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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 2.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Trotzige Herzen.

Roman von W. Heimburg.

(1. Fortsetzung.)


Aenne kam just zum Mittagsbrot wieder zu Hause an. Der Vater stand bereits, die Hände auf dem Rücken, am Kachelofen der sogenannten Eßstube, die, nach dem Garten hinaus gelegen, im Sommer von grünlichem, geheimnisvollem Lichte erfüllt war, welches die beiden alten Birnbäume draußen vor den Fenstern verursachten, im Winter jedoch licht und freundlich von den Strahlen der Mittagssonne erhellt wurde. In der Mitte des mäßig großen Raumes stand der Klapptisch aus Birkenholz, mit Wachstuch überzogen, jetzt von einem blendend weißen Drelltuch bedeckt, die Ecke hinter dem Ofen war von dem Sofa eingenommen, dessen Lederbezug schon Brüche und Risse aufwies - es hatte noch immer nicht zu einem neuen gelangt – davor ein kleiner Tisch. Den gegenüberliegenden Winkel füllte der das Buffett vertretende Eckschrank, in welchem das Speisegeschirr, die Tassen, Zucker und Theekekse sowie ein Magenbitter aufbewahrt wurden, und an der Wand zwischen den Fenstern stand die Kommode mit einem Spiegelchen darüber. Alles aus Birkenholz, nur die Nähmaschine am Fenster rechts war echtes Mahagoni und erzählte in ihrer leuchtenden Politur, daß sie eine Ehrenstellung einnehme im Hause.

Heute herrschte neben dem Geruch von Weißkraut und Hammelfleisch noch ein starker Bügeldunst, die Frau Rätin hatte eigenhändig das helle Batistkleid ihres Töchterleins zur abendlichen Toilette geplättet. Daß auch noch ein wenig Benzingeruch von gewaschenen Handschuhen sich hineinmischte – Tante Emilie hatte dies Geschäft besorgt, und zwar ebenfalls in der Eßstube, die in ihrer isolierten Lage nach hinten hinaus sich vorzüglich für solche Arbeiten eignete – machte die Atmosphäre noch ein wenig pikanter.

Aenne riß also gleich das Fenster auf und bekam dafür von allen Seiten Vorwürfe. Der Papa deckte schleunigst sein rotes Schnupftuch über den glänzenden kahlen Scheitel, Tante Emilie schrie nach einem Shawl und die vom Kochen und Plätten echauffierte Hausfrau rief. „Wirst du wohl das Fenster zumachen, Aenne! Denkst du, daß es mir egal ist, ob ich meine Kopfkolik heute abend bekomme, oder nicht.“

Gehorsam schloß das junge Mädchen das Fenster, trat an den Tisch, wo die andern bereits hinter ihren Stühlen standen, und sprach das Tischgebet. Dann aß sie mit dem besten Appetit der Welt, hatte für alle ein freundliches Wort, lachte, neckte ihre Tante, erzählte, daß dieselbe beim gestrigen Spaziergange gestreikt und sie mit Heinz von Kerkow nahe am Ziele, am Borkenhüttchen verlassen habe, angeblich weil sie einen Krampf im Fuß bekommen könnte, wenn


Schloß Meersburg am Bodensee,
Wohnsitz der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff in ihrer letzten Lebenszeit.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_021.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)