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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Helden der Erzählung. Es sind echte, starrköpfige, willensstarke, ehrenhafte Preußen, die im Kampfe mit dem verlotterten Polentum und den geistig zurückgebliebenen Ruthenen zuletzt sich selbst wiederfinden.

Wir müssen es uns versagen, von den anderen Werken Victor Blüthgens zu reden. Außer den genannten Büchern sind noch ein großer Roman, „Frau Gräfin“, sowie zwei Sammlungen von stimmungsvollen Novellen und Humoresken erschienen. Seine neuesten Schöpfungen, die ergreifenden Novellen „In letzter Stunde“ und „Kinderfüßchen“ sind den Lesern der „Gartenlaube“ in frischer Erinnerung. Da er in bester Mannes- und Schaffenskraft steht, so hoffen wir, von ihm noch manche schöne Gabe aus dem reichen Schatz seines Gemütes zu empfangen, dem anscheinend mühelos entquillt, was jung und alt ergötzt und entzückt.


Turandots Polterabend.

Erzählung von Hans Arnold. Mit Illustrationen von A. Mandlick.

Das hübsche altfränkische Landhaus, welches man von der Stadt aus am Ende einer langen Allee von Ahornbäumen liegen sieht, war vor einigen Jahren in den Besitz des früheren Bürgermeisters Dorn übergegangen, der es seit seiner Pensionierung mit seiner Frau und einzigen Tochter bewohnte und seine ganze Zeit auf die Instandhaltung des großen Gartens verwendete, der das Haus von drei Seiten umgab. In diesem Garten, der in Obst-, Gemüse- und Blumengarten eingeteilt war, konnte man zu frühster Frühjahrszeit den alten Herrn in einem fleckenlos sauberen Nankingröckchen bei seinen Pflanzungen hantieren sehen, wo er die Hecke stutzte oder wohl auch mit Hacke und Spaten ein Stückchen Land umgrub und Salatsetzlingen ihre Plätze anwies.

Seine Tochter half ihm eifrig bei dieser Beschäftigung, und die Spaziergänger, die ihr Weg an dem Garten vorbei führte, suchten fast ausnahmslos einen Blick über die Hecke und gleichzeiüg unter den großen runden Strohhut des schönen Mädchens zu thun, das da mit so lieblicher Ernsthaftigkeit und so stolzen, anmutigen Bewegungen thätig war, als sei sie eine verkleidete Prinzessin, die Gärtnerdienste thut – aber gern thut.

Daß diese Schönheit ihre erste Blüte hinter sich hatte und den Dreißigern näher stand als den Zwanzigern, hatte vorläufig ihre Anziehungskraft nicht zu vermindern vermocht, – man hatte ihr, der unbeugsamen Hartherzigkeit gegen ihre Freier halber und wegen deren großer Anzahl, schon den Beinamen „Turandot“ gegeben – aber ein Kalaf wollte sich anscheinend in diesem Fall nicht finden, der dies Rätsel zu lösen imstande war.

Es wurde beinahe zur Ehrensache für jeden biederen Junggesellen, der in die Stadt und in die Heiratsjahre kam, sich ein paar Tage oder Wochen – je nach der Naturanlage – heftig in die schöne Käthe zu verlieben und die Probe aufs Exempel zu machen, ob sie denn auch ihm gegenüber unerbittlich bleiben werde – aber das Ergebnis war unweigerlich das gleiche, und die gekränkten Fräulein und Mütter der Stadtgesellschaft hatten sich schon hineingefunden, die zeitweilige Schwärmerei der jungen Männer für die Bürgermeisterstochter wie eine Kinderkrankheit anzusehen, die jeder durchmachen mußte. Daß aber aus fast all diesen abgewiesenen Freiern’ und Anbetern mit der Zeit ebenso treue und begeisterte Freunde für Käthe Dorn wurden, war wohl der beste Beweis, daß ihre Schönheit nicht nur äußerlich war, sondern daß ihr kluger, ruhig heiterer Sinn und ihr warmes Herz dem anmutigen Gesicht entsprachen und es ergänzten.

