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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Augenblick – wir müssen uns nur erst darüber einigen, was wir beide unter ,gut‘ verstehen! Wenn Sie damit meinen, daß meine Kunst mir einen angesehenen Namen, ein sicheres Brot und ein reiches Leben gebracht hat – dann muß ich wohl mit Ja! auf Ihre Frage antworten; aber wenn es sich darum handelt, ob meinem Leben nichts fehlt, ob ich gar keinen unerfüllten Wunsch mit mir herumtrage und herumgetragen habe, dann läßt sich freilich sehr darüber streiten, ob es mir gut gegangen ist!“

„So hoch versteige ich mich gar nicht!“ sagte sie, und mit derselben kühlen Liebenswürdigkeit, die aber zugleich einen leisen Spott durchschimmern ließ, fügte sie hinzu: „Ein Geschick, dem nichts fehlt – das ist doch ein gar zu kühner Wunsch, selbst für einen Künstler, der freilich immer meint, daß für ihn eben das Beste gut genug ist, und daß er zum Leben nur zu sagen braucht: ‚Bäumchen, rüttl’ dich, schüttl’ dich!‘, damit es ihm alles zuwirft. Ich bin eine zu prosaische Natur für solche Märchengedanken!“

Die leise Bitterkeit, die in ihren Worten klang, gab ihm zum erstenmal Hoffnung, daß ihre Ruhe nicht ganz natürlich sein möchte. Er empfand mit einer Art von Empörung, wie schnell, wie sicher und diesmal – wie unheilbar ihn seine schöne Jugendfreundin wieder in ihren Bann verstrickt habe, und seiner kecken Natur gemäß, die immer in Sprüngen auf ihr Ziel loszugehen gewohnt war, wollte er einen Gewaltstreich versuchen. Sein Glück bei Menschen, mit dem man ihn oft geneckt hatte, hier konnte es ja einmal die Probe bestehen – eigentlich zum erstenmal, daß ihm wirklich etwas daran gelegen war!

Er trat rasch auf sie zu.

„Käthe, wir wollen uns doch nicht mit Wortgefechten und Komödien aufhalten,“ sagte er. „Ich bin wiedergekommen – ich sage es Ihnen ehrlich, ohne selbst genau zu wissen, warum – nur in dem dunklen Gefühl, daß mir bei allen Erfolgen der beste Erfolg noch vorenthalten sei! Ich habe Sie wiedergesehen – und seitdem ist alles in mir klar, sonnenklar geworden! Was mich zurückführte, war derselbe starke, unwiderstehliche Trieb, der es dem Mandervogel im Süden sagt, wenn es daheim Frühling wird und da bin ich wieder, Käthe! Nicht mehr der ungestüme, wilde Junge steht vor Ihnen, der damals sein Glück, wie ein blinder Narr, von sich warf, sondern ein fertiger Mann, der es sich holen kommt – ein Glück, das viel größer ist, als es ihm in seinen kühnsten Träumen vorschwebte, und das daheim auf ihn gewartet hat. Zu Ihren Füßen, Käthe, will ich –“

Sie hob mit einer leichten, bestimmten Bewegung die Hand in die Höhe und hielt ihn zurück. Eine lebhafte Glut des Unwillens hatte während seiner letzten Worte ihr Gesicht bis unter die dichten Haarwellen überflutet, die feinen dunklen Augenbrauen zogen sich fast drohend zusammen.

„Halt!“ sagte sie, „wir verstehen uns, glaube ich, nicht recht, Herr Hansen! Was meinen Sie damit, daß das Glück, welches Ihnen vorschwebte, größer ist, als Sie es geträumt haben? Meinen Sie, daß dies armselige Gesicht mit seinem bißchen roter und weißer Farbe bei dem alternden Mädchen sich noch besser ausnimmt, als Sie es sich versprochen haben? Denn nur das können Sie doch mit dem ,Glück‘ meinen! Was sonst aus mir geworden ist, das wissen Sie ja gar nicht und können es nicht beurteilen! Wenn Sie mein Leben während der letzten zwölf Jahre gelebt hätten, dann würden Sie wissen, daß Sie sich keinen schlechteren Anwalt hätten wählen können als das, was die Leute meine Schönheit zu nennen belieben und was mir wahrhaftig nur ein paar sehr kurze Jahre hindurch Freude gemacht hat. Und das Glück hätte ,auf Sie gewartet‘, sagten Sie? Das ist doch ein bißchen viel Künstlerstolz, und den muß ich Ihnen dämpfen, wenn ich Ihnen sage: nein – ich habe nicht auf Sie gewartet – es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen!“

