil und ganz reisemäßig angezogen mit Umhängetasche, Plaidrolle und einem Handköfferchen neben sich. Er sah nach der entgegengesetzten Seite hinüber, wo ein zahmes Reh stand.

Toni, in einem blauen Tuchkostüm, einen blauen Filzhut auf dem farblosen Haar, nickte gönnerhaft freundlich Aenne zu. Sie hatte heute Farbe und sah, wie Tante Emilie innerlich zugestand, ordentlich menschlich aus. Aenne grüßte zurück und schritt weiter mit undurchdringlichem Gesicht.

„Hör’, Kindchen,“ meinte die alte Dame, „wenn’s dir nichts ausmacht, so geh’ allein ein Stückchen weiter, ich besuch’ derweil Fräulein Stübken, kannst mich abholen nachher.“

Fräulein Stübken war das ältliche Fräulein, das dem Oberförster Günther seit dem Tode der Frau den Haushalt führte, eine Person, die als wandelndes Wochenblatt von Breitenfels galt, besonders für die Rubrik „Hofnachrichten“.

Aenne nickte, es freute sie, allein zu sein. Sie fühlte deutlich, daß in ihr etwas Totes war, von dem eine erschauernde Kälte ausging, daß sie aber alles aufbieten müßte, um dieses Gestorbene vor anderen geheim zu halten, diese armselige gewaltsam erstickte Liebe zu Heinz Kerkow. Das Blut schoß ihr sinnverwirrend in den Kopf, als sie daran dachte, daß er ihre heiße

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_039.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)