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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

gehen soll. Sag’ mal – wieviel hat sie nun denn eigentlich geerbt? Aber – laß das nur, es kommt auf ein bißchen mehr oder weniger nicht an, meinen Kaufpreis mag ich auch gar nicht wissen, ich könnte am Ende, arrogant wie ich bin, herausfinden, daß ich mehr wert bin als ihre lumpigen paar Tausend!“

Frau von Gruber war jäh aufgestanden. „Heinz,“ stieß sie zürnend hervor, „ich habe dich immer als einen zartfühlenden, delikaten Menschen gekannt, aber – –“

„Lieber Himmel, Tante, ereifere dich doch nicht! Ich bin mit dem besten Willen nicht imstande, Hokuspokus dir gegenüber zu machen um diese Sache, die doch ganz und gar nach deinem Herzen ist, sogar ein Lieblingswunsch von dir – das weißt du wohl besser als ich. Nun könnte ich ja uns beiden allerhand vorlügen, um die Geschichte ansehnlicher zu machen, aber, siehst du, es geht nicht, noch nicht, ich muß mich erst daran gewöhnen, diese Komödie zu spielen – – sieh nur nicht so entsetzt aus! Du weißt ja, Tante, daß die Heirat nach Geld jetzt eine Existenzfrage geworden ist – und zwar nicht um meinetwillen. Weiß Gott, stünde ich allein, morgen wäre ich weit fort von hier, irgendwo in der Welt, wo einer arbeiten kann im Drellrock, wo man essen kann, was man will, ohne kontrolliert zu werden, wo es standesgemäß hergeht, oder wo man ein Stück trocken Brot hinunterwürgt. Aber da, die alte Frau, weißt du – na, wir verstehen uns, und bevor ich zu einem Agenten gehe, will ich dich fragen, wie ist’s mit der Toni?“

Die alte Dame hatte sich unter den schneidenden haarscharfen Worten wieder gesetzt. „Du willst sie nur des Geldes wegen nehmen, Heinz, und im übrigen ist sie dir ganz gleichgültig.“ Sie versuchte, ihm wenigstens etwas Beschönigendes abzulocken.

Aber er ging nicht darauf ein. „Ja!“ sagte er kurz. „Frage nicht so, Tante, ich nehme sie um ihr Geld, wie sie mich vermutlich nimmt, weil sie durchaus einen Mann haben will, etwas, das ganz bekannt ist in der Residenz und hier. Nach jedem Kameraden, der hierher kommandiert war, hat sie ihre Netze ausgeworfen, auch nach mir – –. Nun schön, ich will mich fangen lassen, es erspart mir die Mühe, eine andere zu suchen, und was dich betrifft, Tante, so bitte ich, sei meine Freiwerberin und wenn du kannst, bald. Ich gestehe, mir brennt der Boden unter den Füßen – ich möchte Mama sehen.“

„Aber, ums Himmels willen, so plötzlich! Was soll Toni denken?“

„Herrgott, die wird’s äußerst begreiflich finden, ich habe ihr ja gestern abend die Cour geschnitten wie toll.“

„Schon in der Absicht, sie zu – –?“

„O, liebe Zeit, nein! Nein! Indes, es geht ja nun ganz gut.“

„Aber, Heinz, wenn sie es merkt, welcher verzweifelten Stimmung dieser Antrag entspringt?“

„Ueberlasse doch mein Verhalten ihr gegenüber vertrauensvoll mir, Tante! Das Einzige, um was ich dich bitte, ist, daß du sie vorbereitest. Drehe es nun, wie du willst! Wenn du mir sogenannten günstigen Bescheid bringst, werde ich an sie schreiben.“

„Warum nicht persönlich werben, Heinz?“

„Ich kann es besser schriftlich thun.“

„Und wann willst du, daß ich –? Toni liest Ihrer Durchlaucht eben vor, vielleicht während Durchlaucht mit Seiner Excellenz konferiert und Toni im Musiksaal Klavier spielt?“

„Wie du denkst, Tante! Meinetwegen auch mit Musikbegleitung.“

„Aber Heinz, so bald?“

„Sofort, Tante, wenn möglich sofort! Lasse mir Bescheid zukommen! Sobald ich ihr Jawort habe, reise ich zu Mutter.“

Um ein Uhr schickte Frau von Gruber ihrem Neffen ein Zettelchen „Ich gratuliere dir, sie liebt dich.“

Er hatte es aufgegeben, an Toni von Ribbeneck zu schreiben es wäre eine Feigheit gewesen, und feig war er nicht. Er nahm den Helm, ließ sich bei dem Fräulein melden und wurde gleich darauf in das mit blau und weiß broschierter, etwas verblichener Seide ausgestattete Hofdamenzimmer geführt, das von der jetzigen Bewohnerin verschwenderisch ausgeschmückt war mit Statuetten, Makartbouquets, Eisbärfellen, Nippes und Photographien aller Art. Ein starkes mit Patchouli untermischtes Parfüm wehte ihn an und erschwerte ihm das schon mühsame Atmen.

