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sind imstande, durch Willensstärke eine solche Schwäche zu besiegen. Ihnen allen diene zum Trost die Erfahrung, daß im zunehmenden Alter diese Reizbarkeit mit allen ihren unangenehmen Begleit- und Folgeerscheinungen für körperliches und geistiges Befinden oftmals wesentlich abnimmt, selbst vollständige Heilung erfahren kann.

Für viele besonders nervöse Personen ist ferner die Frage von Interesse, ob nicht Vorrichtungen zu beschaffen sind, um dem arbeitenden oder ruhenden Menschen Schutz vor störenden Gehörserregungen zu gewähren. Man hat mit großem Eifer nach mechanischen Mitteln gesucht, um das Verschließen des Gehorganges auf einfache und sichere Weise zu bewerkstelligen. Am meisten leisten hier der Größe des Gehörganges angepaßte Gummipfropfen. Watte, Wachs, Kakaobutter, gekautes Papier oder andere Stoffe zu diesem Zweck zu gebrauchen, ist nicht nur unnütz, indem der Abschluß nur sehr oberflächlich gelingt, sondern auch gefährlich. Die Ohrenärzte wissen vielfach von langwierigen Leiden zu berichten, die durch gelegentliches Liegenbleiben von Bruchstücken derartiger fremder Körper im Gehörgang entstanden. Am verbreitetsten ist das von Hauptmann a. D. Plessner in einer Schrift empfohlene oder das Böttchersche Antiphon (bestehend in einer stählernen Kugel mit kleinem Anker), das bei sorgfältiger Auswahl der dem Gehörgang entsprechenden Größe Vorzügliches leisten kann. Dasselbe wird von der Optischen Jndustrieanstalt in Rathenow angefertigt und ist bei den meisten Instrumentenmachern käuflich zu haben.

Daß Aerzte eine Vervollkommnung auf diesem Gebiete erstreben und anerkennen, ergiebt sich aus der Thatsache, daß vor kurzem Professor O. Rosenbach in Breslau diese Frage in Fachzeitschriften erörtert hat. Er empfiehlt, ein kleines Stück Verbandwatte mit Vaseline so stark als möglich zu tränken und daraus eine gleichmäßige Masse zum Ohrenverschluß zu formen, die, an beiden Enden etwas zugespitzt, Schallreize vom Ohr einfach und sicher fern hält. Dieser Cylinder darf weder zu dick noch zu dünn, noch zu lose gerollt sein, und es ist am besten, ihm einen etwas geringeren Umfang als den des eigenen kleinen Fingers zu geben, der gewöhnlich den Gehörgang ausreichend verschließt.

Wenn der Lärm den Grundton in unserer an Leistungen und Fortschritten so reichen Zeit bildet, so muß die Ruhe vor allem an jenen Stätten zu finden sein, die man vornehmlich zur Stärkung der Gesundheit aufsucht. Sommerfrischen, Bäder, Erholungs- und Heilstätten mögen die Ruhe als erstes und wichtigstes Haus- und Heilmittel betrachten, das sie dem Gast zu bieten haben, als ein Erfordernis, das ebenso wichtig ist wie Obdach, Speise und Trank, Reinlichkeit und alle Bedingungen von gesundem Leben.

Als Arzt, der sich vielfach mit Nervösen zu beschäftigen hat, darf ich diese Betrachtung nicht schließen, ohne auf ein Heilverfahren hinzuweisen, welches für reizbare Nerven gewissermaßen ein Universalmittel bildet, indem es, wie kein anderes, vor Lärm schützt und die sicherste Gewähr für Ruhe bietet. Es giebt hochgradig Nervöse, welche in unserer geräuschvollen, lärmenden Zeit nach Abhilfe verlangen. Verweist man sie aufs Land, so wird das Uebel, wenn das Erfordernis der Ruhe nicht allseitig gegeben ist, noch verschlimmert. Manche ertragen die „tödliche Langeweile“ des Landlebens nicht und ergeben sich dort schädlichen Gewohnheiten. Nun rät man zum Reisen. Aber die Erschütterungen des Eisenbahnfahrens, das Lärmen, Stoßen und Drängen der geschäftigen Leute auf den Bahnhöfen, der meist ruhelose Aufenthalt in den Hotels läßt Abhilfe nicht zu. Solchen von reizbaren Nerven Geplagten, die oft auf der Grenze von Gesundheit und Krankheit stehen, bisweilen aber dieselbe bereits überschritten haben, empfehle ich die Seefahrt als bestes Rettungs- und Heilmittel, ein Verfahren, das in Deutschland noch lange nicht in seiner Bedeutung erkannt worden ist. Eine Oceanfahrt von mehreren Wochen oder Monaten wirkt wunderbar umstimmend und heilsam auf die Nerven. Ein Vorversuch muß freilich feststellen, daß man nicht zu große Neigung zur Seekrankheit hat.

