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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

den Hut in der Hand schwingend, nur eben noch in der dämmernden Ferne zu sehen war, da schien es doch, als wenn der Doktor, der die ganze Zeit hinter Käthes Stuhle gestanden und sie scharf beobachtet hatte, ihrer Selbstbeherrschung zu viel Zutrauen geschenkt hätte. Sie preßte die Lippen zusammen, um die Thränen zurückzudrängen – schüttelte ein paar mal heftig den Kopf, als wollte sie sich selbst zur Vernunft bringen und dann verbarg sie plötzlich das Gesicht hinter dem Taschentuch und machte Miene, ihren Platz zu verlassen.

Auf diesen Moment schien der Doktor gewartet zu haben.

Er warf einen fragenden Blick auf den Bürgermeister, der ernst, aber freundlich nickte, gab ein Glockenzeichen, und als der Vorhang zusammenrauschte, beugte er sich zu seiner schönen Freundin. „Nur noch zwei Minuten Kopf hoch, Fräulein Käthe, und ein heiteres Gesicht!“ Da flog der Vorhang wieder zurück und vor der überraschten Polterabendgesellschaft stand ein Fremder, im Salonanzug, mit strahlenden Augen und strahlendem lachenden Gesicht – „Das ist mein Polterabendscherz!“ rief der Doktor mit seiner lustigen Stimme in die überraschte Versammlung hinein, „der hat die Bilder gemalt – unser berühmter Landsmann, Herr Peter Hansen!“

Und Peter Hansen trat vor den Vorhang auf Käthe zu, als wollte er ihr, wie jeder andere Darsteller, ein Geschenk überreichen. Wie es zuging, das hat später niemand mehr zu sagen gewußt – aber im selben Augenblick flog Käthe von ihrem Stuhl auf und in seine Arme und rief unter Thränen und Jubeln: „Peter – Peter Hansen – also bist Du doch nicht abgereist!“

Damit war denn eine Verlobungsanzeige an die ganze Gesellschaft abgestattet, wie man sie sich nicht bündiger und klarer hätte wünschen können, wenn sie vom Turme herunter geblasen worden wäre!

Nun folgte das fröhliche Stimmendurcheinander, Umarmen, Glückwünschen und Händeschütteln, wie es seit Menschengedenken von solchen großen Momenten unzertrennlich zu sein pflegt! Die lieben Alten, die vom Doktor ins Komplott gezogen worden waren und vorher mit Peter Hansen eine Privatunterredung gehabt hatten, nahmen mit sehr gerührter und vergnügter Miene die Gratulationen ihrer Gäste zu ihrem berühmten Schwiegersohn entgegen, und es war schwierig für den Doktor, die Ruhe noch einmal soweit herzustellen, daß er zu Wort und Gehör kam.

Als es aber doch geschah, hatte man inzwischen statt des einen Lehnstuhls die gebräuchlichen zwei vor die Bühne geschoben, und der brave Freund und Arrangeur krönte sein Werk, indem er mit ein paar improvisierten Versen den ebenfalls improvisiert herbeigeschafften Brautkranz überreichte, wofür ein Dank aus zwei schönen Augen ihm zuteil wurde, der ihm das Herz beinahe noch zum Schluß weich gemacht hätte – wenn er nicht ein Philosoph gewesen wäre, der sich mit jedem Jahr mehr das verständige Motto zur Richtschnur gelten ließ: „Na – denn nicht!“

Die Hochzeit konnte freilich auf diesen Polterabend nicht so schnell folgen, wie das gewöhnlich der Fall ist! – Als sie aber nach einigen Monaten doch gefeiert wurde und der Doktor an der Seite einer reizenden Brautjungfer sein Teil an Turandots Polterabendfeier und ihrem überraschenden Ausgang mit stolzer Befriedigung zum Vortrag brachte, da hob der glückliche Peter Hansen sein Glas und trank ihm zu: „Vivat sequens!“ was denn auch, wie wir dem Leser nicht verschweigen wollen, bald und fröhlich in Erfüllung gegangen ist.

Aber heute noch sagen die guten Leute in dem kleinen Städtchen, wenn sie von dem Polterabend der ehemaligen „Turandot“ sprechen: „Sie mußte eben immer etwas Apartes haben!“ Und das stimmt auch, denn sie hat ein ganz besonderes Glück gefunden und hat es nie bereut, daß sich zu ihrem Polterabend doch noch schließlich ein Bräutigam eingestellt hat – wenn das auch nichts Apartes war, sondern etwas ganz Vernünftiges!


