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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

anfing beängstigend zu werden, „nun? was haben Sie denn, Fräulein Käthe? Soll ich ein Rezept gegen Nervenverstimmungen schreiben, die Sie doch, nach eigener Versicherung, Ihr Leben lang nicht gekannt haben?“

Sie schüttelte mit einem halben unsichern Lächeln den Kopf und schwieg wieder, wie unfähig, die rechten Worte zu finden.

„Oder,“ fuhr der Doktor beobachtend fort, „ist Ihnen die Vernunftehe mit dem lieben Selbst leid geworden? Haben Sie sich mit ihm entzweit und wollen statt des Solo doch lieber ein Duett zu singen versuchen?“

Sie wurde glühend rot und blickte rasch in die Höhe.

„Haben Sie ihn gesehen?“ frug sie hastig und im selben Augenblick tief erschrocken über ihre Unbedachtsamkeit.

Der Doktor sah, dem Anschein nach, sehr verblüfft drein.

„Wen?“ frug er und that erstaunt und ahnungslos, während er sich ein innerliches „Aha!“ nebst stillem Triumph über seine Anlage zur Pfiffigkeit gestattete.

„Ich meine – ich dachte – ich meinte – meinen Vater!“ brachte Käthe in größter Verlegenheit und nicht sehr glaubwürdig hervor.

Der Doktor schüttelte bedächtig den Kopf.

„Hören Sie mich einmal an, Fräulein Käthe,“ begann er dann ernsthaft, „wenn ein Mensch den Doktor holen läßt, dann nimmt man gewöhnlich an, daß ihm etwas fehlt! Und wenn der Doktor ihn dann kurieren soll, so muß er vor allen Dingen wissen, wo es fehlt! Sie haben mich holen lassen – was Sie meines Wissens um Ihretwillen noch nie gethan haben – ich komme im Drange der Geschäfte, in Polterabendsorgen, und nun stehen Sie vor mir wie ein kleines Schulmädchen, das beim Aufgabenabschreiben ertappt worden ist, lassen den Kopf hängen und wollen mir keine Auskunft geben. Ja, was soll ich denn da eigentlich mit Ihnen anfangen?“

Der lustig liebenswürdige Ausdruck seines Gesichts und der gemütliche Ton der kleinen Strafrede hatten Käthe ihre Fassung wieder gebracht. Sie lächelte den guten Freund mühsam an.

„Sie haben vollständig recht!“ sagte sie mit einem gewaltsamen Ansatz zur Selbstbeherrschung, der ihr kümmerlich genug gelang, „lachen Sie mich nur tüchtig aus – das wird mir gut thun! Ja, lieber Herr Doktor, ich habe ein Anliegen, ich weiß nur nicht, wie ich es Ihnen am besten vortragen soll. Mir fehlt nichts – oder mir fehlt doch vielleicht allerlei – jedenfalls aber habe ich etwas zu viel und das ist ein Polterabend! Ich will ihn nicht haben, und ich mag ihn nicht haben, und Sie sollen das undankbare Amt übernehmen, den Gästen allen zu sagen, daß sie heute abend zu Hause bleiben möchten – daß ich krank geworden wäre – Sie sollen’s auch den Eltern sagen! – Mir ist der Gedanke zuwider, und ich mag nicht mehr – ich könnte es gar nicht ertragen, heute abend – glauben Sie mir!“

Der Doktor zog das erregte Mädchen sachte auf einen Sessel neben sich nieder.

„Nun sagen Sie einmal, was ist denn in Sie gefahren?“ fragte er ruhig. „Haben Sie uns allen - mich nicht ausgeschlossen! – nicht schon genug zu raten aufgegeben, daß Sie heute – heute vor allen Tagen im Jahr, noch einmal damit anfangen müssen? Das sieht ja meiner klugen, verständigen guten Freundin gar nicht ähnlich, daß sie so ihren eigenen Gefühlen und Wünschen mir nichts, dir nichts die Zügel auf den Hals wirft und sie durchgehen läßt – ganz unbekümmert darum, ob sie ein paar anderen Menschen den Blumengarten zertreten, an dem sie ein ganzes Weilchen gebaut haben! Denken Sie doch einmal daran, wie die guten Leute hier alle – mich abermals nicht ausgeschlossen! – sich seit Wochen Mühe gegeben haben, ein doch von Ihnen selbst erdachtes Pläsir in Scene zu setzen, wie sie nun nach und nach selbst Vergnügen daran gefunden haben und sich darauf gefreut haben – und nun – um einer Laune willen, wie sie Ihnen wirklich gar nicht zu Gesicht steht, weil man sie so gar nicht an Ihnen gewöhnt ist, soll das alles umsonst gewesen sein?!“

„Nein!“ sagte Käthe jetzt energisch und hob ihre thränenfeuchten Augen ehrlich zu dem Sprecher auf, „nein – Launen habe ich nie gehabt, lieber Freund, und werde wohl jetzt nicht damit anfangen – aber etwas andres habe ich gehabt, was mir wohl keiner zutraut – eine alte Liebe habe ich gehabt – und sie erst heute für immer verloren! Und wenn mir da – an dem Tage nicht gerade nach Spaß und Scherz und Polterabend zu Mute ist, das kann mir doch wahrhaftig keiner verdenken!“

Und sie schlug die Hände vors Gesicht und brach in ein leidenschaftliches Weinen aus, das um so schmerzlicher auf den Zuhörer Eindruck machte, weil es mit ihrer sonstigen kühlen und beherrschten Weise in so grellem Widerspruch zu stehen schien.