Dieses Heilmittel ist jedoch nur für wenige erreichbar, und es ist auch besser, danach zu streben, daß die Ausbildung nervöser Leiden verhütet werde. Ein wichtiges Mittel hierzu ist die Beschränkung des überlauten Lärms in unseren Städten. Mehr Ruhe! – Dieser Mahnruf sollte im Interesse der Gesundheit nirgends ungehört verhallen!


Die Wasserwunder von Plitvice.

(Zu dem Bilde S. 813.)

Es giebt noch heute Entdeckungsreisende in dem alten Europa. Die Touristen sind es, die mit Ränzel und Stab von den vielbegangenen Verkehrsstraßen ablenken und in Gebirge eindringen, um dort stille Thäler und schöne Landschaften aufzufinden. Mitunter gelingt ihnen das Vorhaben, sie überraschen die Welt durch Schilderungen des Geschauten und bald folgt den Pionieren der Schwarm der Sommerfrischler. Erst im vorigen Jahre haben wir unseren Lesern von der in den letzten Jahrzehnten für weitere Kreise erfolgten Erschließung der wundervollen Landschaft von Madonna di Campiglio berichtet (vergl. Jahrg. 1895, S. 654). Eine ähnliche „Entdeckung“ hat man auch in Kroatien gemacht. Zwischen den Bergzügen Kapella und Pljeschewiza, nahe an Bosniens Grenze, liegt eine Landschaft von märchenhafter Schönheit versteckt. Die Natur hat dort dem Gebirge den wilden zerklüfteten Karstcharakter aufgeprägt, sie hat aber dabei seine Hänge und Thäler mit dem grünen Mantel stiller Urwälder geschmückt und die Hochthäler und Schluchten mit Wasserspielen belebt, wie man ihresgleichen auf Gottes weiter Erde kaum wieder finden kann. Es sind dies die „Plitvicer Seen“, welche zu den herrlichsten Perlen des an Naturschönheiten so reichen Königreichs Kroatien zählen. Inmitten malerischer Bergzüge liegen auf eine Strecke von 8 km zerstreut nicht weniger als 13 Seen, die terrassenförmig übereinander angeordnet und durch 30 größere und zahllose kleinere Wasserfälle miteinander verbunden sind. Einige dieser blauen Seen sind dabei recht stattliche Gewässer, erreicht doch der größte von ihnen, der Kozjak, bei einer Breite von 600 m eine Länge von 3 km; andere, wie der Okrugliak und Milanowac entzücken durch die Lieblichkeit ihrer Ufer. Und wie malerisch wirkt die Anordnung der Seen! Beträgt doch der Höhenunterschied zwischen dem obersten und untersten dieser herrlichen Wasserbecken beinahe 200 m! Eine Wanderung an den gebirgigen Ufern derselben, inmitten der tiefsten Waldeinsamkeit, bietet dem Auge stets neue, wechselvolle Aussichten; denn diese Ufer sind vielgegliedert und zerklüftet, bald spiegeln sich heitere Buchen, bald düstere Fichten, bald wieder kahle, malerisch geformte Felsen in ihren Fluten. Ueberdies weisen diese Becken ein geradezu wunderbares Farbenspiel auf. Das eine strahlt klar und rein in der Bläue des wolkenlosen Himmels, das andere schillert in grünen, das andere wieder in gelben Tinten, während der oberste See die fahle graue Farbe der Karstgewässer aufweist.

Aber damit ist diese unglaubliche Wasserpracht nicht erschöpft, zwischen den Seen tost und braust, fließt und rieselt es an hundert Orten; Wasserfall reiht sich an Stromschnelle, und was die Natur sonst auf meilenweit voneinander entfernte Thäler und Schluchten zerstreut hat, das findet sich hier an einem Orte vereint. Alle Abarten der Wasserfälle bieten sich dem Auge dar. Hier stürzt das Wasser mit elementarer Gewalt in mächtigen Kaskaden in die Tiefe, dort entfaltet sich ein prächtiger Schleierfall neben einem Schnurfall und dort wieder tobt ein Sturzbach neben einem Staubbach. In stillen Buchten kann man dem Murmeln winziger Gewässer lauschen, und bald darauf steht man vor mächtigen Wasserfällen; stürzt doch der zweigeteilte Plitvicer Fall donnernd 78 m in die Tiefe! Und wie wundervoll ist eine Kahnfahrt auf diesen Seen! In der Flut sieht man Forellen in überraschender Fülle dahinhuschen, auf dem felsigen Grunde sitzen Scharen von Krebsen, hier ist noch ein Paradies der Angler in unberührter Frische. Der Kahn gleitet an Grotten vorüber, in deren lauschiger Stille Nymphen sich wohl fühlen würden, erreicht Inseln, die, vom grünen Wiesenteppich überzogen, mit Baum und Busch gekrönt, zum Ruhen und Träumen einladen. Dabei der wunderbare Frieden, die tiefe Abgeschiedenheit vom Lärm der Welt! Weit und breit erblickt man hier keine menschliche Ansiedlung und bis vor kurzem kannten nur kroatische Hirten Weg und Steg über Wald und Berg zu diesen Wasserwundern von Plitvice!

Nicht immer waren jedoch diese Seen so einsam, so weltvergessen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0811.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)