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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Ach Gott, na, man ist eben 'mal einen Tag nicht so wie den andern,“ lautete die nicht sehr zuvorkommende Antwort.

„Aber du warst so strahlend lustig beim Tanz vorhin, Toni Ribbeneck sagte noch – –“

Er machte ein Gesicht, als ob er sich vor einer mißliebigen Speise ekelte. „Was will sie denn von mir?“ erkundigte er sich mit einem Ausdruck als wollte er sagen „Sie soll mich doch um Gottes willen zufrieden lassen!“

„Gott behüte! Sie will gar nichts, sie freute sich nur, daß wir für unseren langweiligen Winter an dir einen so netten Kavalier gewonnen haben. Du weißt ja, Heinz, daß wir daran keinen Ueberfluß besitzen.“

„So. Na, Tantchen, nimm's schon nicht übel, ich habe ganz und gar keinen Mumm, den Winter über hier in eurem verwunschenen Schloß zu versauern.“

„Aber Heinz!“ Tante Gruber entfiel der Löffel, mit dem sie ihren gar nicht schwachen Punsch rührte.

„Nun ja, ich will versuchen, daß ich fortkomme, Tante – es gefällt mir nicht mehr hier.“

„Du bist ja ein ganz undankbarer Mensch, oder läßt du dich durch die Geschichte so furchtbar herunterdrücken, daß – –“

„Herunterdrücken? Welche Geschichte meinst du?“ fuhr er auf.

„Na – deine Mutter, meine ich, und das mit Ottilie. Hab’ doch Vertrauen zu mir, Heinz, ich weiß es ja natürlich schon.“

Er sah sie verständnislos an.

„Solltest du wirklich noch nichts wissen?“ fragte sie erschreckt. „Das thut mir leid, armes Kerlchen. Morgen früh wirst du den Brief wohl bekommen, oder – er liegt auf deinem Schreibtisch und du hast ihn übersehen. Ich dachte, deine finstere Laune komme daher; Gott, wie ungeschickt von mir!“

„Ich muß dich schon bitten, liebe Tante, nach diesen Aeußerungen, die mich begreiflicherweise in Besorgnis versetzt haben, weiter zu berichten und mich nicht bis morgen früh, wie einen aufgespießten Schmetterling, weiter zappeln zu lassen.“

„Ich will’s dir mitteilen, natürlich, Heinz, aber die Nachtruhe wird's dir nicht bessern.“

„Auch eine Logik!“ brummte er.

„Sei nicht so schrecklich unangenehm, Heinz! Also, nun du es hören willst – Ottilie ist krank aus ihrer Stellung zurückgekehrt!“

Er atmete auf – es war da noch etwas, das sich wenden konnte; er hatte Schlimmeres gedacht. „Was fehlt ihr denn?“ fragte er, „weißt du es?“

Sie schüttelte den Kopf, aber ihre sonst so kalten Augen hatten sich mit Thränen gefüllt.

„Also etwas Ernstliches, Tante. Nur zu, sag's doch! Typhus? – oder – oder Herrgott, spanne mich doch nicht auf die Folter, Tante!“

„Man mußte sie in eine Anstalt – in eine – weißt du, Heinz, – ihre Nerven – eine, ja in das –“

„Irrenhaus,“ ergänzte er dumpf. Er saß plötzlich da wie gebrochen.

Die alte Dame schwieg. Sie hielt ihre Hände im Schoß gefaltet und schluckte an emporquellenden Thränen. Der Junge that ihr so leid, so furchtbar leid!

„Und Mutter“ fuhr er endlich auf. „Mein Gott, wie wird sie den Schlag überstehen – und was wird das kosten! Was soll überhaupt –“

Sie nickte. „Ja, das ist's eben!“ Dann erhob sie sich, schritt zum Glockenzug und befahl dem eintretenden Lakaien, die für den Herrn Lieutenant eingegangenen Postsachen aus seinem Zimmer herunter zu holen. „Da du es nun doch schon weißt, und ich begierig bin, Näheres zu erfahren“ setzte sie hinzu.

Nach ein paar Minuten hielt er den Brief in der Hand. „Von Mutter“ murmelte er, „ach nein, von Hede,“ verbesserte er sich. Er drehte das Schreiben hin und her und schob es dann ungelesen in den Aermelaufschlag seiner Uniform und saß noch ein Weilchen, mit fest zusammengekniffenen Lippen ins Leere starrend. Endlich stand er auf. „Das ist schon ein großes Unglück, wenn es reiche Leute trifft, Tante, aber hier hier – Ottilie hat Mutter immer unterstützt. Ich weiß nicht, wie es werden soll – – armes Mädel! Arme Mama!“