Und doch hatte dieses schöne Mädchen, das nebenbei das einzige Kind reicher und hochangesehener Eltern war und dem fast jeder Wunsch erfüllt war, noch ehe es ihn ausgesprochen hatte, nicht immer so ruhig, so fertig, so kühl ins Leben geblickt wie an diesem Frühjahrsmorgen. So wird es auch niemand wunder nehmen, daß der Frühlingswind, der heute mit seinem ersten, kühlen, wilden, ahnungsreichen Brausen durch die fast noch laublosen Wipfel strich, bisweilen noch den unvergänglichen, unvergeßlichen Duft alter Tage auf seinen Schwingen daher trug. An einem solchen Frühlingsmorgen war es ja gewesen, wo die schuldlose, glücklose Geschichte dieses reinen Mädchenherzens ihr Endkapitel gefunden hatte, wo der kaum zwanzigjährige Jugendfreund auf Nimmerwiederkehr fortgegangen war und allen denen Recht zu geben schien, die ihn von jeher für einen unverbesserlichen Leichtfuß und Taugenichts erklärt hatten! Die ruhigen gesetzten Menschen konnten es nicht begreifen, wie er den sichern, warmen Platz in des Onkels Comptoir, die Anwartschaft auf ein glänzendes Erbe in den Wind schlagen konnte, weil er sich nun mal in den Kopf gesetzt hatte, Maler zu werden. Ja, die Liebe zur Kunst und zu freiem ungebundenen Schaffen hatte in ihm alles überwuchert, was ihn an die engen Mauern der Vaterstadt festbinden wollte – alles – auch die erwiderte und von den Hauptpersonen begünstigte Kinder- und Jugendliebe zu der schönen Käthe.

An derselben Hecke, die damals noch um einen Fuß niedriger war als heute, hatten sie gestanden, sie an der einen, er an der andern Seite; er hatte den Hut tief in die Stirn gezogen, damit sie nicht sehen sollte, daß ihm Thränen der Wut und des Schmerzes in den hübschen, trotzigen Augen standen. Der Onkel und Pflegevater hatte ihn am Abend vorher beim Skizzieren getroffen, als er eine dringende Arbeit für ihn erledigen sollte, und da diese Vernachlässigung der Pflichten wahrlich nicht zum erstenmal zum Tadel Anlaß gab, hatte der gestrenge Herr Bürgermeister dem Kunstjünger im ersten Aerger sein Skizzenbuch aus der Hand gerissen und in den Ofen gesteckt, in dem zum Glück oder Unglück an diesem Märztage ein helles Feuer flackerte.

Mit den Blättern dieses Skizzenbuches waren aber auch die letzten Bande zu Zunder geworden, die den Jungen an das Haus des alten Herrn fesselten. Käthe verstand ihn sehr gut in seiner ohnmächtigen Verzweiflung und seinem Jammer über den Verlust der stillen Arbeit vieler Jahre; sie war schneebleich und ihr Mund zitterte, als er ihr in fliegenden Worten, von Verwünschungen unterbrochen, davon erzählte, aber sie versuchte doch, dem Brausekopf gut zuzureden. „Er will ja nur Dein Bestes, Peter,“ sagte sie mit halb erstickter Stimme, „versuch’s doch noch einmal – geh’ nicht so im Zorn fort, Peter!“

Da war er heftig aufgefahren: daß sie das sein Bestes nennen könne, wenn er sein Talent vergraben und verschütten sollte, das sei ihm ein Beweis, daß auch sie ihn nicht verstände, daß sie auch schon angesteckt und angekränkelt sei von der Krähwinkelei hier – und sie hatten sich im Zorn getrennt.

Sie sah es noch, wie er den Hut zog und gegen sie schwenkte, und wie er dann mit großen Sätzen auf der Straße fort in den nebeligen Morgen hinein lief und in dem weißlichgrauen Dunst verschwand – um nie wiederzukommen! Zwölf Jahre waren seitdem ins Land gegangen, und Peter Hansen hatte nichts mehr von sich hören lassen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0848.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)