Der Doktor ließ sie ruhig ausweinen, und dann nahm er ihre Hand und behielt sie in der seinen.

„Nun, Fräulein Käthe, seien Sie verständig,“ sagte er mit Herzlichkeit, „jetzt wollen wir zunächst einmal sehen, ob wir die Sache, die Sie so außer sich selbst gebracht hat, nicht in logischer Folge erfahren. Wir wollen mal ,Frage und Antwort‘ spielen, damit Sie nicht zu erzählen brauchen! Sie sollen nur nicken und schütteln – dann werde ich mir das übrige mit meinem gewohnten Scharfsinn schon zurecht denken. Sie wollen? Das ist recht! Also – die alte Liebe! Ist er Ihnen untreu geworden? Nein! Oder Sie ihm? Auch nicht! Ist er ein Taugenichts? Was – so viel Nein! Ist er ein Maler? Ja? Ist er hier? Nein? – Das stimmt nicht, Fräulein Käthe – er ist hier, und ich habe ihn selber gesehen und bin gestern abend mit ihm im ,Lamm‘ zusammengewesen – er ist hier!“

„Nein!“ stieß Käthe unter erneutem Thränenstrom hervor, „er ist nicht mehr hier – er ist abgereist – er hat mir heute morgen auf immer Lebewohl gesagt – und er kommt nie – nie wieder!“

„Na!“ sagte der Doktor, „das wollen wir erst mal sehen! Geben Sie mir Vollmacht, Fräulein Käthe, und ich gehe und bringe die Sache in Ordnung – seien Sie ganz ruhig – wenn nicht heute, dann morgen. Wenn man von einer so schönen Jugendliebe im Aerger fortgeht, um nienie wiederzukommen, dann pflegt man, meiner langjährigen Erfahrung nach, am nächsten Tage wieder da – oder gar nicht abgereist zu sein; lassen Sie mich mir mal machen! Ich habe schon schwierigere Sachen wieder ins rechte Geleis gebracht,“ setzte der Doktor mit großem Selbstgefühl hinzu.

Käthe sah zweifelhaft zu ihm auf.

„Aber nun versprechen Sie mir vor allen Dingen etwas,“ fuhr der Doktor fort, „Sie lassen heute abend die Polterabendscherze, die Glückwünsche und harmlosen Späße der guten Leute so ruhig, so gefaßt, so liebenswürdig über sich ergehen, wie wir’s alle an Ihnen gewöhnt sind, und haben mal Zutrauen zu Ihrem alten Doktor und Verehrer, dem es doch eine Ehrensache ist, daß seine erste und hoffentlich einzige Kur an Ihnen gelingen soll. Also Geduld und Fassung – und ein paar rötere Backen zu heute abend, Fräulein Käthe! Das ist gar kein Gesicht für eine Braut, die heute Polterabend feiert, und wenn’s auch einer ohne Bräutigam ist.“

Er nickte ihr zu und ging.

Käthe blieb zurück, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, und mit einem so unruhig schlagenden Herzen, wie sie sich’s garnicht mehr zugetraut hätte.

(Schluß folgt.)



Blätter und Blüten.


Amerikanische Flugmaschinen. In die Reihe derer, die es zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, dem Menschen, der bereits Erde und Wasser unumschränkt beherrscht, auch die Luft zu erschließen, sind in den letzten Jahren mehrmals namhafte amerikanische Konstrukteure eingetreten. Als echte Kinder ihres energievollen Landes packen sie meist auch diese Aufgabe gleich im großen Umfang an: langsam fortschreitende Uebungen, Segelapparate und dergleichen Mittel, mit denen man wohl diesseit des Oceans das Problem zu lösen hofft, gelten ihnen nichts, sondern meistens ist es gleich der Dampf, mit dessen Hilfe sie die Luft im großen Maßstab zu bemeistern suchen. Zwei der neueren Versuche dieser Art haben einige Erfolge gehabt und werden wohl fortgesetzt werden, da es ihren Erfindern nicht an Mitteln fehlt. Der eine der beiden Konstrukteure, Herr Maxim, hat sich bei dem bestehenden Ueberfluß von noch unerprobten „Lösungen“ der Flugfrage nicht lange mit Erfinden aufgehalten, sondern ist frisch daran gegangen, denjenigen Lösungsgedanken, der ihm am meisten Gewähr des Gelingens zu versprechen schien, in die That umzusetzen. Eine Möglichkeit, sich selbst und große Massen in der Luft schwebend zu erhalten, liegt nun, wie kein Physiker bestreitet, in der Anwendung schräg geneigter Flächen, die mit einer gewissen Schnelligkeit horizontal vorwärts bewegt werden. Jeder im Winde stehende Drachen liefert einen Beweis

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 875. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0875.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)