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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

dem Kind ward die Jungfrau. „Als reine, ungekünstelte und ungeschminkte Natur hatte das junge Mädchen keine Neigung, in der Gesellschaft zu glänzen und die kleinen Eitelkeiten zu üben, welche darin gebräuchlich sind.“

Annette war wenig zugänglich für andere, ihr Gemüt neigte zu einem stillen, vorwiegend innern, beschaulichen Leben. Abgeschlossenheit und Einsamkeit gewährten ihr reichlich die dazu nötige Sammlung. So waren ihr Wald und Weiher, Ried und Heide zum trauten Aufenthalte geworden. Da konnte sie allein mit ihren Gedanken wandern, ihren Herzensgefühlen unterm weiten blauenden Himmel Ausdruck verleihen oder in mondbeglänzter Nacht mit den Geistern der Luft und des Wassers Zwiesprache halten.

Annette von Droste-Hülshoff in ihrem 32. Lebensjahre.

Im Jahre 1826 starb der Vater und bald darauf auch der von ihr besonders ins Herz geschlossene jüngere Bruder. Das war für ihre zartfühlende Seele ein harter Schlag. Ein Brust- und Herzleiden warf sie selbst aufs Krankenlager und für immer blieb der Krankheitskeim in ihr zurück. Sie konnte sich nie wieder völlig erholen. Wohl suchte man ihr späterhin am sonnigen Rhein – – in Koblenz, Köln und Bonn – Genesung zu verschaffen; doch ging sie gern aus dieser Welt der Zerstreuung und des flutenden Lebens mit ihrer Mutter und älteren Schwester zum Rüschhaus, dem nunmehrigen Witwensitz der Freifrau von Droste.

„So an seiner Jugend scheide
Steht ein Herz voll stolzer Träume,
Blickt in ihre Paradiese
Und der Zukunft öde Räume.

Seine Neigungen, verkümmert,
Seine Hoffnungen, begraben,
Alle stehn am Horizonte,
Wollen ihre Thränen haben.“

Das Rüschhaus lag eine Stunde von Hülshoff; es war kein eigentliches Herrenhaus, mehr einem westfälischen Bauernhofe ähnlich. Aber die neuen Besitzer verstanden es vortrefflich, sich nach ihrem Geschmack darin einzurichten.

Abgelegen von der Landstraße, in stiller Einsamkeit, war es so ganz geschaffen, unserer Dichterin ein trautes Heim zu werden. Die Gemächer lagen im unteren Stockwerk gegen Westen, den Blick in einen weiten Garten gestattend. Das Zimmer Annettens war aufs einfachste ausgerüstet, nur mit den notwendigsten Möbeln aus braunem Eichenholz. Ein Strauß frischer Feldblumen zierte stets das stille Gemach.

Gern und oft streifte die Dichterin in der Umgegend des Rüschhauses. Das war für ihren leidenden Zustand Bedürfnis geworden. Dabei machte sie dem Moor und der Sandheide, dem Weiher und Wald, dem Steinbruch Tag um Tag ihren Besuch. „An einen knorrigen Eichenstamm gelehnt, konnte sie stundenlang sitzen auf ihrem ausgebreiteten Tuch und hinausblicken in die weite lautlose Heide, oder sie lagerte sich an versteckten Waldplätzen neben stillen, tiefen Teichen, bis die Abendnebelschleier die Wasserlilien vor dem Auge verdämmern ließen, und der Mond darüber herauskam.“

Aus dieser Zeit stammt das farbenprächtige Stimmungsbild vom „Weiher“:

„Er liegt so still im Morgenlicht,
So friedlich wie ein fromm’ Gewissen,
Wenn Weste seinen Spiegel küssen,
Des Ufers Blume fühlt es nicht
Libellen zittern über ihn,
Blaugoldne Stäbchen und Karmin,
Und aus des Sonnenbildes Glanz
Die Wasserspinne führt den Tanz.
Schwertlilienkranz am Ufer steht
Und horcht des Schilfes Schlummerliede,
Ein lindes Säuseln kommt und geht,
Als flüstr’ es: Friede! Friede! Friede!“

Glücklich mit sich, reiste Annette auch als Dichterin im stillen. Von besonderem Einfluß auf sie war neben dem Vorbilde Walter Scotts, des großen Schilderers der Naturschönheit seiner schottischen Heimat, der Verkehr mit Katharina Schücking, der ersten Dichterin Westfalens, von welcher Lieder schon im Druck erschienen waren, und mit dem heranwachsenden Sohn derselben, Levin Schücking, der später als Romanschriftsteller zu Ruhm und Ansehen gelangte. Diesen beiden erschloß sie die Welt ihres Dichtens, noch ehe irgend welche Kunde von ihr hinaus in die Welt drang. Denn spät erst trat Annette mit ihren Gedichten an die Oeffentlichkeit. die erste Sammlung erschien 1818 und nannte nur die Anfangsbuchstaben ihres Namens; erst als die

Das Fürstenhäuschen bei Meersburg.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_029.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)