Seite:Die Gartenlaube (1896) 0843.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Du freiwillig den so viel älteren Mann! Du wirst auch dieses Mal darüber hinweg kommen!“

„Du denkst zu gering von mir,“ sagte sie, ihr Antlitz trocknend und ihrer Stimme Festigkeit gebend. „Bedenke einmal, wie biegsam ein Kindergemüt ist, wie leicht man es beeinflussen und seinen Wünschen geneigt machen kann! Und ich war noch ein Kind, ob es auch nur zwei Jahre sind, die uns von jener Zeit trennen. Zwei Jahre in solcher Ehe, mit der Erkenntnis meines Elends an der Seite eines ungeliebten Mannes, die ändern viel! Du sagst, Du hättest gelitten – was ist das gegen die Qualen, die ich ertrug!“

„So mache ein Ende, trenne Dich von ihm!“ brach es mit Leidenschaft über die Lippen des jungen Mannes. „Längst hätte ich dies von Dir erwartet! Empfindest Du wie Du sagst, so bist Du Dir das schuldig.“

„Du sagst da, was ich tausendmal gedacht! Der Tod meines Kindes hat mir wohl Thränen gekostet, aber ich sah damit die Fessel fallen, die mich an seinen Vater band. Und als ich dann von der schweren Krankheit genas, da habe ich ihn gebeten, mich frei zu geben, den Fehler, den wir durch unsere Heirat gemacht, auszulöschen, indem wir uns in Frieden trennten. Und was antwortete er mir? ‚Niemals!!’ Ich sollte in seinem Hause leben wie ich wollte, aber frei gäbe er mich nie; den Skandal einer Ehescheidung ließe er nicht über sich heraufbeschwören, ich könnte sicher sein: in diesem Punkte wäre er unbeugsam.“

„Und Dein ganzes Leben soll verpfuscht und zerstört sein!“ rief er mit Entrüstung. „Ist es möglich, daß ein Mensch so grausam ist! so erbarmungslos die Zukunft derjenigen vernichtet, die er doch zu lieben vorgiebt?!“

„Und dann sagte er noch etwas anderes. Er fragte mich: ,Wenn Du nun frei wärest, was dann?’ – und, daß ich’s Dir gestehe, damit erschreckte er mich. Meiner Eltern Haus ist mir durch diesen Schritt verschlossen, ebenso wie ihr Herz, darüber bin ich mir klar und auf eigene Füße mich stellen, mir mein Brot verdienen, das kann ich nicht! Ich habe so wenig gelernt, habe auch nicht die körperliche Kraft – was sollte dann aus mir werden?“

„Und an mich, Elfe, an mich dachtest Du gar nicht?“ rief er mit vorwurfsvollem Ton, und eine Scharlachröte überzog sein Gesicht, während seine Augen mit glückstrahlendem Ausdruck sie umfingen, „dachtest nicht daran, daß es einen Menschen giebt, der dem Himmel ans Knieen dafür danken würde, wenn er für Dich leben, für Dich arbeiten dürfte? Ach, Elfe, welche Seligkeit ist es schon, nur zu denken, daß es für uns noch eine gemeinsame Zukunft geben, daß die zehrende Sehnsucht, die mich quält, einmal gestillt werden könnte!“

Er hatte nach ihrer Hand gegriffen und hielt sie mit seinen Händen fest.

„Sagtest Du mir nicht früher einmal, Fredi, daß wir einander nicht heiraten könnten - alle gesetzlichen Bestimmungen seien dem entgegen?“

„Aber doch nur als Offizier!“ rief er lebhaft, „und wer zwingt mich denn, Offizier zu bleiben? Giebt es nicht tausend andere Berufsarten, die man wählen und in deren Ausübung man sein stolzestes Mannesrecht: für sein geliebtes Weib zu arbeiten und zu sorgen, erreichen kann?“

„Fredi,“ sagte sie leise und senkte den Kopf tief Herab, damit er die Thränen nicht sähe, die in ihren Augen standen, „Du ahnst nicht, was Du da auf Dich nähmest! Wir haben es mit Leo erfahren, wie schwierig es ist, jemand, den das Schicksal aus seinem erwählten Beruf geschleudert hat, wieder in Bahnen zu lenken, die einigermaßen mit den anerzogenen Ansprüchen in Einklang zu bringen sind. Und er war Jurist und Verwaltungsbeamter, denen doch sonst so viele Stellen offen stehen. Mit einem Offizier ist es noch viel schlimmer! Ich könnte es nicht ertragen, wenn nur meinetwillen Dein ganzes Leben ein anderes würde, wenn Du, der Du mit den größten Hoffnungen in die Zukunft sahst, schließlich Deine Tage als –“

„Pferdebahnschaffner oder Landbriefträger endetest,“ unterbrach er sie lächelnd, noch immer der glücklichen Erregung, die ihn erfaßt hatte, Ausdruck gebend. „Nein, Liebste, so schlimm wird es nicht werden! Sieh, ich besitze ein kleines Kapital, nur ein ganz kleines, aber ich hielt es, immer ängstlich zusammen, in der Ahnung, daß es mir noch einmal sehr nützlich und wertvoll werden könnte. Das deckt wohl den Unterhalt eines Jahres für uns, und ist man nicht gezwungen, um des Lebens Notdurft willen die erste beste Stelle anzunehmen, kann man ruhig warten und wählen, so findet sich schließlich auch etwas Passendes! Freilich, Elfe, es werden immer nur sehr bescheidene Verhältnisse sein, die ich Dir bieten kann; hungern wirst Du nicht, Liebste, aber von solchem Luxus“ – er sah an ihrer eleganten Toilette hinunter – „wirst Du Abschied nehmen müssen.“

