Seite:Die Gartenlaube (1896) 0890.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

freuen, mit der Du ihn auch allein gehen willst. Aber Dein Weg ist selbst gewählt, Herzenstochter, und wenn die Kinder eigne Wege gehen, dann sehen die Eltern immer besorgt hinterher – das ist nicht anders! Und daß Du allein bleiben willst –“ Sie brach ab.

Käthe hing den Kopf. „Allein?“ gab sie zurück, „Ich bin doch nicht allein – ich habe ja euch – ihr Guten, Geliebten –“

„Ja, das hast Du,“ sagte der Vater ruhig, „aber wie lange hast Du’s? Wer weiß denn, Käthel, wie lange uns die Lebensfahrt noch bei einander läßt und wann die Wegscheide kommt, wo wir Dich allein weiterschreiten lassen müssen, und wir hätten es lieber gesehen, wenn wir dann einen Gefährten auf der Wanderschaft neben Dir gewußt hätten, Wenn’s bei uns immer stiller wird und es wäre da oben in Deinem neuen Quartier immer lustiger und lauter geworden, wir hätten eure jungen Stimmen gehört – und später noch lustige, kleine Stimmen dazu! Es ist nun ’mal nicht anders – wenn die Eltern aufhören, den Kindern Eltern im strengsten Sinne zu sein, dann möchten sie gern Großeltern sein – das haben wir beiden Alten uns immer so schön gedacht – na, es sollte nicht sein!“ –

„Aber nun mache ihr das Herz nicht schwer,“ sagte die Bürgermeisterin und stand auf, „wir haben eingewilligt, daß sie ihr Reich allein hat, und nun wollen wir ihr nicht mit Bedenken und Seufzen den Eingang verrammeln. Es kam uns beiden nur vorhin so unwillkürlich der Gedanke, wie hübsch es gewesen wäre, wenn Du einen Polterabend gehabt hättest wie andere Mädchen auch, Käthe – aber wie er nun einmal ist, soll er so vergnügt sein, wie Du ihn Dir nur irgend hast träumen können, und nun wird es Zeit, ernstlich dran zu gehen; es wird schon dunkel und die Lampen müssen angezündet werden.“

Damit stand die alte Frau eilfertig auf, nickte der Tochter liebevoll zu und ging hinaus, der Vater folgte.

Käthe stand in tiefem Sinnen.

„Also die Eltern hätten’s auch lieber gewollt!“ sagte sie leise vor sich hin, Sie wußte selber nicht, ob sie ihre Zweifel hatte bestärkt oder verscheucht sehen wollen, und der Gedanke, mit dem sie sich zu trösten versuchte, daß dies nur die letzten Wellenschläge der Ungewißheit seien, ließen ihr den Hafen, in den sie heut’ einlaufen wollte, nicht reizvoller erscheinen.

Darüber war denn der Abend gekommen.

Das alte Haus an der Landstraße strahlte im Lichterglanz; vor den Thüren brannten große Pechpfannen und warfen ihren rötlichen Schein weit in die Baumallee hinaus; in einer Viertelstunde sollten die Gäste kommen.

Käthe benutzte diese letzte Minute, um sich, ein großes Spitzentuch über Kopf und Schultern geworfen, in den dunklen Garten zu flüchten und dort in rastlosem Auf- und Niedergehen unter den Bäumen ihr Herz zur Ruhe zu sprechen, so gut es eben gehen wollte.

Als sie von fern den Doktor kommen sah, der als Hausfreund und Festordner etwas früher erschien als die anderen, drückte sie sich scheu in den tiefen Schatten der Bäume, in der begreiflichen Feigheit, die eine Entscheidung lieber hinausschieben möchte als ihr einen Schritt entgegen thun.

Der Doktor bemerkte sie auch nicht oder schien sie doch nicht zu bemerken – er ging, ohne rechts und links zu blicken, ins Haus hinein. Dort begab er sich stehenden Fußes zu den alten Herrschaften.

Die saßen, der Bürgermeister im Frack mit den Ordenszeichen, die Mama im silbergrauen Seidenkleide, mit dem Spitzenhäubchen anf dem weißen Haar, wie ein altes Brautpaar Hand in Hand unter den Familienbildern und erhoben sich beim Eintritt des Doktors, um ihn mit ihrer einfachen, feinen Herzlichkeit zu begrüßen.