Er ließ seine Augen in dem Zimmer umherschweifen. Toni von Ribbeneck war nicht darin. Er wollte sich sammeln, aber er war schlechterdings nicht imstande, sich vorzustellen, wie sich die nächste Viertelstunde seines Lebens abspielen werde. So stand er und starrte einen japanischen Schirm an, auf dem buntschillernde Vögel gestickt waren.

Gott im Himmel, wie anders hatte er sich sein Freien gedacht!

Und dann trat sie ein, klein, blond, ohne Frische, untersetzt. Keine Spur mädchenhafter Verlegenheit auf dem runden Gesicht, die Augen, die groß und farblos waren, erwartungsvoll auf ihn gerichtet, und doch so, als habe sie keine Ahnung von dem, was ihn hergeführt. Sie trug eine Hausrobe von mattblauem Seidenplüsch, so verblichen wie ihre Augen und so matt wie ihr straff zurückgenommenes Blondhaar.

Es war ihm plötzlich, als zöge eine unsichtbare Macht ihn wieder der Thüre zu. Nein, nein, das war nicht die, die er in seine Arme nehmen konnte, um sie Braut und Liebste zu nennen! Aber da sah er wieder das gramdurchfurchte Antlitz der alten Frau, die seine Mutter war.

„Gnädiges Fräulein,“ stammelte er endlich, „Sie wissen, weshalb ich hier vor Ihnen stehe – –“

Sie senkte stumm den Kopf und setzte sich auf den kleinen Fauteuil, der hinter dem japanischen Schirm stand, indem sie mit der Hand einen ihr gegenüber stehenden Schemel bezeichnete, auf den er sich niederlassen sollte. Das blendende Licht der Fenster traf ihn voll, während sie im Schatten blieb. Noch immer verharrte sie stumm mit keiner Bewegung, keinem Worte kam sie ihm zu Hilfe; sie wollte den erhebenden Augenblick, in dem ein Mann sie zur Frau begehrte, voll auskosten.

„Ahnen Sie es nicht, gnädiges Fräulein,“ begann er endlich, „erraten Sie nicht, daß ich eine große, sehr große Bitte an Sie zu richten im Begriff bin, daß ich – –?“

„Daß Sie mir sagen wollen ‚ich liebe Sie, Toni!‘“ unterbrach sie ihn mit ihrer spitzen klanglosen Stimme.

Er verbeugte sich zustimmend.

„Und daß Sie mich heiraten wollen, Kerkow!“

Wieder eine stumme Verbeugung.

„Aber – wenn ich nun nicht in der Lage wäre, wenn ich – – es kommt so plötzlich!“ Sie spielte, kokett lächelnd, mit den Schleifen ihres Kleides.

Er erhob sich sofort. „Pardon, gnädiges Fräulein!“

Ihr Lächeln verschwand augenblicklich. „Aber, Lieutenant Kerkow!“ sagte sie bestürzt und streckte die Hand aus, als wollte sie ihn halten.

„Mir ist nicht zum Scherzen,“ stieß er hervor.

„Nun denn, machen wir Ernst, Kerkow!“ rief sie und reichte ihm die Rechte hinüber, die er langsam an seine Lippen führte. „Und damit Sie es denn wissen, ich – ich habe es geahnt, daß Sie heute kommen würden.“

„Meine Tante –“ murmelte er.

„Nein, seit gestern abend, Kerkow, seit dem Souperwalzer.“

Das war der Walzer, mit dem er Aenne „kurieren“ wollte. Er wurde rot, so schämte er sich vor sich selbst, und küßte nochmals ihre Hand.

Sie schwieg und sah ihn an mit Augen die sich vom Glück belebten über den schönen, längst begehrten Mann „Kerkow,“ sagte sie leise, „warum kommen Sie heute erst?“

Er stotterte etwas von nicht gewagt haben –.“ Da fühlte er sich umfaßt, sie zog sich zu ihm empor und ihre Wange streifte die seine. „Heinz, ich weiß ja längst, daß du mich lieb hast, schon lange, lange!“

Er sah mit ganz verstörten Augen zu ihr hinunter, die nun den blonden Kopf an seine Brust gepreßt hielt.

„Schon längst? – Nein!“ sagte er laut, unfähig, sie in diesem Irrtum zu lassen, der einen überschwenglich beglückten Bräutigam voraussetzte. „Ich habe Sie immer nett und bewundernswert gefunden, aber der Entschluß, Sie als Frau zu begehren, der ist noch neu.“

Sie war empor gefahren und starrte ihn an, einen Zug grenzenloser Enttäuschung um den Mund. „So?“ antwortete sie.

„Ich bin ein Fanatiker der Wahrheit, und derjenigen, die meine Frau wird, kann ich nichts vorlügen,“ sprach er weiter.

Sie biß in die Unterlippe, sie wußte es ja ganz genau, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_038.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)