Er sah finster zu Boden, aber er antwortete nicht – er hatte einen Zweig von der Hecke gerissen und zerpflückte ihn, während sie sprach, in lauter kleine Stücke und Stückchen, ohne aufzublicken.

„Was wäre denn wohl aus mir geworden, wenn ich die ganzen langen Jahre auf Sie gewartet hätte?“ frug sie hart und fast ein wenig verächtlich weiter. „Ein verkümmertes Pflänzchen, das aus Mangel an Sonnenlicht sich in die Ecke zurückzieht und keinem zu Nutz und Freude blüht. Nein – als ich – ich will Ihnen nicht abstreiten, daß es lange gedauert hat! – aber als ich einsehen lernte, daß Sie es übers Herz brachten, nicht nur fortzulaufen, sondern auch fortzubleiben – daß kein einziges Mal Ihnen der Gedanke kam, mich mit einem Wort darüber aufzuklären, was aus Ihnen geworden sei – als ich nur durch die Ankündigungen Ihrer Bilder da und dort erfuhr, daß Sie noch lebten und daß es Ihnen wohl erging, da habe ich zu gärtnern angefangen, Herr Peter Hansen! Nicht bloß hier bei den Weinranken und Himbeersträuchern – nein, mich an mir selbst und an meinem eigenen Herzen. Ich habe mich aufgerichtet und festgebunden an meiner Selbstachtung und meinem Mädchenstolz – und habe die Ranken abgeschnitten, die sich noch an die alte Zeit festklammern wollten. Ich habe mir gesagt, daß es meiner nicht würdig wäre, um Einen zu trauern, der mich so vergessen konnte! Und nun bin ich fertig mit mir! Ich habe die schweren Jahre hinter mir, wo die Jugendfreuden abfallen wie die ersten Blätter im Herbst; ich weiß jetzt ganz genau, was ich am Leben habe – und es würde mir gar nicht in den Sinn kommen, meine Ruhe noch einmal in den Wind zu werfen, damit ein beliebiger Springinsfeld, und sei er zehnmal ein berühmter Maler und heiße er auch Peter Hansen, sie wieder auffangen und damit Fangball spielen kann!“

Sie hatte sich so in heißen Zorn hineingeredet, daß sie ihn zum Schluß gar nicht mehr ansah. Er hatte sich wie zerschmettert auf die Gartenbank fallen lassen, den Stock in die Erde gesteckt, die Hände darauf, und starrte düster vor sich hin, mit eben dem traurigen Blick, den sie vor Jahren so an ihm geliebt hatte. Genau so finstere Augen hatte er damals gemacht – sie wandte den Kopf unruhig ab.

„Und nun seien Sie mir nicht böse!“ sagte sie in unsicherem, weicherem Ton, „sehen Sie, das mußte vom Herzen herunter! Nun können wir das Blatt umwenden und ein neues Kapitel anfangen – gute Freunde werden, wie es sich für ein altes Mädchen ziemt, das sich jeden Heiratsantrag und jede Liebeserklärung ohnedem von heute an kontraktlich zu verbitten gewillt ist!“

Sie sah ihn nicht mehr an, um sich besser gegen ihr eigenes Herz wehren zu können – sie sah an ihm vorbei, in die blaue Luft hinein, einer Lerche nach, die eben leise trillernd in den Himmel stieg.

„Was wollten Sie denn hier anfangen?“ frug sie nach einer Weile in halb trotzigem Ton.

Er griff nach seinem Hut, den er vorhin von sich geschleudert hatte. „Das werde ich ja wohl für mich behalten dürfen!“ sagte er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 873. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0873.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)