Was der Doktor noch mit ihnen so kurz vor Thoresschluß zu verhandeln hatte, das weiß ich nicht – ich weiß nur, daß die beiden Alteu uach der kurzen Unterredung sehr bewegt und sehr vergnügt aussahen und dem guten Freunde immer einmal übers andere die Hände schüttelten. Daraus dürfen wir wohl schließen, daß er mit allem, was er vortrug und erbat, ihre volle Billigung hatte, und können dem Ausgang seiner Sendung beruhigten Herzens entgegen sehen, da wir ja der schönen Turandot trotz alles warmen Interesses nicht so nahe stehen wie ihre Eltern.

Es war aber Zeit, daß alle Privatkonferenzen und Vorbereitungen ein Ende fanden, denn schon kamen die ersten Gäste nach Ortssitte die Laternchen als tragbare Straßenbeleuchtung mit sich führend – den Bamngang entlang; es folgten bald mehrere, und eine fröhliche, angenehm erwartungsvolle Menge strömte zur festgesetzten Stunde in die Zimmer, um die Braut ohne Bräutigam zu begrüßen, zu beschenken und zu beglückwünschen zu dem neuen Lebensabschnitt, den sie auf eine so absonderliche Art zu beginnen gedachte.

Ein Teil des großen Saales, in dem die Vorstellungen vor sich gehen sollten, war durch einen Vorhang abgeschlossen und solchergestalt zur Bühne umgewandelt. Vor denselben war ein Lehnstuhl geschoben – einer, als sofort greifbarer Unterschied dieses Polterabends vor andern seinesgleichen – und in diesem Lehnstuhl saß „Fräulein Turandot“ als Hauptperson.

Aller Blicke hingen mit lachender Spannung an ihr, während sie so ernsthaft und still drein sah wie ein Opferlamm, das morgen mit einem aufgezwungenen Freier getraut werden soll, so daß das Schlagwort: „Sie muß doch immer etwas Apartes haben!“ wieder einmal zur Anwendung zu kommen drohte.

Statt des üblichen Brautkranzgedichts erschien hier der Mops mit dem Strickstrumpf – die Attribute des alten Fräuleins, dann marschierte eine Kompagnie Freier auf, jeder einen mächtigen Waschkorb mit betrübten Mienen in den Händen tragend, mancherlei Scherze, Anspielungen auf die Prinzessin Turandot und den nun doch ausgebliebenen Kalaf flogen hin und her, und neben lustigen und liebevollen Aufmerksamkeiten fehlte auch hin und wider der kleine Stachel nicht, den Neid und Schadenfreude dem lieben Nächsten unter Blumen reichen läßt.

Aber Käthe hielt dem Doktor Wort: sie nahm alles mit gleicher Fassung hin; sie lachte, wo es erwartet wurde, und sah gerührt aus, wenn man es verlangte, ganz programmmäßig.

Der Doktor stellte diesen befriedigenden Erfolg seiner heutigen Standrede mit innerlicher Genugthuung fest, während er hin und her ging, um die Sache zu überwachen.

„Eigentlich bin ich doch ein guter Kerl!“ dachte er mit stiller Rührung bei sich, „daß ich mir solche Mühe um einen Polterabend gebe, der von Rechts wegen der meinige hätte sein sollen – wenn es nach mir gegangen wäre!“

Als Schlußeffekt des Ganzen kamen nun die Bilder aus dem Leben der Hauptperson, eins nach dem andern. Die schönen Augen der Braut ohne Bräutigam wurden immer größer, ihr Atem ging immer schneller, als Kinderstreiche und Jugendträume, um die außer ihr nur noch einer wissen konnte, in meisterhaften Strichen vor ihren Augen vorbeizogen, als ein leises Raunen der Bewunderung und des Staunens um sie her flüsterte und immer die Frage wieder hörbar wurde: „Wer hat das gemacht?“, die sie so gut hätte beantworten können.

Der Apotheker kämpfte im Hintergrund einen verzweifelten Kampf mit sich selbst, ob er sich nicht als den Autor vorstellen sollte, denn alle Welt wußte, daß er die Bilder hatte zeichnen sollen. Schließlich aber verzichtete er auf diesen Ruhm, ein Viertel aus Anstandsgefühl und drei Viertel aus dem beschämenden Bewußtsein heraus, daß es ihm doch keiner geglaubt hätte!

Als nun aber ein Bild kam, wo Käthe, nur im verlorenen Profil zu sehen, im Garten stand und eine schlanke Jünglingsgestalt,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 890. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0890.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)