Blätter und Blüten.


Ein Winteridyll im Hochgebirg. (Zu dem Bilde S. 885.) Frau Holle hat ihr Federbett ausgeschüttelt. Der Winter liegt über Berg und Thal. Hoch in den blauen klaren Himmel ragen die beschneiten Gipfel der Bergriesen. Die Aeste der Waldbäume krachen unter der weißen Last. Da und dort lugt ein Stück Wild scheu aus dem Walde oder naht sich gar neugierig den menschlichen Wohnungen. Friedsames Schweigen überall. Das Hochgcbirg schaut in seinem blühweißen Festgewand noch viel feierlicher und majestätischer aus als in dem abwechslungsreichen Grün der Wälder und den verschiedenen Farbenschatiierungen der Felspartien, die nun auch ihre Uniform erhalten haben. Weiter hinaus über Wald und Felsen ragt in der Ferne manch glänzender Zacken. Das sind die in ewigem Eis und Schnee starrenden Firne.

Das Leben im Gebirg spielt sich während des Winters in ziemlich engen Kreisen ab. Wenn die „Manderleut’“ nicht gerade auf Holzarbeit draußen sind oder mit dem Stutzen über der Achsel einem fetten Braten im Hochwald nachspüren, dann liegen sie in der „bacherlwarm“ geheizten Stube auf der Ofenbank und qualmen aus ihren kurzen Pfeifen, daß die Luft „zum Schneiden“ dick ist. Die Weiber haben in Küche und Stall oder am Spinnrocken zu thun. Abends setzt es dann meistens einen gemütlichen „Hoamgart“ ab. Ein lustiger Bua stimmt die Zither und läßt einen „Hopserischen“ (Polka) oder „Schiaberischen“ (Walzer) los. Ja, von solch einem weltabgeschiedenen Winteridyll im Hochgebirg lassen sich unsere nervösen Städter in ihren prunkvollen Musentempeln, Konzert- und Ballsälen nichts träumen. Und doch wäre es für manchen ein wahres Nervenbad, einmal längere Zeit von der ganzen Welt nichts zu wissen, als was das Wochenblättlein oder der gar nur alle vierzehn Tage erscheinende „Pilger“ in die Einsamkeit bringt.

Ein solches echtes Winteridyll zeigt unser Bild mit dem verschneiten Einödhof. Weihnachten ist vorüber. Das neue Jahr steht vor der Thür. Es ist ein weiter Weg bis zu dem abgelegenen Gehöft hinauf. Der kecke lebfrische Bua, der bei der Tochter vom Haus im Stubenerker sitzt, hat heute tüchtige Steigeisen anlegen müssen, damit er auf dem steilen und schlüpfrigen Waldpfad nicht bei jedem Schritt vorwärts zwei Schritte zurück rutschte. Ließ es sich aber doch nicht verdrießen, der Seppl, dem Moidai am Sylvestertag noch einen Besuch abzustatten, damit das alte Jahr fröhlich ende und das neue noch besser anhebe! Die beiden Brüder des Moidai und der Knecht sind heute ins Holz. Die Jungdirn muß im Stall den Kühen frische Streu unterbreiten und der alte Bauer ist gar mit seinem Vorderlader ausgerückt, um den Fuchs abzupassen, der der Bäurin neulich die beiden besten „Legerinnen durch hat“. Die Bäurin hantiert in der „Kuchel“ herum und wärmt für den Seppl „a Schalerl Kaffee“; denn er ist „soviel a feiner Bua, der Seppl“. Mit dem Spinnen wird’s bei dem Moidai heute wohl gute Weile haben. Sie muß ja immer wieder horchen, was der Seppl „Neu’s verzählt“. Was sich zwischen den zwei jungen Herzen spinnt, das wollen wir nicht verraten. Vielleicht bekommt der Pfarrer schon auf Dreikönig ein neues Brautpaar zu verkünden. …

Draußen kräuselt sich der Rauch aus dem Kamin des einsamen Bauernhofes und verfliegt über den hohen Fichten und Tannen am Waldrand. Friede ringsum, über Berg und Schnee und Wald der ewige Himmel. Ein leichter Wind zieht durch die Bäume, von fernher auf der Wanderschaft und fernhin eilend. Und es ist, als ob er die Botschaft brächte mit leisem Rauschen … Ewigkeit im Himmel ist – Jahreswend’ auf Erden. … R. H. Greinz.     

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 891. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0891.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)