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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)


mit anderthalbjährigem Gefängnis; dann ward er gegen eine Zahlung von 200 000 Thalern freigelassen – und sogar Kammerpräsident.

So endete der denkwürdige Prozeß gegen die Generalin von Neitschütz, nicht ohne einen ganzen Sumpf von Aberglauben, grobem Laster, maßloser Herrschsucht, Betrügerei, Bestechung und ähnlichen Nichtswürdigkeiten aufgedeckt zu haben.

Ist auch der Hexenglaube mit seinen Scheußlichkeiten nach langem Kampfe helleren Anschauungen gewichen, so erinnern an den einst so verbreiteten Glauben an Liebeszauber doch noch manche harmlosere Bräuche, die sich bis in das gegenwärtige Jahrhundert unter der Landbevölkerung erhalten haben. So die Beschwörung des Geliebten in gewissen „heiligen Nächten“. Der bekannteste dieser Bräuche war noch vor einem Menschenalter in Süddeutschland das „Betttreten“. Das Mädchen, welches seinen Liebsten oder künftigen Gatten zur Erscheinung zwingen wollte, stellte sich in der Thomasnacht auf ein Brett, das aus der Bettstelle genommen war, und sprach dazu:

„Liebes Bett, ich tritt dich,
Heiliger Thomas, ich bitt’ dich,
Daß mir in dieser Nacht erschein’
Der Herzallerliebste mein!“

Uebrigens sind heute die abergläubischen Ideen von der Möglichkeit eines Liebeszaubers keineswegs völlig verflogen. Auch unter den Angehörigen der Kulturvölker giebt es noch am Ende des 19. Jahrhunderts einzelne rückständige Naturen, die von diesem Aberglauben befangen sind und durch ihn die Beute frecher Schwindler werden. Lesen wir doch ab und zu in Tagesblättern von Gerichtsverhandlungen gegen derartige Schwindler, die aus der Unwissenheit und dem leichtgläubigen Liebeswahn schwacher Menschen Kapital schlagen. Während aber vergangene Jahrhunderte aus dem Aberglauben des Liebeszaubers erschütternde und herzbrechende Tragödien erwachsen ließen, entstehen heutzutage meist nur Komödien oder gar Possenspiele daraus – wenigstens dem äußeren Anscheine nach. Da ist eine oder die andere durchtriebene Frauensperson, die im Rufe steht, liebedürstenden oder eifersüchtigen Frauen und Mädchen den Erwählten ihres Herzens huldvoll stimmen zu können, Untreue in Treue, Gleichgültigkeit in lodernde Glut umzuwandeln. Bei Nacht und Nebel wird sie aufgesucht in irgend einem Vorstadthäuschen, von verschleierten Damen, wie von armen Mädchen aus dem Volke. Gegen flehendes Bitten und bares Geld giebt sie dann ihre Ratschläge, Amulette, Liebestränkchen her, die von den Bethörten mit halbem Zweifel und halbem Glauben genommen und angewandt werden, bis einmal der Zufall oder die Entrüstung einer der vielen Betrogenen den Schwindel an den Tag bringt und vor dem Auge des Strafrichters ein schmähliches Possenspiel entrollt, das viele Jahre lang mit armen betrogenen Frauenherzen getrieben wurde. Dann lachen freilich die vernünftigen Zeitungsleser, und auch die Mitleidigsten zucken die Achseln und meinen, den Dummen sei eben nicht zu helfen. Aber jene zahllosen Thränen, jener herzbrechende Jammer, der so oft hinter den Coulissen spielt, während auf der Bühne des Gerichtshofes die Posse mit der Verurteilung der Zauberkünstlerin endet: sie bleiben verborgen und ohne Sühne.

Daran ist freilich nicht die Justiz schuld, nicht einmal die betrügenden Zauberkünstler, sondern nur die Liebe selber, diese verblendende, dämonische, mit dem menschlichen Herzen und dem Verstande spielende – und doch so himmlische Macht!




Die Hansebrüder.
Roman von Ernst Muellenbach (Ernst Lenbach).


1.