„Wir Kerkows haben alle kein Glück, mein Junge – wenn man so denkt, wie es manchem in den Schoß fällt! Ich muß immer Toni Ribbeneck ansehen und mich dabei fragen, wie der eigentlich jetzt zu Mute sein mag, nachdem sie vorgestern die Nachricht bekam, daß ihr Onkel gestorben und sie nun Herrin eines netten Vermögens geworden ist – so jung noch, höchstens siebenundzwanzig Jahre. Es giebt ein so sicheres Gefühl in der Welt, weißt du,“ fuhr sie fort, „natürlich! Findest du nicht, Heinz, daß sie jetzt eine sehr distinguierte Sicherheit zur Schau trägt, diese kleine Person? Woran denkst du, Heinz,“ fragte sie ungeduldig den vor ihr Stehenden, und als er wie aus schweren Gedanken auffuhr, sagte sie, „ich sprach von Toni Ribbeneck.“

„So – ja – was sagtest du doch – daß sie geerbt habe – Kann froh sein, ohne Geld geht's eben nicht. Gute Nacht, Tante, den Brief lese ich oben, ich kann ja augenblicklich doch nichts thun. Habe Dank für deine Teilnahme!“

In seinem Zimmer droben warf er sich auf's Sofa und stöhnte auf wie unter körperlichen Schmerzen. Vor seinen Augen stand so deutlich das Bild seiner Angehörigen weit von hier in der kleinen märkischen Stadt; die Wohnung in der öden Gasse, bestehend aus drei Stuben, Küche und Vordiele im einstöckigen Hause des Krämers Busch, dessen Laden die Zimmer ausgiebig mit den Gerüchen des Materialgeschäftes versorgte. Die Wände des Fachwerkbaues etwas schief, die Tapeten billigster Sorte, alt, rissig und geschmacklos, und darin die erblindeten Mahagonimöbel. Im Salon ein verschossener großblumiger Teppich, im Wohnzimmer der Maltisch seiner jüngsten Schwester, die Luft erfüllt von dem Duft des Terpentins, dessen sie zur Porzellanmalerei bedurfte, am andern Fenster der Lehnstuhl der Mutter vor dem Nähtisch, auf dem bunte Wolle liegt und eine angefangene Arbeit, denn wie Hede für Geld malt, so stickt die Mutter für Geld.

Lieber Gott, wie mochte es da aussehen seufzte er. Was mochte geschehen sein? Ottilie, die blasse, stille, vernünftige Schwester. die für jeden einen guten Rat gehabt, für jeden von ihnen Hilfe und Trost, Ottilie wahnsinnig!

Er nahm den Brief, öffnete ihn und rückte die Lampe näher. Es war Hede, die schrieb, ganz zitterig die Hand und Thränenspuren auf dem Papier.

     „Lieber Heinz!

Uns hat Schweres betroffen! Wenn Du diesen Brief erhältst, weißt Du es schon, denn ich bat Doktor Allers, es Tante mitzuteilen, damit sie Dich vorbereite auf das Traurige. Die Details sind so schrecklich, Heinz, ich kann Dir nicht beschreiben, wie Ottilie aussah, als sie unser Zimmer vor vier Tagen betrat, so unerwartet, so unkennbar. Ihre Briefe waren bisher ganz vernünftig gewesen, es fiel uns zwar auf, daß sie stets darin von einem großen Glück erzählte, das sie erwarte. Wir fragten aber nicht, was es sei, gaben uns vielmehr der Hoffnung hin, daß sie sich vielleicht verloben würde. Sie hatte vor zwei Jahren einmal die Andeutung gemacht, als interessiere sich der Bruder der Frau Hennigs, bei der sie bis jetzt Gesellschafterin war, für sie, derselbe ist Bankier in Berlin und soll sehr reich sein. Es wäre ja ein großes Glück für uns gewesen.

Nun, denke Dir unsern Schrecken, tritt sie am Dienstag plötzlich ins Zimmer, wo wir sie doch in Berlin glaubten, in einem ganz unmöglichen Rembrandthut, blaß wie der Tod, mit flackernden Augen und sagt, als ob wir sie erst gestern gesehen hätten ihr Bräutigam käme gleich nach, um sich das Jawort der Mutter zu holen, und in acht Tagen sei die Hochzeit, wir sollten ein Souper besorgen und den Champagner nicht vergessen. Dann wirft sie den Hut auf den Tisch, geht zu Mutters Servante und holt Tassen und Teller heraus, und wie Mutter, zitternd vor Entsetzen, ihr wehren will, wird sie wütend und zertrümmert die Scheiben des Schrankes, wirft alles vom Tisch und tobt, daß wir unsere Wirtsleute zu Hilfe rufen müssen – der Mann hielt sie fest, bis Doktor Allers kam; der eine Wärterin holen ließ und – – –

Ach, Heinz, wie grauenhaft! – Vor zwei Stunden ist sie nach Halle übergeführt. Man redete ihr vor, sie solle nach Berlin reisen, wo ihr Bräutigam sie erwarte. Sie ging willig mit, sie sagte uns zärtlich, glückstrahlend Adieu, und wir sollten sie bald besuchen.

Mama liegt im Fieber zu Bett vor Erschütterung, ich mußte Ottilie allein Fremden überlassen auf der entsetzlichen Reise, Mama ist so gebrochen, ich konnte nicht von ihr gehen.

Heinz, was muß ihr angethan sein, daß sie so wurde? Wird es sich je aufklären?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_026.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)