„Ach, der Plunder,“ sagte sie verächtlich, indem sie seinen Blicken folgte, „was gilt er mir! Und Hunger – ob der Hunger nach Glück, nach Liebe Wohl leichter zu ertragen ist als der leibliche? – Ich, Fredi, glaube mir, könnte unter allen Umständen nur gewinnen, aber ich wage es nicht, Dein Leben so zu zerstören!“

„Elfe, kennst Du denn so wenig mein Herz, das nur eine Sehnsucht fühlt: Dich zu besitzen, Dich, nur Dich!“

Er ergriff wieder ihre Hand und hielt sie fest. Schweigend vor sich hinstarrend, schritt sie neben ihm hin, dann sagte sie leise mit zitternder Stimme:

„Ich danke Dir, Fredi, ich danke Dir tausendmal für diese Stunde, aber Dein Weib werde ich nicht ans Liebe zu Dir! Mein Leben ist vernichtet; aber das Deine wird es nicht sein, wenn Du mit kräftigen: Willen die Liebe zu mir niederzwingst. Ich werde Gott bitten, daß Dir dies bald gelingt und daß Du noch einmal – sehr glücklich wirst.“

„Das ist nicht Dein letztes Wort, Elfe! Ich weiß es sicher, daß die Stunde schlagen wird, in der Du alle Bedenken von Dir wirfst und zu mir kommst, um mein Weib zu werden.“

Sie schüttelte den Kopf. „Es darf nicht sein um Deinetwillen. Und nun leb’ wohl, Fredi!“

„Versprich mir, daß Du meine Worte überdenken willst, Elfe! Zu einem heuchlerischen Verhältnis bin ich nicht der Mann. Mag Walden sein, wie er will, das giebt mir nicht das Recht, ihn zu betrügen! Kannst Du Dich aber zu einer befreienden That aufraffen, dann verfüge uneingeschränkt über mich! Mein Leben gehört dann Dir, wie mein Herz Dir immer gehört hat und immer gehören wird! Bis dahin – leb’ wohl, Elfe!“

„Leb’ wohl!“

Sie reichte ihm die Hand hin, dann, um die hervorstürzenden Thränen zu verbergen, wandte sie sich hastig ab und ging den Weg entlang, der noch tiefer in den Park führte.

Einen Augenblick stand er unschlüssig da und sah ihr nach, dann seufzte er tief auf, wendete sich gleichfalls und ging langsamen Schrittes dem Brandenburger Thor zu.

Ohne zurück zu blicken, eilte Elfe vorwärts; aber nur bis zur nächsten Bank trugen sie ihre zitternden Füße, da setzte sie sich nieder, und ohne Rücksicht auf ihre Umgebung und die Vorübergehenden verbarg sie ihr Antlitz in das Taschentuch und ließ den Thränen, die unaufhaltsam aus den Augen strömten, freien Lauf.

Ein Paar kleine Mädchen, die in ihrer Nähe auf dem Rasen spielten, wurden durch das Schluchzen aufmerksam.

„Sieh, Lotti, die fremde Dame weint,“ sagte die eine mitleidig, „was mag ihr fehlen?“

„Sie hat sich gewiß ein Loch in ihr schönes Kleid gerissen wie Du gestern, Rosel,“ meinte die andere.

„Nein,“ entschied die erste, „darum weinen keine großen Leute, sie können es sich doch wieder zunähen.“

Und immer ihre Augen voll Kummer auf die bebende Gestalt gerichtet, schlug sie ein Mittel vor, dessen Untrüglichkeit sie daheim schon erprobt: „Lotti, wir wollen ihr ein Küßchen geben.“

Aber Lotti wollte das nicht, schüttelte den Kopf, steckte den Finger in den Mund und sprang dann eilig davon. Und die kleine Mitleidige stand allein, sah unverwandt auf Elfe, und ihr Mäulchen verzog sich schmerzlich, als sie den klagenden Ton aufs neue vernahm. Dann schlich sie leise an jene heran, legte ihr das Sträußchen, das sie eben auf der Wiese gepflückt hatte, in den Schoß und lief der Gefährtin nach, froh, der weinenden Dame etwas Liebes erwiesen zu haben. - - -

Herr Regierungsrat von Walden ging unruhig durch die Zimmer seiner Wohnung. Einmal ergriff er ein Buch und setzte sich aufs Sofa, dann sprang er auf und nahm an seinem Schreibtische Platz, um nach fünf Minuten wieder auf dem Wege zum Salon zu sein.

Von dem Erker aus sah er die ganze Straße herauf und hinab, und immer aufgeregter spähte er hinaus, ob seine Frau noch immer nicht käme. Vor drei Stunden war sie fortgegangen,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0843.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2019)