Ehemalige Studierende unserer berühmten Landesuniversität aus den ersten Jahren nach dem großen Krieg erinnern sich wohl noch des seltsamen Dreigespanns von jungen Philologen, welches damals unter dem Namen der „Hansebrüder“ zu den ständigen Erscheinungen der Stadt zählte. Sie hörten alle drei auf den Vornamen Hans, und das mochte hinreichen, den Spitznamen zu erklären wahrscheinlich aber war er von ihnen selber ausgegangen, als eine Aeußerung jener harmlosen Selbstironie, die es liebt, im eigenen kleinen Schicksal irgend ein großes geschichtliches Beispiel parodiert zu sehen. Denn sie waren die letzten Drei von einer kurzlebigen studentischen Verbindung, die nach einer flüchtigen Blütezeit wieder auseinander gefallen war, ohne auch nur in dem Schattenbilde eines sogenannten Altherrenverbandes fortzuleben, sie allein hatten die alte Bundesfreundschaft bewahrt und sogar, nachdem sie der Zufall wieder in derselben Stadt zusammengeführt, auf eine fast vollständige Gemeinschaft des Lebens ausgedehnt. Insofern erreichten, ja übertrafen sie ihr großes Vorbild, die drei letzten Hansestädte, noch um ein Bedeutendes. In ihrer leiblichen Erscheinung aber glichen sie einander so wenig, daß der Anblick dieses Dreibundes allerdings etwas Auffallendes und für oberflächliche oder rohe Beschauer geradezu Lächerliches bot, zumal sie fast immer in derselben Anordnung neben- oder hintereinander herschritten.

Doktor Hans Bardolf, der rechte Flügelmann, der „beinahe definitiv“ am Gymnasium der Musenstadt angestellt war, erinnerte an die stattlichsten Idealbilder deutscher Vergangenheit, mit seiner hohen, breitschulterigen Gestalt, den ungezwungen kraftvollen Bewegungen und dem mächtigen Haupte, blondbärtig und blondlockig, paßte er vollkommen in die Vorstellungswelt von großen Männersiegen und neuerstandener Herrlichkeit, die er selber auf manchem Schlachtfelde mit erstritten hatte.

Fast schmerzlich mußte auf ein ästhetisch geschultes Auge der Absturz von diesem Hünen zu dem Töchterschullehrer Doktor Hans Mohr wirken, der das Centrum der dreiköpfigen Männerreihe bildete. Gleich vielen andern Männern von besonders geringer Länge des Körpers bekundete er in seinem Aeußern ein widerspruchsvolles Streben, recht fein und zugleich recht männlich zu erscheinen er trug mit Vorliebe helle Kleider von modischem Schnitt und deckte das Haupt, welches nicht bis zur Militärhöhe reichte, mit einem hohen Cylinderhut, vor seinem blühenden, pausbäckigen Antlitz aber starrte beiderseits ein gewaltiger, sorgfältig gezwirbelter Schnurrbart von fuchsroter Farbe drohend in die Welt hinaus.

Den Abschluß bildete Doktor Hans Ritter, eine schmächtige mittelgroße Gestalt, meist in dunklen Kleidern, die sehr reinlich gebürstet waren, aber immer aussahen, als hätte ihr Besitzer das Maß dazu von einem andern als von sich abnehmen lassen. Sein schwächlicher Körper war durch eine angeborene Mißbildung entstellt. Der Hals saß etwas schief nach links, und da der Doktor Hans Ritter zu jenen Leuten gehörte, die unter allen Umständen neben jedem Menschen für sich die bescheidenere Seite wählen, so sah es von fern aus, als ob er den Begleiter mit einer neugierigen und wohl gar spöttischen Kopfwendung, wie ein lauschender Dachshund, betrachte. Wenn man ihm näher in das von spärlichem dunklen Bart umrahmte Gesicht sah, mußte man freilich jeden Verdacht des Spottes aufgeben, denn aus diesem blassen, frühgefurchten Gesicht und zumal aus den großen grauen Augen sprach neben nachdenklicher Klugheit nur die aufmerksamste, freundlichste Teilnahme. Er war wie seine beiden Freunde von Haus aus Philologe, hatte aber niemals ein Staatsexamen oder gar ein Probejahr abgelegt, es hieß, daß er sich auf die akademische Laufbahn vorbereite und an einem großen philosophischen Werke arbeite. Einstweilen bekleidete er einen kleinen Posten an der Universitätsbibliothek.

In dieser Anordnung sah man die Drei jeden Mittag aus dem Speisehaus treten, in welchem sie gemeinsam ein ihren bescheidenen Einkünften entsprechendes Mahl genommen hatten. Man sah sie nebeneinander, in eifrigem Gespräch, durch Stadtpark und Alleen spazieren oder auch an schulfreien Sommernachmittagen mit Stock und Ranzen irgend einem möglichst abseits vom Verkehr gelegenen schönen und billigen Plätzchen der weiteren Umgebung zustreben. Am genußvollsten aber erschien ihr Anblick für humoristisch veranlagte Beschauer, wenn sie am Abend vom Spaziergang heimkehrten, mit allerlei Eß- und Trinkbarem beladen, das sie sich unterwegs in der Stadt für ihr gemeinsames

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_008.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)