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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Das letzte Blatt.

Was nicht der Herbst im Sturm genommen,
Vom Baume jäh hinweggerafft,
Das ist im Winter umgekommen.
Starr ruht das letzte Tröpflein Saft.

Im Gipfel – wo auf weichem Pfühle
Zur Sommerzeit der Vogel singt –
Gelb, wie ein Glöcklein im Gestühle,
Das letzte Blatt im Winde schwingt.

Auch das wird bald zur Erde gleiten,
Doch laß getrost es untergeh’n,
Denn es gehört vergang’nen Zeiten,
Und neues Grün will aufersteh’n.
 Max Hartung.




Turandots Polterabend.

Erzählung von Hans Arnold. Mit Illustrationen von A. Mandlick.

      (Fortsetzung.)

Die Nacht war vergangen und ein herrlicher, taufunkelnder, sonniger Morgen brach an – das Wetter schien sich an den allgemeinen Huldigungen des Städtchens für die schöne Käthe beteiligen zu wollen.

Die Heldin des Tages war, ihrer Gewohnheit entsprechend, mit der Sonne aufgestanden und in den Garten gegangen, wo sie die Ranken der Himbeersträucher anband und mit der Baumschere sachverständig dazwischen herum hantierte. Ihr anmutiges Gesicht sah ruhig und heiter aus; die Vernunftheirat, die sie heute mit sich selbst zu schließen im Begriff stand, mußte wohl das Richtige sein; sie sang leise vor sich hin in der Morgensonne und hatte so recht das befriedigende Gefühl des „von neuem Anfangens“, wie es uns mit dem Frühjahr so gern beschleicht.

Mit solchem Eifer war sie bei ihrer zierlichen Arbeit, daß sie es gar nicht bemerkt hatte, wie ein Fremder geräuschlos an die Hecke getreten war und ihr mit einem Blick gerührten Entzückens wohl schon fünf Minuten lang zugesehen hatte, bis er sich endlich entschloß und durch ein leises Räuspern die Aufmerksamkeit der einsamen Gärtnerin auf sich zu ziehen suchte.

Sie blickte empor -– sah in ein dunkelgebräuntes, offen blickendes Gesicht, sah zwei Hände, die sich ihr über die Hecke entgegen streckten, und stand stumm und sprachlos. Nicht einen Augenblick zweifelte sie, wer es sei, der ihr da so plötzlich gegenüber stand; das Blut schoß ihr sinnverwirrend in den Kopf und dann zum Herzen zurück; sie hielt wie geblendet die Hand vor die Augen und lehnte sich blaß und still an das Gitterwerk der Himbeersträuche zurück.

Da hatte aber auch schon Peter Hansen mit einem Satze, der vor zwölf Jahren nicht hätte kühner sein können, die Hecke übersprungen und stand neben ihr, den Hut in der Hand.

„Käthe – liebe Käthe!“ rief er mit feuchten Augen, „habe ich Dich – habe ich Sie erschreckt? Wollen Sie mir nicht Guten Tag sagen und die Hand geben, nach so langer Zeit?“

Das vertraute „Du“ der alten schönen Tage hatte sich ihm unwillkürlich in „Sie“ umgewandelt, als sie sich so rasch, so unheimlich rasch gefaßt hatte und nun mit einer hoheitsvollen Freundlichkeit vor ihm stand, die ihm mit einem Schlage klar machte und klar zu machen hatte, daß zwölf Jahre eine lange Zeit sind und daß sein Konto von diesen zwölf Jahren her noch unbeglichen war.

„So sind Sie wieder einmal in der Heimat, Herr Hansen?“ sagte sie mit kühler Ruhe und gab ihm die feine schmale Hand, die er auf so vielen seiner Bilder aus der Erinnerung angebracht hatte, „man hat Sie lange nicht hier gesehen, und Sie sind ja wohl auch mit niemand in Verbindung geblieben! Sie werden manches hier verändert finden – die Stadt ist größer und wir Menschen älter geworden! – Ihnen ist es gut ergangen?“

Er sah sie, während sie so sprach, mit einer Art von dumpfer Verwunderung an. War das wirklich seine Jugendliebe? War diese ernsthafte, stolze, junge Dame mit dem schlicht zurückgestrichenen schweren Scheitel, der den feinen Kopf so vornehm einfaßte – war sie denn wirklich identisch mit dem schönen lustigen Kinde von damals, dem die dunklen Haare nur so um die Stirn flogen, und das sie so wild zurückzuschütteln verstand?

Und hatten diese großen ernsthaften Augen ihn immer so ruhig angeblickt – oder hatte er sie zuletzt in angstvollen Thränen schwimmend auf sich gerichtet gesehen und die Bitte gehört: „Peter, geh’ nicht fort – geh’ wenigstens nicht im Zorn fort, Peter!“

Hatte er damals geträumt, oder träumte er jetzt? So tief war er in diese Gedanken verloren, daß er sie ihre Frage wiederholen ließ: „Es ist Ihnen gut ergangen?“ ehe er mit Ungestüm darauf antwortete: „Nein – es ist mir nicht gut ergangen, Käthe – wenn ich es mir auch nie so klar gemacht habe wie in diesem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 872. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0872.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)